Game Changer im Flugzeugbau? Japanischer MRJ hebt zum Erstflug ab
11.11.2015, 10:40 Uhr
Gefeierter Jungfernflug: Der Mitsubishi MRJ hebt in Nagoya ab.
(Foto: REUTERS)
Flugzeugbau ist prestigeträchtig und gut für die Handelsbilanz. Verschiedene Länder machen sich derzeit auf, mit einer neuen Generation von Regionalflugzeugen die Dominanz des Westens zu brechen. Japan versucht es mit Spitzentechnologie.
Japans erster heimischer Passagierjet seit Jahrzehnten hat seinen Jungfernflug absolviert. Mit rund vier Jahren Verspätung hob der zweimotorige Mitsubishi Regional Jet (MRJ) am Morgen vom Flughafen Nagoya ab. Der Hersteller Mitsubishi Heavy Industries bietet den Jet zunächst in zwei Varianten für 70 oder für 90 Passagiere an. Die Flugerprobung soll mit fünf Prototypen stattfinden, die internationale Zulassung wird für das erste Halbjahr 2017 erwartet.
Die Ziele, die sich die Japaner mit dem MRJ gesteckt haben, sind ehrgeizig: Man rechne damit, dass in den nächsten 20 Jahren eine weltweite Nachfrage für bis zu 5000 Flugzeuge in der Größe des MRJ bestehe. Davon will sich Mitsubishi einen Marktanteil von 50 Prozent sichern, wie der Präsident von Mitsubishi Aircraft, Teruaki Kawai, dem "Wall Street Journal" sagte.
Ob dies gelingen kann, scheint fraglich, denn der MRJ sieht sich harter Konkurrenz ausgesetzt. Auf dem Markt für Regionalflugzeuge schicken sich immer mehr Player an, mitzumischen. Derzeitiger Marktführer ist der brasilianische Hersteller Embraer, der gerade neue Varianten seiner äußerst erfolgreichen E-Jet-Familie entwickelt. Bombardier ist da schon einen Schritt weiter: Die etwas größeren Flieger der CSeries befinden sich bereits in der Flugerprobung. Allerdings haben Verzögerungen in der Entwicklung den ganzen Konzern in eine schwere Finanz-Krise gestürzt, die Zukunft des Programms scheint derzeit offen.
Russland, China: Die Konkurrenz ist groß
Konkurrenz im für Mitsubishi wichtigen asiatischen Markt kommt aus Russland und China. Beide Länder wollen die Dominanz westlicher Hersteller im Flugzeugbau langfristig brechen und machen den Anfang mit eigenen Regionalflugzeugen. Der russische Suchoi Superjet fliegt schon einige Jahre, ist aber wohl nicht so effizient wie die neueren Modelle, zum Beispiel die mit westlichen CFM-Triebwerken gebaute C 919 des chinesischen Konsortiums Comac. Der Jet wurde in der letzten Woche erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt, der Jungfernflug soll im nächsten Jahr erfolgen.
Die Konkurrenz der Hersteller ist vor allem ein Wettlauf um Effizienz. Für die großen Fluggesellschaften sind die direkten Betriebskosten und hier an erster Stelle der Treibstoffverbrauch das alles entscheidende Kriterium. Mitsubishi verspricht für seinen MRJ 20 Prozent niedrigere Betriebskosten als derzeit verfügbare Konkurrenzmodelle.
Leichtbau und aerodynamische Optimierung bieten Verbesserungen, so sind beispielsweise Winglets, also die nach oben gebogenen Flügelspitzen, oder der großflächige Einsatz von leichten und festen Verbundwerkstoffen anstatt Aluminium mittlerweile Standard in der Luftfahrtindustrie. Doch die großen Effizienz-Sprünge, die auch Boeing und Airbus mit der 787 respektive der A350 gemacht haben, sind vor allem einer neuen Generation von Triebwerken zu verdanken.
Sprunghafte Entwicklung bei den Triebwerken
Den revolutionärsten Ansatz verfolgt hierbei der US-Hersteller Pratt & Whitney. Das PW1000G PurePower befindet sich derzeit in der Flugerprobung und soll sowohl Airbus A320neo als auch den MRJ, die CSeries und ab 2018 die neuen E-Jets von Embraer antreiben. Der große Unterschied zu bisherigen Triebwerksmodellen: Es handelt sich um ein sogenanntes Getriebefantriebwerk. Zwischen den Fan, also den von außen sichtbaren vorderen Rotor des Triebwerks und die dahinter liegende Niederdruckturbine, in der die anströmende Luft für die Brennkammer verdichtet wird, haben die Ingenieure ein Untersetzungsgetriebe eingebaut. Damit können sowohl der Rotor als auch die Turbine im für sie optimalen Drehzahlbereich arbeiten. Die zu erwartende Verbauchssenkung gegenüber konventionellen Triebwerken beträgt mehr als zehn Prozent, eine gigantische Verbesserung.

Hinter der Nabe sitzt ein Planetengetriebe: Im ultramodernen PW1000G-Triebwerk sehen die Flugzeughersteller die Zukunft.
(Foto: REUTERS)
Die Idee dazu ist zwar schon seit Jahrzehnten bekannt, doch technische Risiken hielten die großen Triebwerkshersteller lange von der Entwicklung eines Geared Turbofan für große Passagierflugzeuge ab. Neue Materialien und Herstellungsprozesse machen es nun möglich, ein Getriebe zu bauen, das die enormen Kräfte und Temperaturen in einem Jet-Triebwerk mit der nötigen Zuverlässigkeit stemmen kann. Die Zulassung für die A320neo-Variante des PW1000 wird in den kommenden Monaten erwartet.
Für den angestrebten Erfolg braucht es mehr Aufträge
Für die japanische Luftfahrtindustrie stellt der zweimotorige Mitsubishi Regional Jet einen Neubeginn dar. Seit dem verlorenen Zweiten Weltkrieg und dem anschließenden vorübergehenden Verbot zum Bau eigener Flugzeuge gab es nur die Propellermaschine YS-11 als einziges Passagierflugzeug "made in Japan", dessen Fertigung im Jahre 1973 auslief.
Seither beschränkte sich die Luftfahrtindustrie der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt auf die Rolle als Teilezulieferer für ausländische Hersteller wie Boeing und Airbus. Vor allem Mitsubishi konnte hier umfangreiche Erfahrungen im hochtechnologischen Flugzeugbau sammeln. Die Entwicklungskosten für den MRJ gibt das Unternehmen mit knapp 2,5 Milliarden Dollar an, der Katalogpreis für eine Maschine liegt bei 47 Millionen Dollar. Allerdings sind in der hart umkämpften Luftfahrtbranche starke Preisnachlässe für Großkunden üblich.
Ob sich der MRJ auf dem Markt für Regionalflugzeuge erfolgreich durchsetzen kann, hängt nach Ansicht von Branchenexperten entscheidend von der ausländischen Nachfrage in den nächsten zwei bis drei Jahren ab, bevor neueste Konkurrenzmodelle auf den Markt kommen. Der Konzern hat bereits 407 Bestellungen aus dem In- und Ausland. Der erste Betreiber wird der japanische Groß-Carrier All Nippon Airways (ANA) sein, der die erste Serien-Maschine 2017 erwartet.
Quelle: ntv.de