
Verschifft wird das russische Öl mit Tankern, die in Ländern außerhalb des Westens registriert und versichert sind.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Der Ölpreisdeckel gegen Moskau ist krachend gescheitert: Der Kreml verdient inzwischen mehr am Ölverkauf als vor dem Überfall auf die Ukraine - und finanziert so ungehemmt seinen Angriffskrieg. Der Westen braucht neue Sanktionen, wenn er Russland schlagen will.
Der Tanker "Turba", der im September vor der griechischen Küste lag, ist in der internationalen Schifffahrt gleich in mehrerer Hinsicht außergewöhnlich. Nicht nur ist der rostige Kahn unter der Flagge von Kamerun 26 Jahre alt und damit eines der ältesten Handelsschiffe auf den Weltmeeren. Er hat auch eine ganz besondere Fähigkeit: auf Knopfdruck zu verschwinden. Jedenfalls von dort, wo ein Team der Finanzagentur "Bloomberg" das fast 250 Meter lange Schiff an diesem Tag mit eigenen Augen sehen konnte: Bordwand an Bordwand mit dem ebenfalls alternden Tanker "Simba", der unter den Augen der griechischen Küstenwache russisches Öl in die "Turba" umpumpte.
In digitalen Tracking-Systemen tauchte die "Turba" währenddessen ganz woanders auf: kilometerweit entfernt von dem geheimen Ladevorgang. Spoofing, das Faken von Positionssignalen, um die wahren Fahrtrouten zu verschleiern, nennt man das. Und nicht nur die "Simba" und die "Turba", mehr als ein Dutzend Tanker lagen laut "Bloomberg" an diesem Tag im September im lakonischen Golf. Und taten dasselbe: heimlich auf hoher See Öl umladen. Sie sind der deutlichste Beweis, dass die westlichen Sanktionen gegen den Kreml nicht funktionieren.
Seit fast zwei Jahren führt Russland nun schon Krieg gegen die Ukraine. Und genauso lang versucht der Westen, die Geldquellen des Putin-Regimes trockenzulegen, um den russischen Terrorangriffen auf ukrainische Städte die Finanzgrundlage zu entziehen. Vor einem Jahr beschlossen die G7-Staaten, die EU und Australien deshalb, den Preis für russisches Öl auf höchstens 60 Dollar zu deckeln. Inzwischen ist klar: Das Ziel, dem Kriegsherrn im Kreml den Geldhahn zuzudrehen, wurde krachend verfehlt. Russlands Öl-Einnahmen sprudeln ungehemmt weiter. Wenn der Westen das Blatt auf dem Schlachtfeld wenden will, muss er nicht nur über größere Waffenlieferungen an Kiew nachdenken. Er braucht auch eine neue Sanktionsstrategie.
Schattenflotte fährt rund um die Welt
Fast die Hälfte aller russischen Ölexporte liefen laut "Bloomberg" in diesem Jahr über Schattentransporte. Die Handelsgiganten wie Glencore, Vitol und Trafigura, die vor Putins Überfall den Großteil des russischen Öls bewegten, wurden längst durch eine Armada kleinerer und undurchsichtigerer Transporteure mit unklaren Eigentümern ersetzt, die nun mit schlecht versicherten Uralt-Tankern als permanentes Havarie-Risiko über die Weltmeere schippern. "Das ganze Ding verschwindet einfach im Untergrund", zitiert die Finanzagentur einen früheren britischen Gazprom-Ölmanager. "Und wir wissen nicht, wer was macht und wie, und wohin es geht."
Bis zu elf Milliarden Dollar, schätzt "Bloomberg", finden dank Tankern wie "Simba" und deren fragwürdigen Hintermännern von Hongkong über Dubai und die Seychellen bis zu den Marshall-Inseln auf verschlungenen Wegen aus dem illegalen Ölgeschäft den Weg zurück nach Russland. Wie vor der griechischen Küste findet das gleiche Spiel routinemäßig auch im Japanischen Meer vor der chinesischen Küste statt - wo Tanker ihre Positionen ebenfalls verschleiern, wenn sie das schwarze Gold heimlich in russischen Ölhäfen abholen oder auf hoher See umladen, um es etwa in die Volksrepublik zu bringen.
