Der Schuldenschnitt kommt Banken müssen nachrechnen
27.10.2011, 12:25 Uhr
"Wir haben nicht vor, öffentliche Mittel in Anspruch zu nehmen", beteuern die Banken.
(Foto: Reuters)
Nach dem großen Euro-Gipfel stehen die Vorgaben fest: Um Griechenland aus der Krise zu helfen, sollen die privaten Gläubiger des Landes auf die Hälfte ihrer Forderungen verzichten und ihre eigene Kapitalausstattung verbessern. Auch deutsche Banken müssen aufstocken. Eilig rechnen Finanzexperten nach: Wer braucht wie viel Geld?
Auf ihrem Sondergipfel zur Stabilisierung der Währungsunion haben sich die Staats- und Regierungschefs der Eurozone in Verhandlungen mit den privaten Gläubigern Griechenlands auf einen freiwilligen Schuldenerlass von 50 Prozent geeinigt. Der Schuldenschnitt wirkt sich direkt auf die europäische Bankenlandschaft aus. Einige Institute halten noch umfangreiche Bestände an Staatsanleihen im Depot. Um Erschütterungen im Fall notwendiger Abschreibungen zu vermeiden, müssen sich die Banken mit zusätzlichem Eigenkapital ausstatten - europaweit ist ein Kapitalbedarf von 106 Mrd. Euro im Gespräch.
Mit den Ergebnissen des Gipfels sieht sich die europäische Finanzbranche mit klaren Vorgaben konfrontiert. In der Nacht zum Donnerstag hatte die europäische Bankenaufsicht (EBA) auf Basis vorläufiger Zahlen mitgeteilt, dass sich die europäischen Banken mit 106,45 Mrd. Euro rekapitalisieren müssen, um sich gegen erwartbare Ausfälle im Zusammenhang mit der Euro-Schuldenkrise zu wappnen. Die größten Summen brauchen mit 30 Mrd. Euro Banken aus Griechenland sowie mit 26,16 Mrd. Euro Institute aus Spanien. Mit 14,77 Mrd. Euro rechnen die EBA-Experten bei den italienischen Banken, und mit 8,84 Mrd. Euro im Finanzsektor Frankreichs. Deutsche Banken brauchen demnach frisches Kernkapital in Höhe von 5,18 Mrd. Euro.
Die Geldhäuser sollen nun bis Ende des Jahres mit ihren nationalen Aufsichtsbehörden Kontakt aufnehmen und Vorschläge machen, wie sie die Auflagen erfüllen wollen. Die Banken sollen zum Erreichen der Ziele nach den Vorstellungen der Aufseher auch Boni und Dividenden zurückhalten. Zeit, um die Vorgaben zu erfüllen und sich das zusätzliche Kapital zu besorgen, bleibt den Banken bis zum 30. Juni 2012. Endgültige Zahlen, wie hoch der Kapitalbedarf ist, erwartet die EBA im Lauf des Novembers.
Bisher unbestätigten Angaben zufolge fehlt nur noch 4 der 13 größten deutschen Banken Kapital, um die erhöhten Anforderungen nach dem EU-Gipfel zu erfüllen. Hinter vorgehaltener Hand wurden in der Branche die Namen Deutsche Bank, Commerzbank, NordLB und Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) genannt.
Der Branchenprimus Deutsche Bank, der seine Griechenland-Anleihen per Ende September auf einen Marktwert von 46 Prozent abgeschrieben hatte, dürfte allerdings nur wenig Schwierigkeiten haben, die geforderten Kapitalvorgaben zu erfüllen. Finanzvorstand Stefan Krause hatte bereits am Dienstag beim Quartalsausweis vorgerechnet, dass die Deutsche Bank schon auf Basis der zu erwartenden weiteren Entwicklung und ohne zusätzliche Aktionen durch das Management Mitte 2012 eine harte Kernkapitalquote von 9,1 Prozent erfüllen werde. Allerdings hatte er in dieser Rechnung 2,8 Mrd. Euro aus einbehaltenen Gewinnen der nächsten drei Quartale berücksichtigt. Diese dürften zumindest teilweise noch in der Kapitalbedarfsrechnung der EBA zu finden sein. Analysten halten dies aber für keine große Hürde.
Die teilverstaatlichte Commerzbank braucht wegen der beim EU-Gipfel festgelegten Kapitalregeln nach eigenen Angaben kein weiteres Staatsgeld. "Wir haben nicht vor, öffentliche Mittel in Anspruch zu nehmen", sagte Commerzbank-Finanzvorstand Eric Strutz. Die am Mittwochabend geforderte harte Kernkapitalquote von 9 Prozent bei gleichzeitiger marktgerechter Bewertung der Staatsanleihen könne die Bank unter anderem durch den Verkauf von Finanz-Anlagen im Nicht-Kernbereich oder von nichtstrategischen Geschäftsfeldern sicherstellen. Zudem könnten mögliche Gewinne einbehalten werden.
