"Über den Sommer" was machen Carney will Brexit mit Lockerung begegnen
30.06.2016, 18:13 Uhr
Carney will den Finanzmarkt stützen.
(Foto: dpa)
Die Marktturbulenzen unmittelbar nach dem Brexit-Votum haben sich zwar inzwischen beruhigt. Doch Experten sehen unheilvolle Zeiten auf die britische Wirtschaft zukommen. Für die Notenbank ein grund, einzugreifen.
Die britische Notenbank will zur Abfederung der prognostizierten wirtschaftlichen Folgen des Brexit-Votums eingreifen. Dies stellte Bank-of-England-Chef Mark Carney in Aussicht gestellt. Er werde vermutlich "über den Sommer etwas" die Geldpolitik lockern müssen, sagte er. Die Bank of England werde nicht zögern zu handeln, sofern dies zur Stützung der Wirtschaft oder des Finanzsystems nötig sei.
Zugleich äußerte er sich zuversichtlich, dass Großbritannien einen Brexit meistern könnte, auch wenn ein solcher Schritt einen bedeutenden Regimewechsel mit sich bringen würde. "Es (Großbritannien) hat eine der flexibelsten Volkswirtschaften der Welt, es profitiert von einem großen Reservoir an Humankapital, einer Infrastruktur von Weltklasse und der Rechtsstaatlichkeit", sagte Carney. Allerdings sei die Zentralbank nicht für Jobs, Löhne und Wohlstand verantwortlich, dafür müssten die Politiker sorgen.
Carney zufolge wird sich der Geldpolitische Ausschuss (MPC) im Juli ein vorläufiges Bild von den Auswirkungen eines Brexit machen und im August eine volle Einschätzung liefern. Der BoE-Chef sagte, kommenden Dienstag werde der für Finanzstabilität zuständige Ausschuss der BoE alle für die Stabilität notwendigen Maßnahmen treffen. Die Notenbank werde zudem künftig den Banken wöchentlich Liquiditätshilfe anbieten. Auch andere Maßnahmen würden in Erwägung gezogen. Carney warnte zugleich, mehr könne er nicht tun, um die Wirtschaft zu schützen. Derzeit liegt der geldpolitische Schlüsselsatz der BoE bei 0,50 Prozent. Das Pfund verlor nach Carney Aussagen deutlich an Wert, während britische Aktien anzogen. Den Hinweis auf ein breites Arsenal an Instrumenten werteten Beobachter als Hinweis auf die Möglichkeit neuer Wertpapierkäufe.
Negative Leistungsbilanz
Bereits unmittelbar nach dem Brexit-Votum hatte Carney reagiert, nachdem Anleger äußerst beunruhigt reagiert hatten. So war etwa das Pfund auf den niedrigsten Wert seit 1985 abgestürzt. Investoren flüchteten in sogenannte sichere Häfen wie etwa Staatspapiere. Daraufhin erklärte er, dass die BoE nicht zögern werde. Für Maßnahmen stünden 250 Milliarden Pfund bereit.
Zudem hat Carney vereinbart, dass sich die BoE über sogenannte Swap-Linien mit der Europäischen Zentralbank auf einen Schlag Milliardenbeträge in Pfund gegen Euro tauschen und dadurch den Briten Zugang zu Euros ermöglichen, selbst wenn sich die Banken wegen des taumelnden Pfunds zurückziehen sollten.
Unterdessen teilte das Nationale Statistikamt ONS mit, dass Großbritannien vor der Brexit-Abstimmung von nicht seinem hohen Defizit in der Leistungsbilanz heruntergekommen. Von Januar bis Ende März schrumpfte es lediglich auf 32,6 Milliarden Pfund nach knapp 34 Milliarden Pfund im Schlussquartal 2015. Volkswirte hatten einen stärkeren Rückgang erwartet. Ein Defizit signalisiert, dass ein Land mehr importiert als exportiert.
Ein Defizit in der Leistungsbilanz gilt nicht grundsätzlich als negativ für eine Volkswirtschaft. Denn ein Minus zeigt auch, dass ausländische Investoren gewillt sind, Kapital in das Land einzubringen. Nach dem Votum der Briten für einen EU-Austritt können sich aber die Kapitalströme ändern. Carney hatte vor dem Referendum auf diese Gefahr hingewiesen, als er anmerkte, dass das Land bei einem EU-Austritt "die Freundlichkeit von Fremden" testen würde. Helfen könnte jedoch eine schwächere Landeswährung, denn ein Kursrückgang des Pfunds macht britische Produkte im Ausland wettbewerbsfähiger. Allerdings verteuern sich zugleich Import-Waren, was die Inflation treiben kann.
Quelle: ntv.de, jwu/rts