Wirtschaft

Tony's Comeback Fiat höhlt Chrysler aus

Produktion des Chrysler Grand Voyager: Die Rettung des amerikanischen Traditionsunternehmens ist ungewiss.

Produktion des Chrysler Grand Voyager: Die Rettung des amerikanischen Traditionsunternehmens ist ungewiss.

Die Chrysler-Sanierung durch Fiat läuft nicht so glatt wie erhofft. Am 4. November soll ein Masterplan bekanntgegeben werden. Erste Details lassen erahnen, wie weit die Italiener wirklich durchgreifen müssen. Es wird schmerzhaft werden.

Ganz so hatte sich Fiat-Chef Marchionne das Comeback der Kernmarke Fiat in den USA nicht vorgestellt. Der Italo-Kanadier war in seinem europäischen Heimatland nach der Übernahme von Chrysler regelrecht gefeiert worden. "Heute kann Italien stolz sein", sagte der sonst eher nüchterne Staatspräsident Giorgio Napolitano nach dem Deal. Nach dem Rausch folgte der Kater, denn mit Chrysler haben sich schon mehrere Autobauer verhoben. Und auch Fiat scheint erst mal der Spaß an der schieren Größe vergangen zu sein, denn das Unternehmen mit Sitz in Detroit ist ein todkranker Patient. Anfang November will Fiat einen Fünf-Jahres-Plan für den Gesamtkonzern vorlegen.

In Auburn Hills herrscht schon länger der Blues. Es war nicht lustig in den letzten Jahren, den Niedergang des stolzen Chrysler-Imperiums mit anzusehen. Als 1998 die Fusion zwischen Daimler und Chrysler zwischen Jürgen Schrempp und Robert Keaton beschlossen wurde, herrschte noch Aufbruchstimmung im nördlichen Stadtteil von Detroit. Keine Übernahme, eine Fusion unter Gleichberechtigten sollte es werden, was die Deutschen und der Chrysler-Chef da beschlossen hatten. Die Allianz hielt nur rund neun Jahre. Daimler hat der Spaß mindestens 35 Milliarden Euro gekostet. Das ist die Summe, um die der Wert des Unternehmens seit 1998 gesunken ist. Schmale 4,5 Milliarden Dollar hat der Finanzinvestor Cerberus 2007 noch für die Anteile an Chrysler bezahlt.

30 Jahre Niedergang

Im Grunde dauert der Niedergang des drittgrößten US-amerikanischen Autobauers seit den Siebzigern an. 1979 stand Chrysler vor dem Konkurs und überlebte nur mit 1,5 Milliarden Dollar Steuergeldern. Mit einer aggressiven Marketingkampagne gegen die erstarkenden Mitbewerber aus Japan und massivem Lobbying, das die Durchsetzung weiterer Staatsgarantien zur Folge hatte, konnte sich der wankende Riese auf den Beinen halten. Damals konnten neue, innovative Produkte den Konzern vorerst retten.

Italien erobert die USA: Chrysler-Chef Marchionne (l.) mit dem italienischen Wirtschaftsminister Scajola in Detroit.

Italien erobert die USA: Chrysler-Chef Marchionne (l.) mit dem italienischen Wirtschaftsminister Scajola in Detroit.

Die sollen dieses Mal, so der Plan von Fiat, aus Italien kommen. Man will den US-Boys zeigen, wie Kleinwagen gehen und wie sie sich am besten verkaufen lassen. Nach der Insolvenz von Chrysler im vergangenen Jahr leben die Amerikaner aber immer noch auf Pump. Erst wenn alle staatlichen Kredite, etwa 15 Milliarden Dollar, zurückgezahlt sind, darf Fiat seinen Anteil von derzeit 20 Prozent auf 35 Prozent und später gar bis zu einer Mehrheitsbeteiligung erhöhen. Also ist erst mal Sparen angesagt. Denn Fiat steht selbst mit dem Rücken zur Wand. Auf 5,9 Milliarden Euro beläuft sich der Schuldenberg der Italiener. Eigentlich haben sich zwei am Tropf hängende Patienten zusammengefunden.

Fiats Comeback in den USA

15 Jahre ist es her, dass Fiat das chronisch defizitäre US-Geschäft aufgab. Der Ruf war ruiniert, die Zahlen katastrophal. "Fix it again, Tony" (Repariere es noch mal, Tony), war das Synonym für die Autos "made in Italy". Mit dem Einstieg bei Chrysler nimmt Fiat einen neuen Anlauf auf dem immer noch größten Automarkt der Welt. Mehr als zehn Millionen Fahrzeuge werden jährlich dort abgesetzt, trotz der Krise.

Damit das Unternehmen USA ein Erfolg wird, nimmt Fiat jetzt Chrysler als Sprungbrett. Ab 2011 sollen die ersten Modelle mit dem Chrysler-Stern auf und Fiat-Technik unter der Haube auf den Markt kommen. Den Anfang macht der Fiat 500, der auch als solcher in Übersee verkauft wird und dort gegen den erfolgreichen Mini von BMW antreten soll. Ob der sehr europäische Kleinstwagen in den USA erfolgreich sein wird, bleibt abzuwarten. Möglicherweise fristet er auch nur ein Nischendasein im automobilen Kuriositätenkabinett. Ab 2012 soll dann die hauseigene Premiummarke Alfa Romeo in den USA auftrumpfen. Der Chrysler Sebring soll auf einer Alfa-Plattform neu aufgelegt werden. Das Modell 300 soll mit Fiat-Technik überarbeitet werden, ebenso wie der Jeep Grand Cherokee.