Nach Berechnungen der europäischen Bankenaufsicht EBA benötigt die Commerzbank knapp 3 Mrd. Euro an Kapital, um die geforderten 9 Prozent bei der Kernkapitalquote zu erreichen. Nach dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers musste die zweitgrößte deutsche Bank staatlich gestützt werden. Derzeit hält der Staat etwas mehr als ein Viertel des Kapitals der Bank.
"Es liegt nun an der Politik"
Insgesamt äußerte sich die deutsche Bankenbranche überwiegend positiv zu den Brüsseler Beschlüssen. Die Europäische Union habe damit ihre Handlungsfähigkeit bewiesen, erklärte der Privatbanken-Verband BdB. Die Banken hätten dazu einen wesentlichen Beitrag geleistet, indem sie auf 50 Prozent ihrer Forderungen gegenüber Griechenland verzichten. "Es liegt nun an der Politik, den Reformdruck auf Griechenland und die übrigen in Bedrängnis geratenen Länder der Euro-Zone in vollem Umfang aufrechtzuerhalten." Nur dann sei gewährleistet, dass die Beschlüsse zu Schuldenschnitt, Rekapitalisierung der Banken und Hebelung des EFSF auch die gewünschten Erfolge zeigten, mahnte der BdB.
Deutsche-Bank-Chef . Der Schweizer ist zugleich Präsident des Welt-Bankenverbandes IIF, der die Verhandlungen mit der Politik geführt hatte. Der genossenschaftliche Bankenverband BVR bezeichnete die Beschlüsse als starkes Signal an die Finanzmärkte und ein wichtiger Schritt zur Krisenbewältigung. "Mit der massiven Erhöhung der Privatgläubigerbeteiligung ist aber die Grenze der Freiwilligkeit erreicht."
"Eine sinnvolle Lösung"
Etwas kritischere Töne kamen vom öffentlichen Bankenverband VÖB. Er vertritt die Landesbanken, von denen einige neben der privaten Commerzbank zu den größten deutschen Gläubigern Griechenlands zählen. Hier hieß es, der Schuldenschnitt sei "doch sehr hoch" ausgefallen. Die tatsächliche Belastung für die Banken sei erst dann absehbar, wenn die Details der Vereinbarung vorliegen. Dass der Kapitalbedarf deutscher Banken im europäischen Vergleich mit rund 5 Mrd. Euro recht gering ausfalle, sei hingegen erfreulich. "Staatshilfen werden da aller Voraussicht nicht erforderlich sein."
Der weltgrößte Rückversicherer Münchener Rück unterstützt den aus Investorensicht harten Schuldenerlass für Griechenland. "Der Schuldenschnitt für Griechenland ist für das Land und auch den Euro-Rettungsfonds kurz- und langfristig eine sinnvolle Lösung", sagte Nikolaus von Bomhard, Vorstandschef der Münchener Rück. "Er gibt Griechenland eine Chance zur Konsolidierung seiner Finanzen." Mit 50 Prozent fällt der sogenannte Haircut höher aus als von den Banken erhofft. Die Münchener Rück, einer der größten Investoren der Welt, hatte ihre Staatsanleihen zuletzt bereits auf die Marktwerte abgeschrieben und rechnet im dritten Quartal mit weiteren Wertkorrekturen.
Signale aus Spanien und Österreich
Die spanische Großbank Santander wird die strikteren europäischen Vorgaben für das Eigenkapital ohne Kapitalerhöhung oder eine Kürzung seiner Dividende schaffen. Die größte Bank der Eurozone musste am Tag nach dem Gipfel ihre Zwischenergebnisse vorstellen. Demnach verbuchte Santander in den ersten neun Monaten beim Nettogewinn einen Rückgang um 13 Prozent auf 5,3 Mrd. Euro. Darin schlug sich eine Einmal-Abschreibung wegen eines Rechtsstreits um den Verkauf von Versicherungspolicen in Großbritannien nieder. Die Abschreibungen auf das Portfolio aus europäischen Staatsanleihen belaufen sich auf 1,5 Mrd. Euro, wie das Institut weiter mitteilte. Nach Einschätzung der Bankenaufsicht EBA braucht Santanders heimische Konkurrentin Banco Bilbao BBVA einen Kapitalpuffer von 7,1 Mrd. Euro. Knapp 1,9 Mrd. Euro entfallen dabei auf Abschreibungen auf Staatsanleihen.
Österreichs Banken benötigen für ihre Rekapitalisierung nach Angaben der europäischen Bankenaufsicht 2,9 Mrd. Euro. Ein erheblicher Anteil davon entfalle auf die angeschlagene Österreichische Volksbanken AG (ÖVAG), teilten Nationalbank und Finanzmarktaufseher unter Berufung auf die europäische Bankenaufsicht EBA mit. Dies sei jedoch nur eine "pro-Forma"-Rechnung, da die ÖVAG derzeit einen Schrumpfungsprozess durchlaufe.
Die österreichischen Aufseher hätten gemeinsam mit der EBA die Auswirkungen der Schuldenkrise auf die Banken erhoben. Analysiert wurde der Kapitalbedarf für die Erste Group, die Raiffeisen Zentralbank und das Volksbanken-Spitzeninstitut ÖVAG.
Quelle: ntv.de, dpa/rts