Fuest fordert zehn Jahre Übergang Ifo-Chef warnt vor hartem Brexit
23.10.2016, 12:18 Uhr
Bei einem harten Brexit fürchtet Ifo-Chef Fuest um die Wirtschaft ganz Europas.
(Foto: dpa)
Premier Theresa May kündigt einen harten Ausstieg Großbritanniens aus der EU an. Dort droht man mit dem Entzug des Zugangs zum Binnenmarkt. Ifo-Chef Fuest hält nicht viel von dieser Konfrontation. Er macht einen ganz anderen Vorschlag.
Der Chef des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, hat vor einem harten EU-Austritt Großbritanniens gewarnt und für ein Übergangsszenario geworben. "Ich hoffe, dass alle Seiten zur Vernunft kommen und es zu keinem harten Brexit kommt", sagte er in Berlin.
Der Top-Ökonom warb für eine Übergangsphase nach dem offiziellen EU-Austritt von möglicherweise bis zu zehn Jahren, damit Großbritannien nicht plötzlich aus dem europäischen Binnenmarkt austrete und Zeit bestehe für neue Abkommen. Für die Zeit danach könnten die langfristigen Beziehungen der Briten mit der EU geklärt werden: "Das wäre der eleganteste und wohl einzig mögliche Weg."
Damit stellt sich der ifo-Präsident gegen die bisherige Linie von EU-Politikern, wonach Großbritannien nur Zugang zum Binnenmarkt behalten solle, wenn das Land Freizügigkeit von EU-Bürgern akzeptiere. Premierministerin Theresa May hatte einen harten Brexit angekündigt. Sie will die Zuwanderung begrenzen, womit das Vereinigte Königreich den Zugang zum EU-Binnenmarkt verlöre.
Bankenchef erwartet Abwanderung
Der Chef des britischen Bankenverbands geht derweil davon aus, dass wegen des geplanten Brexits bereits vor Weihnachten erste Banken Großbritannien teilweise den Rücken kehren werden. Das sagte Anthony Browne von der British Bankers' Association dem britischen "Observer". Als Grund sieht er den Kurs der britischen Regierung in Richtung eines "harten Brexit".
Britische Finanzdienstleister bangen bei einem britischen Austritt aus dem Europäischen Binnenmarkt um das Recht, ihre Produkte innerhalb der EU ohne Weiteres zu verkaufen. Deshalb wird seit Langem spekuliert, sie könnten Teile ihrer europäischen Niederlassungen an andere Standorte verlegen, beispielsweise nach Frankfurt am Main. "Die meisten internationalen Banken haben jetzt Projekt-Teams, die sich damit beschäftigen, welche Maßnahmen sie benötigen, um Kunden weiter bedienen zu können", sagte Browne. "Viele kleine Banken planen, die Verlagerungen vor Weihnachten zu beginnen. Bei den größeren Banken wird damit im ersten Quartal nächsten Jahres gerechnet."
"Neu anfangen, miteinander zu reden"
Mit Blick auf den Wertverfall der britischen Währung und des Londoner Aktienindex sagte Fuest, die Finanzmärkte hätten klare Worte gesprochen. Der Wertverfall bedeute einen starken Wohlstandsverlust für die Briten. Jetzt gebe es in Großbritannien ein Nachdenken darüber, wie man "den Schaden begrenzen" könne. "Eines ist klar: Wenn der Verfall des Pfundes weiter geht, wird die britische Regierung ihren Kurs nicht halten können", sagte der ifo-Chef. Schließlich sei den Briten vor dem Votum versprochen worden, sie könnten den Brexit bekommen und dabei noch Geld sparen.
Zu den jüngsten Äußerungen Mays sagte er: "Es wird nicht alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird." Die Regierungschefin habe damit auf die Debatte in Großbritannien reagiert, ob es überhaupt einen Austritt geben werde - sowie auf den Vorwurf der EU, London wolle sich nur die Rosinen herauspicken. May sei gezwungen klarzustellen, dass man keine Sonderbehandlung erwarte. Nach innen habe sie mit dem Schwenk zu mehr Interventionismus und Kritik an politischen Eliten populistische Töne angeschlagen. Bei der Zuwanderung werde May aber letztlich liefern müssen.
Quelle: ntv.de, mli/dpa