Nach dem Gipfel in Südkorea Die schweren Weichen der G20
12.11.2010, 11:32 Uhr
Sie schwören nicht, sie winken: Staats- und Regierungschefs aus den 20 einflussreichsten Ländern der Erde.
(Foto: dpa)
Vom Gipfel in der südkoreanischen Hauptstadt reisen die Staats- und Regierungschefs mit einer durchwachsenen Bilanz nach Hause. Mit der IWF-Reform und neuen Bankenvorschriften einigen sie sich auf weitreichende Weichenstelllungen. Zentrale Streitthemen werden allerdings vertagt. Wichtigstes Ergebnis: Das Bekenntnis zur internationalen Zusammenarbeit.
Die Staats- und Regierungschefs der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer haben auf ihrem Treffen in Seoul nach heftigen Streitigkeiten doch noch zu einer gemeinsamen Linie über den Kurs in eine neue globale Wachstumsphase gefunden.
"Unter dem Strich hat sich gezeigt, dass der Gemeinschaftsgeist siegt", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Bemühungen um mehr Kooperation mit dem Ziel, die Weltwirtschaft auf einen ausgewogeneren, beständigen Wachstumspfad zu führen, hätten sich durchgesetzt.
Mit den Basel-III-Eigenkapitalregeln für Banken und der IWF-Reform seien zudem zwei Schlüsselvorhaben für stärkere Finanzstabilität auf den Weg gebracht worden. Am Rande des Gipfels wies Merkel .
Hart umkämpfte Abschlusserklärung
Die Teilnehmer des Gipfels verpflichteten sich, ihre nationale Wirtschaftspolitik künftig besser abzustimmen. "Unkoordinierte wirtschaftliche Aktionen" seitens der einzelnen Länder würden die Situation "für alle nur verschlechtern", hieß es in der Abschlusserklärung der Staaten im südkoreanischen Seoul.

Runder Tisch in Seoul: Die große Zahl der Teilnehmer stellt höchste Ansprüche an Protokollführer und Übersetzer.
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Der sogenannte "Aktionsplan von Seoul" ruft die beteiligten Länder zudem verstärkt zu flexiblen Wechselkursen auf, um eine Stabilisierung der Finanzmärkte zu erreichen.
Die Gipfelrunde beschloss zudem (IWF). Letztere war zuvor auf der Ebene der Finanzminister ausgearbeitet worden. Die Basel-III-Regeln werden demnach umfassend und ohne Abstriche umgesetzt.
"Der Geist der Kooperation"
Die Regeln sollen die Banken für mögliche zukünftige Krisen wappnen und fordern von den Banken größere Kapitalpuffer zum Schutz vor Notsituationen. Die neuen Kapitalvorschriften gehen auf den Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht zurück. Mit dem Beschluss von Seoul machen die Staaten den Weg für die Umsetzung in der Praxis frei.

