Leerverkäufe im Alleingang verboten Deutschland verunsichert Märkte
19.05.2010, 14:55 UhrNach den Fakten kommen die Fragen. Deutschland hat ohne die Europäische Union Tatsachen geschaffen: Hochspekulative Wetten auf fallende Kurse sind seit Mitternacht verboten. Die EU reagiert verhalten, die Investoren entsetzt. Die Regierung muss Überzeugungsarbeit leisten, dass es die richtige Waffe gegen die Krise ist.
Das Verbot ungedeckter Leerverkäufe von Banken-Aktien und Staatsanleihen sowie ungedeckte Kreditversicherungen auf Staatsanleihen, sogenannten Credit Default Swaps (CDS), hat die Kapitalmärkte kalt erwischt. Bankhäuser kritisierten die deutsche Entscheidung so auch als Verzweiflungstat. Die Politik wolle damit nur von den dramatischen Schuldenproblemen in der Euro-Zone ablenken. Der Euro wird für die Entscheidung mit einem weiteren Kursrutsch zeitweilig unter 1,22 Dollar abgestraft. Damit war die Gemeinschaftswährung so schwach wie seit vier Jahren nicht mehr.
Kapitalmarkt reagiert geschockt
Die Folgen des Verbots ließen am Kapitalmarkt auch sonst nicht lange auf sich warten. Die Liquidität am CDS-Markt sank abrupt, die Geld-Brief-Spannen weiteten sich aus, berichteten Händler. Auch die Risikoaufschläge sanken. Besonders groß waren die Abwärtsbewegungen bei den Problemländern der Euro-Zone. Hellenische CDS-Papiere verbilligten sich um 89 auf 530 Basispunkte. Bei Portugal fielen sie um 50 auf 220 Basispunkte, bei Irland um 35 auf 165 Basispunkte, bei Spanien um 25 auf 155 Basispunkte. Zocken auf den Staatsbankrott scheint damit tatsächlich ein Riegel vorgeschoben. Einige europäische Nachbarn äußerten dennoch Zweifel, ob dies die richtige Maßnahme oder der richtige Zeitpunkt für dieses Verbot ist.
Es überwiegt die Meinung, dass der Alleingang der Deutschen nicht repräsentativ für Europa ist. Die Regeln gelten nicht europoweit. Auch wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel sich zuversichtlich gibt, dass es eine zügige länderübergreifende Regelung geben wird. Ein Experte des Frankfurter Bankhauses Metzler legte genau hier den Finger in die Wunde. Die Entscheidung gleiche einem "Verzweiflungsakt". Erschwerend komme hinzu, "dass Europa nach wie vor nicht mit einer Stimme spricht, wie der deutsche Alleingang zeigt", sagte der Experte. "Dies führt letztlich dazu, dass Investoren verunsichert werden und finanzielle Mittel aus dem Euroraum abziehen."
Besonders negativ wurde an den Märkten vor allem die politische Komponente des Verbots und die Inkonsequenz aufgenommen. "Das politische Signal ist verheerend, weil es zeigt, dass es keine Koordination in der Euro-Zone gibt", sagt ein Händler. Auch die Geschwindigkeit und Plötzlichkeit des Verbotes wurden als Zeichen politischen Drucks und Panik gewertet. Denn immerhin hatte der ehemalige Vorsitzende der US-Börsenaufsicht SEC, Christopher Cox, das Verbot von Leerverkäufen schon als "den größten Fehler meiner Amtszeit" bezeichnet.
"Profitieren tun jetzt nur andere"
Ein hochrangiger Investmentmanager bezeichnete Deutschlands Leerverkäufeverbot als ineffektiv und sinnlos. "Das ist ein sehr stumpfes Instrument, das keinerlei Sinn hat", sagte Bob Pozen von MFS Investment Management. Das hätten die Verbote von Leerverkäufen in den USA während der Finanzkrise gezeigt. Schließlich hätten sie den Preisverfall nicht stoppen können. Die deutsche Reaktion sei zwar verständlich, aber auch unwirksam. Von dem Verbot profitierten vor allem europäische Exporteure und die US-Staatsanleihen, stellte Pozen fest.
