Mehr Zeit für Schuldenabbau Europa verschafft Spanien Luft
09.07.2012, 23:00 Uhr
(Foto: REUTERS)
Spanien soll noch im Juli 30 Milliarden Euro Bankenhilfe erhalten, die nächsten 70 Milliarden stehen schon in Aussicht. Außerdem räumen die EU-Finanzminister dem Land mehr Zeit ein, um sein Haushaltsdefizit in den Griff zu bekommen.
Unter dem Druck der wirtschaftlichen Rezession kommen die europäischen Partner Spanien noch einmal entgegen. Die Finanzminister der Eurozone bereiteten den Weg für Rettungshilfen, die die viertgrößte Volkswirtschaft des Währungsgebiets für ihre angeschlagenen Banken braucht. Spanien soll noch in diesem Monat eine erste Hilfszahlung in Höhe von 30 Milliarden Euro für die Banken erhalten. Darauf einigten sich die 17 Minister der Eurogruppe nach Angaben von Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker im Grundsatz. Eine entsprechende Vereinbarung solle in der zweiten Monatshälfte unterzeichnet werden. Die spanischen Banken sind durch das Platzen einer Immobilienblase schwer angeschlagen. Die spanische Regierung hatte im Juni Finanzhilfen der Euro-Zone für die angeschlagenen Banken des Landes beantragt.
Sollte Spanien nicht nur Hilfe für seine Banken benötigen, sondern ganz unter den Rettungsschirm schlüpfen, muss es sich einem Reformprogramm unterwefen, das sich an Empfehlungen der Europäischen Union orientiert. Diese sehen vor:
- Staatsdefizit im Jahresschnitt 2010 bis 2013 mindestens um 1,5 Prozent pro Jahr abbauen
- Renteneintrittsalter an gestiegene Lebenserwartung anpassen
- Wachstumsfreundlicheres Steuersystem, das Arbeit weniger und Verbrauch mehr belastet. Voller Mehrwertsteuersatz für mehr Produkte
- Umbau des stark angespannten Finanzsektors
- Umsetzung von Arbeitsmarktreformen, Verbesserung der Wirksamkeit von aktiver Arbeitsmarktpolitik
- Stärkere Förderung arbeitsloser Jugendlicher
- Öffnung stark abgeschotteter Berufsgruppen, z.B. durch Abbau von Wartezeiten für Lizenzen
- Stärkere Verknüpfung der Strom- und Gasversorgung mit den Nachbarländern, um Kosten zu senken
Der Kapitalbedarf der Institute könnte sich Gutachten zufolge auf bis zu 62 Mrd. Euro belaufen. Der Internationale Währungsfonds hält mindestens 40 Mrd. Euro für nötig, die doppelte Summe aber auch für möglich. Madrid wurden bis zu 100 Mrd. Euro in Aussicht gestellt. Die Finanzhilfe soll einen Sicherheitspuffer enthalten und wird somit am Ende über dem ermittelten Bedarf liegen. Nach Angaben des spanischen Wirtschaftsministers Luis de Guindos wird das Land eine Bad Bank gründen, um den Instituten faule Immobilienkredite abzunehmen.
Die Finanzminister aus allen 27 EU-Staaten wollten der Regierung in Madrid zudem einen Tag später noch einmal mehr Spielraum für Schulden geben und damit der schwierigen Wirtschaftslage des Landes Rechnung tragen. Die Verhandlungen mit Spanien seien auf einem guten Weg, hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble vor Beginn der Beratungen in Brüssel gesagt. Auch Griechenland hoffte auf Entlastungen und wollte für eine Lockerung seines Spar- und Reformkurses werben.
Ein Jahr mehr Zeit
Nach einer ersten Lockerung bereits im März gibt die EU Spanien zum zweiten Mal mehr Luft und Zeit, seine Neuverschuldung wieder unter die vereinbarte Obergrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zurückzuführen. Spaniens Minus dürfe in diesem Jahr 6,3 Prozent statt der bislang vereinbarten 5,3 Prozent erreichen, sagten die EU-Diplomaten. Im kommenden Jahr soll das Ziel dann 4,5 Prozent sein. Erst 2014 und damit ein Jahr später als bisher geplant soll es auf 2,8 Prozent sinken.
Im Gegenzug will die EU aber die spanische Haushaltspolitik engmaschiger kontrollieren und eine regelmäßige Überprüfung einführen. "Die spanische Regierung sollte alle drei Monate über die Fortschritte berichten", heißt es in einem Entwurf für ein EU-Dokument, das die Grundlage für die Beratungen am Dienstag ist.
Spaniens Wirtschaft schrumpft in Rekordtempo
Das Papier zeichnet ein düsteres Bild von der spanischen Lage und schließt nicht aus, dass das Euro-Land nicht einmal das inzwischen um insgesamt zwei Prozentpunkte gelockerte Defizitziel erreichen wird. Die Wirtschaft des Landes werde voraussichtlich in diesem und im kommenden Jahr so stark schrumpfen wie nie zuvor, heißt es darin. Die Pläne stünden damit unter erheblichen Risiken. "Eine weitere Verschärfung der wirtschaftlichen Krise und Gefahren auf regionaler Ebene könnten eine noch größere Abweichung nach sich ziehen." Auch die 17 Regionen des Landes sind hochverschuldet. Sie wollen noch in dieser Woche einen Plan vorlegen, wie sie ihre Lage in Griff bekommen können.
An den Finanzmärkten nahm das Misstrauen gegenüber Spanien wieder spürbar zu: Die Renditen auf Schuldenpapiere aus dem südeuropäischen Land stiegen auf Prozentsätze, die auf Dauer als nicht finanzierbar gelten.
Spanien kämpft gegen eine massive Bankenkrise. Allein die Bankia will vom Staat für seine Sanierung insgesamt mehr als 23 Mrd. Euro. Vor allem eine Vielzahl "fauler" Immobilienkredite hat die Bankenbranche in die Krise gestürzt. Der Staat, der selbst unter einer hohen Schuldenlast ächzt, hat das Geld zur Bankenrettung nicht in der Kasse. Er kann es sich auch nicht ohne Weiteres auf den Kapitalmärkten besorgen – derzeit liegt die Rendite für die Zehnjahresanleihen bei rund sieben Prozent und damit auf einem Niveau, das langfristig als nicht tragbar gilt.
Diplomaten zufolge muss die Regierung in Madrid im Gegenzug für das Entgegenkommen weitere Einschnitte im öffentlichen Haushalt zusagen. "Darüber wird am Dienstag beim Treffen der EU-Finanzminister geredet", sagten die Diplomaten. De Guindos will demnach ein Paket aus Einsparungen und Steuererhöhungen vorstellen, das 30 Mrd. Euro einbringen soll. Allein für dieses Jahr schlage er Maßnahmen im Umfang von zehn Mrd. vor, sagten Regierungsvertreter.
Quelle: jga/nne/che/rts/dpa/AFP