Unter dem Motto "Shared Growth Beyond Crisis" (etwa: Gemeinsames Wachstum jenseits der Krise) debattieren die Staaten über die Schnittmengen ihrer Interessen.
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In der Runde der G20 herrsche zudem Übereinstimmung, endlich die Schlussrunde in den seit Jahren andauernden "Doha-Verhandlungen" zur Liberalisierung des Welthandels anzugehen. "Wir glauben, dass es jetzt ein Zeitfenster gibt, in dem ein solcher Abschluss möglich wäre", sagte Merkel.
"Der Geist der Kooperation war wirklich spürbar", sagte Merkel. In den Wochen vor dem Gipfel in Seoul hatten die G20-Staaten, allen voran die USA, China und Deutschland, heftig über Ungleichgewichte im Handel, über Wechselkursmanipulationen, die US-Geldpolitik und die Balance zwischen Etatsanierung und Wachstumsförderung gestritten. Letztlich konnten diese Konfliktfelder zwar entschärft, aber nicht aufgelöst werden.
Obama deuten den Gipfel
Vor ihrer Abreise zeigten sich die Gipfelteilnehmer mit den Ergebnissen des Treffens zufrieden. US-Präsident Barack Obama versuchte die Differenzen mit Deutschland und China über Handels- und Währungsfragen bei seiner Pressekonferenz zum Abschluss des Treffens herunterzuspielen. Demonstrativ nannte er Bundeskanzlerin Angela Merkel und Chinas Staatschef Hu Jintao "wirkliche Freunde".
Mit Blick auf Deutschland, Japan und China meinte Obama, Länder mit Handelsüberschuss müssten "weg vom ungesunden Export" und sollten die heimische Nachfrage stärken.
"Wechselkurse müssen die ökonomischen Realitäten widerspiegeln", fasste Obama ein weiteres Gipfelergebnis zusammen. China "gibt riesige Geldmengen aus, um seine Währung unterbewertet zu halten", klagte er. Er sei sich aber auch darüber im Klaren, dass es hier nur schrittweise Veränderungen geben werde. Hu werde im Januar Washington besuchen, kündigte der US-Präsident an.
Bernanke bleibt in Deckung
Die umstrittene Geldpolitik der amerikanischen Notenbank Fed spielte zumindest nach Einschätzung der USA keine große Rolle in Seoul. Es habe "nicht viele Debatten" über die Entscheidungen der von Fed-Chef Ben Bernanke geleiteten Zentralbank gegeben, sagte Obama zum Abschluss des Gipfels.
Der Beschluss, die Geldschleusen sperrangelweit zu öffnen und 600 Mrd. Dollar in die lahmende US-Wirtschaft zu pumpen, war im Ausland vielfach auf Unverständnis gestoßen. Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hatte die Entscheidung kritisiert und Bernanke Ratlosigkeit vorgeworfen. Die Befürchtung: Durch die geplante Geldschwemme in den USA könnten neue Vermögenspreisblasen entstehen - insbesondere in den Schwellenländern.
Währungsstreit: verpackt und vertagt
Zudem könnte der Dollarkurs tendenziell weiter unter Druck geraten. Darunter leiden Exportnationen wie Deutschland und China, da ihre Produkte im Dollar-Raum automatisch teurer werden.

Regieanweisungen für das Gruppenfoto: Ergebnis der mit koreanischer Akribie und protokollarischer Finesse ausgearbeiteten Gipfeldramaturgie. Unklar bleibt, was der leuchtende Strich zwischen Indien und Kanada zu besagen hat.
(Foto: REUTERS)
China wird aber von den USA gleichzeitig vorgeworfen, den Kurs seiner Landeswährung durch die Anbindung an den Dollar künstlich zu drücken und sich damit auf unfaire Weise Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Im Vorfeld des Gipfels der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer war bereits von einem drohenden Währungskrieg die Rede. Schäuble zufolge wurden diese Befürchtungen aber ausgeräumt.
Obama machte in Seoul deutlich, dass er von der Volksrepublik ein Einlenken in dem Konflikt erwartet: "Es ist wichtig, dass China schrittweise den Übergang zu einem markt-basierten Wechselkurssystem schafft."
Neue Machtbalancen
Er gehe davon aus, dass China auf diesem Weg Fortschritte machen werde, sagte Obama. Schließlich müssten die Wechselkurse die wirtschaftlichen Realitäten widerspiegeln. Dies habe er auch im Gespräch mit dem chinesischen Präsidenten Hu Jintao verdeutlicht. "Wir werden die Aufwertung der chinesischen Währung genau beobachten", sagte Obama.
Der streckenweise heftige Streit über Wechselkurse und Exportüberschüsse hatte das Treffen in Seoul in der öffentlichen Wahrnehmung beherrscht. Merkel und Hu gaben sich zwar gesprächsbereit, lehnten aber konkrete Zusagen ab. Obama meinte, er begrüße den "Aufstieg Chinas".
Angesichts der heimischen Wirtschaftskrise und der verlorenen Kongresswahlen war Obama nach Ansicht von US-Kommentatoren als angeschlagener Präsident nach Seoul gekommen. Auf die Frage, ob er auf internationalen Bühne Ansehen verloren habe, meinte Obama: "Die Antwort ist Nein."
Quelle: ntv.de, mmo/AFP/dpa/rts