Nach Einschätzung von Commerzbank-Portfoliomanager Gunnar Stangl werden Händler in Deutschland künftig einfach auf andere Finanzplätze ausweichen. Der größte Teil des Handels mit CDS werde bislang ohnehin nicht in Frankfurt sondern in Zentren wie London oder New York abgewickelt, sagte Stangl. "Am Ende des Tages ist es einfach nur ein schlechter Zeitpunkt für so eine Aktion", betonte er. Die Zeichen an den Börsen seien in den vergangenen Tagen nicht schlecht gewesen.
Trotz aller Proteste stellte Merkel in ihrer Regierungserklärung klar, dass das Verbot hoch spekulativer Wetten von Investoren auf fallende Aktienkurse auf jeden Fall "unbefristet" gelten wird. Die Regelung bleibe in Kraft, bis auf europäischer Ebene eine einheitliche Vorgabe erreicht sei, sagte Merkel. Die Entscheidung durch die Finanzaufsicht BaFin zeige, dass Deutschland zur Eindämmung der Spekulation auch zu Alleingängen bereit sei.
Nach den Worten von BaFin-Chef Jochen Sanio ist das Verbot von Leerverkäufen kein Anzeichen von Schwäche des Bankensystems. "Ich erkläre Ihnen ausdrücklich, das deutsche Bankensystem, insbesondere die börsennotierten Banken, ist solvent", sagte der oberste Bankenaufseher bei einer Anhörung im Bundestag. Das Verbot diene "allein der Beseitigung von Missständen im Handelsgeschehen". Die Banken seien aber in Gefahr, dass ihre Kurse bei massiven Leerverkäufen manipuliert würden.

BaFin-Chef Jochen Sanio will Schaden von deutschen Banken abwenden.
(Foto: REUTERS)
Bei Leerverkäufen wetten Investoren auf fallende Kurse von Wertpapieren oder Währungen. Sie leihen sich Aktien von anderen Anlegern, verkaufen diese und versuchen, sich anschließend billiger wieder damit einzudecken. Bei ungedeckten Leerverkäufen haben sich die Investoren noch nicht einmal die Papiere geliehen, was die Risiken noch erhöht. Diese Geschäfte können Kursausschläge einer Aktie drastisch beschleunigen.
Stoppschilder für überzogene Spekulation
Unterstützung bekam die deutsche Regierung von Commerzbank-Chef Martin Blessing, der neben dem Verbot von Leerverkäufen eine weiterreichende Regulierung riskanter Marktgeschäfte forderte. Er sprach sich auf der Hauptversammlung seines Instituts für "Stoppschilder für überzogene Spekulation" aus. Dabei denke er besonders an die stark in die Kritik geratenen Kreditausfallversicherungen (CDS). Diese hätten die Schuldenkrise in Griechenland weiter verschärft. Spekulative Anleger hatten mithilfe dieser Instrumente auf eine Pleite des Landes gewettet. "Eine weitgehende Abwicklung dieser Instrumente über Börsen und zentrale Clearing-Häuser ist notwendig", betonte Blessing.
Anlerkennung gab es auch aus der Privatbank Hauck & Aufhäuser. Chefhändler Fidel Helmer sagte gegenüber n-tv: " Mit solchen Maßnahmen haben wir schon seit längerer Zeit gerechnet. Aber ich glaube, hier spielt die Politik wesentlich mit. Die Kanzlerin braucht eine breite Mehrheit im Parlament, um eben ihr Rettungspaket für Griechenland durchzuwinken. Und dmit diesen Maßnahmen macht sie es der Opposition etwas leichter zuzuzstimmen."
Quelle: ntv.de, ddi/nne/rts/DJ