Kahlschlag in der Modellpalette

Die Marke Dodge hingegen wird aufgespalten in einen Pkw-Teil und eine Sparte für die in den USA so beliebten Pickups. Bei den Pickups wird sich vorerst nicht viel ändern. Der Ram, das Vorzeigemodell, wird weiter gebaut. Sollte die Sparte aber nicht funktionieren, dann lässt sie sich rasch abwickeln. Bei den Pkws wird es wohl schmerzhaft werden. Der kompakte Caliber, der Geländewagen Nitro und das Mittelklassemodell Avenger sollen aufgegeben werden. Noch härter wird es Jeep treffen. Der traditionsreiche Geländewagenbauer wird mittelfristig die Modelle Compass, Commander und Patriot einstellen. Das ist die Hälfte des Angebots.

Für den Jeep Commander kommt wohl bald das Aus. Damit dürfte er aber nicht alleine sein.

Für den Jeep Commander kommt wohl bald das Aus. Damit dürfte er aber nicht alleine sein.

Das dürfte erst der Anfang eines schmerzhaften Prozesses sein. Denn der neue Chrysler-Chef Marchionne hat wohl nicht geahnt, was ihn in Detroit wirklich erwartet. Auf der IAA im September räumte er ein, auf einen "Berg voller Überraschungen" gestoßen zu sein. "Wir waren überrascht, wie wenig in den vergangenen 24 Monaten gemacht wurde", sagte der charismatische Top-Manager hinsichtlich der Zukunft von Chrysler.

Sinkende Marktanteile

Das Unternehmen Chrysler-Rettung entwickelt sich immer mehr zu einer Herkules-Aufgabe. 5,5 Millionen Autos will Fiat zusammen mit Chrysler bauen. Zwischen fünf und sechs Millionen sieht Marchionne die Grenze für eine langfristige Zukunftsfähigkeit des Konzerns. Momentan verkaufen beide aber nur 4,2 Millionen Autos, Tendenz sinkend. In den USA ist der Marktanteil von Chrysler von elf auf sieben Prozent gesunken.

Der amerikanische Traum: Dodges Pickup Ram. Ein Urgestein des US-Markts.

Der amerikanische Traum: Dodges Pickup Ram. Ein Urgestein des US-Markts.

Für eine erfolgreiche Sanierung von Chrysler fehlt es Fiat an Geld und vor allem an Zeit. Etwa zwei Jahre halten wohl die Finanzreserven bei Chrysler noch. Doch die Einführung der Fiat-Technik in die neuen Modelle kostet Geld. Dabei ist die Übernahme perfide eingefädelt. Die 20 Prozent Anteil hat Fiat allein mit Technologietransfer bezahlt. Für jeden weiteren Transfer bekommen die Italiener weitere fünf Prozent an Anteilen. Eine Übernahme durch die Hintertür.

Misserfolg einkalkuliert?

Noch gibt man sich bei Chrysler optimistisch über die Perspektiven des Unternehmens. Marchionne wird es schon schaffen, heißt die Devise. In der Branche ist man da weitaus skeptischer. Warum sollte ihm in schlechten Zeiten gelingen, was Daimler und Cerberus in guten Zeiten nicht geglückt war? Wahrscheinlich hat Marchionne insgeheim auch ein Scheitern der Pläne einkalkuliert. Die ganze Geschichte hat Fiat bisher kaum etwas gekostet. Wenn alle Stricke reißen, könnte er Chrysler einfach abwickeln und die wertvolleren Marken Jeep und Dodge verkaufen. Dann hätte er immerhin seinen Einsatz wieder raus und dürfte als Filetstück das weit verzweigte Händlernetz in den USA behalten.

Der Chrysler 300 dürfte bald viel Fiat-Technik unter Haube haben.

Der Chrysler 300 dürfte bald viel Fiat-Technik unter Haube haben.

Dennoch bleibt die Prämisse, dass Fiat selbst auf dem US-Markt erfolgreich sein muss. Die deutschen Autobauer kämpfen seit Jahren um ihre eher kleinen Marktanteile und produzieren bereits dort. Das ist durch den schwachen Dollar zwar billig, aber keine Erfolgsgarantie. BMW als größter deutscher Hersteller verkauft mittlerweile rund 250.000 Autos in den USA. Zum Vergleich: Alfa Romeo bringt weltweit gerade mal 130.000 Fahrzeuge an den Kunden. Und die Bayern müssen nicht mit den Vorurteilen der Vergangenheit leben. Die Deutschen stehen eher für Wertarbeit im Premiumsegment, was man von Alfa nicht behaupten kann. So bleibt die Eroberung Amerikas durch Italien ein Unternehmen mit ungewissem Ausgang.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen