Betrüger oder kleines Rädchen? Gericht verurteilt Kerviel
05.10.2010, 10:46 UhrDer französische Börsenhändler Kerviel verursachte einen der größten Spekulationsverlust aller Zeiten. Doch während nicht nur die Anklage in ihm einen Betrüger sieht, sieht sich Kerviel als Opfer des Systems.
Nichts Geringeres als eine zentrale Frage der Finanzkrise stand zur Entscheidung: Sind für hochspekulative Aktiengeschäfte allein die einzelnen Börsenhändler einer Bank verantwortlich? Oder ist das Bankensystem so extrem auf Profit ausgelegt, dass Händler zwangsläufig die waghalsigsten Transaktionen ausführen? Konkret geht es um den französischen Skandalhändler Jérôme Kerviel, der mit der astronomischen Summe von 50 Mrd. Euro spekulierte und so die Großbank Société Générale an den Rand des Ruins brachte. Das Urteil in Paris gegen den 33-Jährigen hat daher Bedeutung weit über Frankreich hinaus.
Kerviel musste sich im Juni vor Gericht wegen Vertrauensmissbrauchs, Fälschung und betrügerischer Eingabe von Daten in das Computersystem der Bank verantworten; nun verkündete das Gericht sein Urteil. Der frühere Trader hatte mit bis zu 50 Mrd. Euro spekuliert - so viel war die Société Générale insgesamt an der Börse bewertet. Den ihm zugestandenen Risikorahmen sprengte er dabei um ein Vielfaches, nach Angaben der Bank um das 25.000-Fache. Der Société Générale entstand dadurch im Januar 2008 ein Verlust von 4,9 Mrd. Euro.
Keine Bodenhaftung
Kerviel bestreitet nicht, Fehler gemacht und die Bodenhaftung verloren zu haben. Er gibt auch zu, seine ungenehmigten Geschäfte durch Scheinaktionen verschleiert zu haben. Er versichert aber, dass seine Kollegen und Vorgesetzten genau wussten, was er tat und dies geduldet hätten, solange es Geld eingebracht habe. "Wir haben das alle gemacht, wir waren darauf trainiert, wir wurden dafür bezahlt", sagte Kerviel. Er wolle nicht der "Sündenbock" der ganzen Bank sein.
Für die Anklage hingegen ist Kerviel "ein professioneller Betrüger", "Lügner", "Manipulator" und "Zyniker", der ganz gezielt ein System aufgebaut habe, um das Vertrauen der Bank auszunutzen. Die Staatsanwaltschaft fordert deshalb vier Jahre Haft für Kerviel und ein Jahr zusätzlich auf Bewährung.
"Monströse" Geschäfte
Die Société Générale räumte im Prozess zwar Schwächen in ihrem Kontrollsystem ein, hält Kerviel aber eindeutig für den Schuldigen, weil der die schwindelerregenden Spekulationen verschleiert und seine Vorgesetzten belogen habe. Der frühere Chef der Société Générale, Daniel Bouton, der später seinen Posten räumen musste, sprach von "monströsen" Geschäften. Von Kerviel verlangt die Bank die 4,9 Mrd. Euro Schaden zurück.
Die Verteidigung argumentierte von Anfang an, dass Kerviel nur ein Rädchen im Finanzsystem gewesen sei. Die Bank "züchte" aus finanziellem Interesse Händler wie Kerviel heran, sagte dessen Verteidiger, Staranwalt Olivier Metzner. Der Angeklagte hatte mehrfach versichert, dass er sich nie persönlich bereichert habe. "Ziel war, für die Bank Geld zu verdienen", sagte Kerviel vor Beginn des Prozesses und fügte hinzu: "Man verliert das Gefühl für Summen, wenn man in diesem Beruf arbeitet."
Seine Kollegen bekamen laut Kerviel mit, was er tat: "Wir arbeiten einer neben dem anderen, und wir können genau hören, was jeder einzelne am Telefon sagt." Doch im Rennen um Geschäft und Profite habe er sich von einer "selbstverstärkenden Spirale mitreißen lassen", seine Vorgesetzten hätten dies noch angefeuert. Und Kerviel beteuert: "Mir wäre es recht gewesen, wenn jemand gesagt hätte, 'Hör auf mit dem Unsinn'."
Quelle: ntv.de, AFP