Aber nicht nur mit seiner Flotte rostiger Geisterschiffe unterläuft Putin erfolgreich die Sanktionen des Westens. Faktisch wird kein russisches Öl für unter 60 Dollar verkauft, geben westliche Diplomaten hinter vorgehaltener Hand zu. Und Moskaus Offizielle drehen dem Westen ganz offen eine lange Nase: "Selbst die unfreundlichen Staaten räumen ein, dass der sogenannte Preisdeckel nicht funktioniert hat", brüstete sich ein Beamter des Energieministeriums im November in der Duma. "Mehr als 99 Prozent des Öls wurde weit über der Höchstgrenze von 60 Dollar je Barrel gehandelt." Nach Berechnungen von "Bloomberg" nimmt Russland inzwischen zeitweise sogar mehr mit dem Verkauf von Öl ein als vor dem Einmarsch in die Ukraine.
Das liegt an den Konstruktionsfehlern des Preisdeckels. Er wurde geschaffen, um Moskaus Öleinnahmen zwar zu drosseln, aber gleichzeitig eine Preisexplosion am Ölmarkt zu vermeiden - immerhin ist Russland eines der größten Förderländer der Welt und war bis zum Überfall auf die Ukraine Europas wichtigster Öllieferant. Direkt in den Westen exportieren darf Russland deshalb sein Öl zwar längst nicht mehr.
Doch statt auf ein globales Embargo einigte man sich nur auf einen faulen Kompromiss: einen Preisdeckel, der weltweit gelten soll - indem man Reedern untersagte, russisches Öl zu transportieren, Händlern verbot, russisches Öl für mehr als 60 Dollar zu kaufen und Banken und Versicherer daran hinderte, Öl-Deals oberhalb des Preisdeckels zu finanzieren oder abzusichern. Das Problem ist nur: Selbst in Europa setzt kaum ein Land die Vorgaben strikt durch, Untersuchungen oder geschweige denn Strafzahlungen gibt es kaum. Und außerhalb des Westens ziehen zu viele Reeder, Händler und Versicherer erst gar nicht mit. Fast drei Viertel aller russischen Ölexporte auf dem Seeweg werden inzwischen ohne westliche Versicherung abgewickelt, berichtete die "Financial Times" im Herbst.
Indien ist der größte Nutznießer
Hinzu kommt, dass nicht nur Russland versucht, den Preisdeckel zu umgehen. Auch Drittstaaten profitieren von den Sanktionen und unterlaufen sie daher ganz offen. Größter Trittbrettfahrer ist zweifellos Indien. Seit dem Überfall auf die Ukraine tritt das Land als wichtigster Zwischenhändler für russisches Öl auf: Firmen auf dem Subkontinent kaufen es auf, verarbeiten es zu Benzin, Diesel oder Kerosin - und liefern es in den Westen. Laut einem Bericht von "Politico" haben sich Indiens Ölimporte aus Russland in diesem Jahr verdoppelt. Inzwischen geht fast die Hälfte aller russischen Schiffsladungen in das Land.
Außer politischen Appellen bleibt westlichen Regierungen dagegen keine Handhabe. Wirksam bekämpfen können sie nur die Sanktionsbrecher in den eigenen Reihen. Ein Jahr nach der Einführung des Preisdeckels hat die EU deshalb Mitte Dezember neue Maßnahmen beschlossen, um die Durchsetzung der Obergrenze effektiver zu machen. Reeder und Versicherer müssen nun immerhin noch mehr Papierkram erledigen. Statt einer einfachen Erklärung, dass das Öl für höchstens 60 Dollar gehandelt wird, müssen sie nun auch ihre Fracht- und Versicherungskosten gesondert angeben. Und können so beim tatsächlich gezahlten Preis weniger leicht betrügen.
Doch wirklich verhindern, dass Putin weiterhin seine Kriegskasse mit Öl-Milliarden füllt, dürfte das nicht. Das ginge nur, wenn der Westen seinen Händlern und Transporteuren gänzlich verbieten würde, russisches Öl in den Rest der Welt zu schaffen. Die Gretchenfrage ist, ob die Regierungen in den USA und Europa wirklich bereit sind, ihren Wählern die damit verbundene Preisexplosion zuzumuten. Wie bei der Frage weiterer Waffenlieferungen könnte nur größerer politischer Wille das Blatt wirklich wenden. Im Ölkrieg auf den Weltmeeren genauso wie an den Frontlinien im Donbass.
Quelle: ntv.de