Prognose sinkt erneut Deutschland zieht Wachstum der Eurozone nach unten
15.11.2023, 16:45 Uhr Artikel anhören
Die Wirtschaft der Eurozone erholt sich langsamer als gedacht.
(Foto: picture alliance / Rupert Oberhäuser)
Die Erholung der Eurozone wird nicht so schnell vonstattengehen, wie die Europäische Kommission prognostiziert hatte. Die Gründe sind vielfältig. Allerdings sind nicht alle EU-Staaten gleichermaßen betroffen. Das Wachstum in Deutschland wird deutlich unter dem Durchschnitt liegen.
Die Wirtschaft in der EU wird in diesem Jahr nach einer Prognose der Europäischen Kommission langsamer wachsen als zuletzt erwartet. Die Behörde rechnet für die EU und für die Eurozone mit einem Wachstum von je 0,6 Prozent, wie aus einer Schätzung hervorgeht. Damit senkt sie ihre Prognose zum zweiten Mal in Folge. Im September war die Kommission noch von einem Plus von jeweils 0,8 Prozent ausgegangen. Die deutsche Wirtschaft liegt nach den Erwartungen der Kommission unter dem Durchschnitt.
"Dies war ein herausforderndes Jahr für die EU-Wirtschaft, die durch die Auswirkungen des russischen Krieges in der Ukraine, schwache weltweite Nachfrage und höhere Verbraucherpreise in Mitleidenschaft gezogen wurde", sagte Kommissionsvize Valdis Dombrovskis. Nach dem sehr schwachen Wachstum in diesem Jahr sei für 2024 eine leichte Erholung zu erwarten, gestützt durch einen starken Arbeitsmarkt und eine weitere Abschwächung der Inflation.
Die jährliche Inflation in der Eurozone wird der Kommissionsschätzung zufolge von 5,6 Prozent 2023 auf 3,2 Prozent im Jahr 2024 sinken, während die Inflation in der EU von 6,5 Prozent in diesem Jahr auf 3,5 Prozent im kommenden zurückgehen dürfte. Beim Wirtschaftswachstum rechnet die Behörde 2024 mit einem Plus von 1,3 Prozent in der Staatengemeinschaft - schraubte aber auch hier im Vergleich zur vergangenen Prognose (1,4) nach unten. Das Plus in der Eurozone 2024 schätzt die Behörde auf 1,2 Prozent (vorher 1,3). Für 2025 prognostiziert sie in der EU ein Wachstum von 1,7 Prozent (Eurozone: 1,6).
Geopolitik verunsichert massiv
EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni sagte, zwar habe der sich ausbreitende Konflikt im Nahen Osten bisher nur begrenzte wirtschaftliche Auswirkungen außerhalb der Region gehabt. "Aber die zunehmenden geopolitischen Spannungen haben die Unsicherheit weiter erhöht und riskieren, den Ausblick zu trüben." Auch durch den langwierigen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine könne es weiterhin Störungen geben. Die wirtschaftlichen Entwicklungen der wichtigsten Handelspartner der EU, insbesondere in China, könnten ebenso Risiken bergen, hieß es von der Kommission.
Gleichzeitig könne die straffere Geldpolitik in Europa noch weitere Auswirkungen auf Unternehmen und Haushalte als erwartet mit sich führen. Darüber hinaus wirkten sich durch den Klimawandel häufigere extreme Wetterereignisse wie Hitzewellen, Brände, Dürren und Überschwemmungen auf die Wirtschaft aus.
In Deutschland wird die Wirtschaft der Schätzung zufolge in diesem Jahr um 0,3 Prozent schrumpfen. Im September war für die größte Volkswirtschaft der EU noch ein Rückgang von 0,4 Prozent vorhergesagt worden. Für 2024 rechnet die Behörde nun mit einem Wachstum der deutschen Wirtschaft von 0,8 Prozent (vorher 1,1), für 2025 mit 1,2 Prozent. Damit bleibt Deutschland unter dem erwarteten Durchschnitt in der Eurozone.
Mit einem veranschlagten Plus beim BIP von 0,8 Prozent wird Deutschland 2024 jedoch in dieser Hinsicht gemeinsam mit Finnland das Schlusslicht der Euro-Zone bilden. Mit Blick auf die größten Volkswirtschaften des gemeinsamen Währungsraumes werden Frankreich mit einem BIP-Wachstum von 1,2 Prozent und Spanien mit 1,7 Prozent gemäß der Prognose besser abschneiden. Auch das lange als chronisch wachstumsschwach geltende Italien dürfte mit einem BIP-Plus von 0,9 Prozent besser abschneiden als Deutschland.
Energiekrise trifft Deutschland besonders hart
Noch im September hatte Gentiloni betont, er sehe Deutschland ungeachtet der Rezession in diesem Jahr nicht als "kranken Mann Europas". Die deutsche Wirtschaft sei stark und werde sich wieder erholen, betonte er damals. Sie habe aber besonders stark unter der Energiekrise infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und der Exportschwäche gelitten.
Als Ursache sieht die Kommission einen Kaufkraftverlust durch die hohe Inflation, die Verschärfung der Finanzierungsbedingungen belasteten zudem Konsum und Investitionen. Darüber hinaus habe sich die Auslandsnachfrage ungünstiger entwickelt als bisher angenommen, was zu einer Verschlechterung der Handelsaussichten führe. "In Zukunft dürfte die Inlandsnachfrage jedoch wieder anziehen, angetrieben durch einen Reallohnanstieg", hieß es. Die "Wirtschaftsweisen" rechneten zuletzt mit einem Rückgang der deutschen Wirtschaftsleistung um 0,4 Prozent in diesem Jahr. Damit sind sie deutlich pessimistischer als noch im Frühjahr. Ebenso hatten sowohl die Bundesregierung als auch die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Prognosen zuletzt teils deutlich gesenkt. Sie erwarten ebenfalls ein Minus um 0,4 bis 0,6 Prozent.
Die Wirtschaftsweisen hatten in ihrem Gutachten deutlich gemacht, dass sie Reformbedarf sehen, um das Wachstumspotenzial der größten Volkswirtschaft der Eurozone zu heben. Dabei solle insbesondere bei den Investitionen der Hebel angesetzt werden. Die Regierungsberater um die Münchner Ökonomin Monika Schnitzer hatten eine Rezession im laufenden Jahr und für 2024 nur eine verhaltene Erholung prognostiziert.
Der Europaabgeordnete Markus Ferber nannte viele der Probleme hausgemacht. "In der europäischen Wirtschaftspolitik braucht es eine 180-Grad-Wende", erklärte er in Brüssel. Das von der EU-Kommission angekündigte Paket zum Bürokratieabbau könne nur der erste Schritt sein. Europa brauche eine Politik für Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Beschäftigung.
Quelle: ntv.de, alsdpa//rts/AFP