Wirtschaft

Innovativ und exportorientiert DDR-Firmen sind Kern des Ost-Mittelstands

Hightech made in Sachsen: Aus den Zeiss-Kombinaten entstanden nach der Wende mehrere erfolgreiche und selbstständige Unternehmen.

Hightech made in Sachsen: Aus den Zeiss-Kombinaten entstanden nach der Wende mehrere erfolgreiche und selbstständige Unternehmen.

(Foto: picture alliance / dpa)

In vielen Betrieben der untergehenden DDR will das Management nicht tatenlos die Schließung hinnehmen. Sie werden in Eigenregie weitergeführt, obwohl kaum Erfahrungen mit der Marktwirtschaft vorhanden sind. Einige haben es weit gebracht.

Manfred Schubach blüht sichtlich auf, wenn er durch die Produktionsräume führt. Der 77-Jährige schwärmt von Poliermaschinen, die zwar schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel haben, aber dennoch "unverwüstlich und sehr flexibel einsetzbar" seien. Derweil pinselt ein Mitarbeiter der Präzisionsoptik Gera (POG) ein pinkfarbenes Poliermittel auf die Glasprismen, über die ein runder Metallteller rhythmisch hinweg streicht.

"Wir können die Oberflächen auf Bruchteile eines Mikrometers genau bearbeiten", betont Schubach. In einem Nachbarraum zeigt er moderne computergesteuerte Polier- und Schleifmaschinen für Linsen. "Wir haben hier eine friedliche Koexistenz von neu und alt." Schubach, studierter Ingenieur, gehörte Anfang der 1990er Jahre zu den früheren DDR-Bürgern, die dem Zusammenbruch der Wirtschaft nicht zusehen oder auf Investoren aus dem Westen warten wollten.

Auf eigenes Risiko gründete er aus einem Standort des Zeiss-Kombinats mit zwei Kollegen die POG. "Wir haben die vielen gut ausgebildeten Menschen gesehen, denen Arbeitslosigkeit drohte, und wollten Know-how sichern", meint er.

3000 DDR-Firmen wurden von eigenen Mitarbeitern weitergeführt

"Grundsätzlich hatten es Ausgründungen sehr schwer", sagt Joachim Ragnitz, der beim ifo-Institut in Dresden zu Strukturwandel forscht. Viele seien aus der Not heraus entstanden, wenn sich kein Käufer fand. Und den Neu-Unternehmern fehlte nicht nur wirtschaftliches Wissen, sondern vor allem eigenes Kapital. Häufig seien es gut ausgebildete technische Spezialisten gewesen, die ihr Schicksal auf diese Weise selbst in die Hand genommen hätten. Laut einer Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung (IWH) in Halle wurden damals fast 3000 DDR-Firmen oder Betriebsteile per Management-Buy-Out oder -Buy-In privatisiert, also einer Übernahme durch das eigene Management oft mit Unterstützung externer Geldgeber.

Wie viele davon bis heute überlebt haben, kann IWH-Fachmann Gerhard Heimpold aber nicht sagen. Für die Neu-Unternehmer sei es weniger darum gegangen, Gewinn zu erzielen. "Vielmehr wollten sie damals den Fortbestand ihres Unternehmens und die Arbeitsplätze sichern." Erfolgreich sei meist gewesen, wer nicht große Märkte abzudecken versuchte, sondern sich Nischen erarbeitet habe, erklärt ifo-Forscher Ragnitz.

Neben der optischen Industrie nennt er den Textilsektor, wo sich Hersteller von technischen Textilien bis heute erfolgreich am Markt behaupten. Im Baugewerbe habe es zwar etliche Ausgründungen gegeben - aber nach dem Ende des Baubooms in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre auch eine große Pleitewelle. Aus dem Zeiss-Kombinat gingen neben größeren Unternehmen wie Jenoptik und Analytik Jena, die später sogar den Gang an die Börse wagten, mehrere Familienunternehmen wie eben die POG hervor.

Eigene Forschung und Entwicklung sind wichtig

Die Produkte - von Linsen und Prismen bis hin zu kompletten optischen Systemen für die Messtechnik und Raumfahrt - sind vor allem im Ausland gefragt. 60 Prozent der Erlöse erzielt POG im Exportgeschäft. Dabei hatte Schubach anfangs keine Erfahrungen mit der Marktwirtschaft. Erst Ende 1989 war er als Hauptabteilungsleiter Optik wieder in den Kombinatsteil mit damals mehr als 3000 Beschäftigten zurückgekehrt. Zuvor war er als SED-Funktionär bis zum Bezirkssekretär für Kultur in Gera aufgestiegen. 

Nun bedauert Schubach, dass nicht mehr Menschen damals Unternehmer geworden seien. IWH-Forscher Heimpold bestätigt, dass solche Privatisierungen über sogenanntes Management-Buy-Out "eine wichtige Quelle für einen neuen privaten wirtschaftlichen und industriellen Mittelstand" im Osten waren. Denn diese Betriebe seien nicht nur verlängerte Werkbank von Großunternehmen im Westen. Ihre Produkte basierten überwiegend auf eigener Forschung und Entwicklung. Bekannte Namen, die im Zuge eines Management-Buy-Outs privatisiert wurden, sind etwa der Fahrzeughersteller Multicar, die Rotkäppchen Sektkellerei und Florena Cosmetic - seit 2002 eine 100-prozentige Tochter der Beiersdorf AG.

Quelle: ntv.de, Andreas Hummel, dpa

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