Tobins Erben EU findet neuen Zankapfel
16.03.2012, 11:32 Uhr
Großbritanniens Premier David Cameron und Bundeskanzlerin Angela Merkel.
(Foto: REUTERS)
An Streitthemen herrscht in Europa kein Mangel. Kaum ist die unmittelbare Pleite Griechenlands abgewendet, beginnt neues Gezerre: Nun geht es um die Finanztransaktionssteuer. So sperrig der Begriff, so unübersichtlich die Debatte. Die Idee ist im Grunde ganz einfach, doch der Teufel liegt im Detail.
Die von Deutschland und Frankreich unterstützte Forderung nach einer Steuer auf Finanzgeschäfte spaltet die Europäische Union. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn selbst die Bundesregierung ist sich uneins. Und auch die Allianz zwischen Berlin und Paris bekommt Risse.
Die Idee einer Finanztransaktionssteuer existiert seit Jahrzehnten und geht auf den US-Ökonom James Tobin zurück. Er brachte schon 1972 eine Steuer auf Börsengeschäfte ins Gespräch. Vereinfacht gesagt funktioniert sie wie eine Mehrwertsteuer auf den Handel mit Finanzprodukten wie Aktien, Anleihen oder hoch spekulative Papiere.
Sie würde diese Geschäfte verteuern und wäre somit ein Mittel, um Spekulation einzudämmen, sagen die Befürworter. Außerdem würde der Finanzsektor mit den Steuereinnahmen an den Kosten der Krise beteiligt, die maßgeblich von ihm ausgelöst worden war. Zudem soll die Steuer den so genannten Hochfrequenzhandel begrenzen, bei dem Computer innerhalb von Sekundenbruchteilen Aktien kaufen und wieder verkaufen, um an minimalen Kursunterschieden Geld zu verdienen. Dieser automatisierte Handel könne Börsenturbulenzen verstärken, monieren Kritiker. Durch die Steuer würde sich diese Methode nicht mehr lohnen, die Finanzmärkte würden entschleunigt.
Gegner der Abgabe führen vor allem zwei Argumente an: Sie sehen in der Finanztransaktionssteuer eine Wachstumsbremse, und sie funktioniere nur dann, wenn sie weltweit eingeführt werde. Andernfalls würden die Geschäfte nämlich dort gemacht, wo die Steuer nicht anfällt.
Briten lehnen EU-Vorschlag ab
Diskussionsgrundlage in der Europäischen Union ist ein Vorschlag der EU-Kommission, demzufolge zu Jahresbeginn 2014 eine Finanztransaktionssteuer in allen 27 Mitgliedsländern eingeführt wird. Sie soll für jede Transaktion mit Finanzprodukten gelten. Bedingung ist, dass einer der Beteiligten seinen Sitz in den EU hat. Betroffen sein sollen alle professionellen Finanzunternehmen, also Banken, Versicherungen oder Hedgefonds. Das Gros privater Geschäfte soll hingegen nicht belastet werden – etwa Kredit-, Hypotheken- oder Versicherungsgeschäfte.
Mit dem "Standortprinzip" soll die Steuer auch Geschäfte erfassen, die an Finanzplätzen außerhalb der EU abgewickelt werden. Zahlen sollen sowohl Käufer als auch Verkäufer. Besteuert werden möglichst alle Transaktionen, egal ob sie an Börsen oder im Freiverkehr laufen, also auch der Handel mit Terminkontrakten oder anderen modernen Finanzprodukten. Vorgeschlagen sind Steuersätze von 0,1 Prozent auf Aktien und 0,01 Prozent auf Geschäfte mit Derivaten. Die Kommission rechnet mit Einnahmen von 57 Mrd. Euro im Jahr.
Doch umgesetzt wird dieser Vorschlag so wohl nicht. Großbritannien und Schweden führen die Kritiker der umstrittenen Abgabe an. Die Briten fürchten vor allem Schäden für ihren Finanzplatz London, die Schweden melden Wachstumsbedenken an. Die Abgabe würde Kreditkosten für Unternehmen und Staaten erhöhen, lautet ihr Argument. Da der Beschluss auf EU-Ebene einstimmig fallen muss, stehen die Chancen für den EU-Vorschlag schlecht.
Stempelsteuer als Kompromiss
Die Befürworter suchen nun nach einer Alternative. Derzeit deutet vieles darauf hin, dass in der Europäischen Union eine Stempelsteuer nach britischem Vorbild eingeführt und der Hochfrequenzhandel strenger reguliert wird.
Großbritannien kennt eine solche Steuer schon seit Jahrhunderten. Neben dem Handel von Aktien und Optionsscheinen betrifft sie im Königreich etwa auch Verkäufe von Häusern, ähnlich wie in Deutschland die Grunderwerbsteuer. In ihrer heutigen Form wurde sie von niemand geringerem eingeführt als Margaret Thatcher, dem britischen Gesicht entfesselter Märkte. Im Jahr spült diese Steuer zwischen drei und vier Milliarden Pfund in die britische Staatskasse.
Die ursprüngliche Idee einer Stempelsteuer stammt aus der Zeit, als Wertpapiere tatsächlich noch als Dokumente den Besitzer wechselten. Bei einem Verkauf dokumentierte der Stempel des Staates die Transaktion – und dafür wurde die Steuer fällig. In Zeiten des Computerhandels gibt es zwar keine physischen Aktien mehr, die tatsächlich als Dokumente von der Hand des einen Besitzers in die des anderen wandern und dabei abgestempelt werden. Doch statt eines echten Stempelabdrucks tut es auch ein virtueller Stempel der Finanzbehörde etwa in den IT-Systemen der zentralen Wertpapierverwaltung.
Wechselt eine Aktie den Eigentümer, wird für jede Aktie auf den Verkaufspreis ein Prozentanteil einbehalten. In Großbritannien sind es 0,5 Prozent, jedoch nur für Aktien von Unternehmen, die in Großbritannien angesiedelt sind. Auch Optionsscheine werden mit einer solchen Steuer belegt. Doch all jene Geschäfte, hinter denen keine an der Börse gehandelten Wertpapiere stehen, bleiben außen vor. Insbesondere der Handel mit Derivaten oder der gesamte Devisenhandel werden in der bisherigen Form nicht besteuert. Die disziplinierende oder bremsende Wirkung, die sich Befürworter von einer Besteuerung von Finanzgeschäften gerade in diesen beiden zentralen Bereichen des Finanzmarktes erhoffen, wären damit ausgehebelt.
Quelle: ntv.de, mit rts/dpa