Spekulationen um Stracke-Abgang Opel fürchtet Imageschaden
13.07.2012, 10:40 Uhr
Opelaner appellieren an GM: "Wir brauchen dringend eine Öffnung der außereuropäischen Märkte und eine neue Modelloffensive."
(Foto: REUTERS)
Nach dem Paukenschlag bei Opel liegen die wahren Hintergründe für den unerwarteten Rücktritt von Karl-Friedrich Stracke weiter vollkommen im Dunkeln. Einzelne Beobachter verweisen auf zuletzt schwache Absatzzahlen. Auto-Experte Dudenhöffer rechnet dagegen fest mit einer "knallharten Sanierung".
Am Tag nach dem überraschenden Rücktritt von Opel-Chef warnt der Betriebsrat des Opel-Werkes Bochum eindringlich vor einer erneuten Diskussion über Werksschließungen. Das würde die Belegschaften und Autokunden weiter verunsichern und hätte nachweisbar einen nicht reparablen Imageschaden und weitere Marktanteilsverluste für die Marke Opel zur Folge, erklärte Betriebsratschef Rainer Einenkel.
Entscheidend für die Belegschaften werde sein, dass der dringend notwendige Wachstumskurs umgesetzt werde und keine Kahlschlagpolitik erfolge. "Wir brauchen dringend eine Öffnung der außereuropäischen Märkte und eine neue Modelloffensive", unterstrich der Arbeitnehmervertreter. Über die Hintergründe von Strackes unerwartetem Rückzug wird unterdessen nicht nur in Bochum lebhaft spekuliert. Der US-Mutterkonzern General Motors (GM) wollte die Aufsehen erregenden Wechsel zunächst nicht weiter kommentieren. Stracke selbst trat ohne Angaben von Gründen zurück.
Der 56-Jährige gab zugleich auch den Posten als Präsident von GM Europe ab, um künftig "Sonderaufgaben für GM" zu übernehmen. Worum es dabei genau geht, blieb offen. Stracke soll künftig direkt an GM-Chef Dan Akerson berichten. Stracke war erst im Januar 2012 zum Präsidenten des GM-Europageschäfts ernannt worden. Die Geschäfte von GM in Europa mit den Hauptmarken Opel/Vauxhall soll kommissarisch der GM-Vize und Opel-Aufsichtsratschef Stephen Girsky führen.
Der überraschende Abgang Strackes löste an den deutschen Opel-Standorten erhebliche Unruhe aus. Nicht nur an den Fließbändern kursieren seitdem wilde Gerüchte über die wahren Hintergründen der Personalentscheidung: Zeitungsberichten zufolge musste der Opel-Chef seinen Posten wegen schwacher Absatszahlen räumen. Das Management der Opel-Mutter GM habe unter anderem aufgrund schlechter Verkäufe nicht mehr daran geglaubt, mit Stracke an der Spitze die Wende bei Opel zu schaffen, berichtete die "Bild"-Zeitung unter Berufung auf eine mit den Vorgängen vertraute Person. In einem Bericht der "Financial Times Deutschland" hieß es dagegen, Strackes "Ideenlosigkeit" habe den Mutterkonzern zu einem kurzfristigen Wechsel bewegt.
Dudenhöffer erwartet Einschnitte
Im Umfeld der Opel-Standorte wurden dagegen ganz andere Gründe vermutet: Stracke habe seinen Gesprächspartnern in der Politik wohl zu viele Zusagen gemacht. Mit seinem Abgang räume GM nun den Weg frei für neue Einschnitte. Die Neuzulassungen von Opel in Deutschland waren im ersten Halbjahr 2012 laut Kraftfahrt-Bundesamt um 9,3 Prozent zurückgegangen. Laut "Bild" brach der Absatz insgesamt um acht Prozent ein, bedingt unter anderem durch die Krise in Südeuropa. Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer rechnet nun mit harten Einschnitten: "Jetzt kommt die knallharte Sanierung. Mitarbeiter werden rausgeschmissen, Werke geschlossen", sagte er der "Bild"-Zeitung. Sogar der komplette Rückzug aus Europa sei denkbar.
Erst Ende Juni hatte der seit Jahren ums Überleben kämpfende Traditionshersteller mit seinen deutschen Werken in Rüsselsheim, Bochum, Eisenach und Kaiserslautern erneut ein Sanierungskonzept vorgelegt. Von Werksschließungen oder Stellenabbau war darin keine Rede mehr. Stattdessen sollen teure Überkapazität abgebaut werden, indem Modelle wie der kleine SUV Mokka, der Antara oder der Agila nicht mehr in Korea, sondern in Europa vom Band rollen. Der Plan greift zudem bereits angekündigte Investitionen in die Produktpalette von Opel/Vauxhall auf. Geplant sind zum Beispiel 23 neue Modelle in den kommenden vier Jahren. Unter anderem soll ab 2013 der Kleinstwagen Adam bei den Händlern zu haben sein.
Opel an Zusagen gebunden
Hessens SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel wertete den Weggang Strackes als "alarmierendes Signal für Opel in Hessen und Europa". Die Stadt Rüsselsheim zeigte sich von dem Rücktritt überrascht. Die nordrhein-westfälische Landesregierung, die derzeit mit dem Autobauer über die Zukunft des Bochumer Opel-Werkes verhandelt, reagierte irritiert. "Was Opel am Dringendsten braucht, ist Vertrauen. Solche überraschenden Personalwechsel tragen nicht dazu bei", sagte NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) der "Rheinischen Post".
Der Autobauer ist nach Ansicht von Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) an sämtliche Verträge und Zusagen gebunden. Stracke habe ihm im Mai zugesichert, dass der Traditionsstandort Rüsselsheim in seiner jetzigen Form erhalten bleibe, erklärte der CDU-Politiker. Außerdem habe Stracke zugesagt, dass die Produktion des Opel Astra in Rüsselsheim bis Ende 2014 sicher sei.
"Die Arbeitnehmervertreter erwarten nun, dass schnellstmöglich ein geeigneter Nachfolger gefunden wird, der die Adam Opel AG führt", ließ Gesamtbetriebsratschef Wolfgang Schäfer-Klug mitteilen. Mit Girskys Benennung zum Präsidenten von GM Europe zeige der Autoriese aus Detroit, "dass das Europageschäft ein Eckpfeiler des Konzerns ist". Es gelte nun, den Sanierungskurs bei Opel "im gegenseitigen Vertrauen fortzusetzen", erklärte Schäfer-Klug.
Opel hatte am Vortag überraschend den Rückzug Strackes verkündet. Der 56-Jährige hatte seinen Posten erst im April vergangenen Jahres angetreten. Als Nachfolger werden "Bild" zufolge derzeit zwei Opel-Manager gehandelt. Aussichtsreicher Kandidat sei Strategievorstand Thomas Sedran. Der Manager ist im Opel-Vorstand derzeit für den Bereich Strategie zuständig. In Frage komme zudem Produktionsvorstand Peter Thom.
Am Tag vor Strackes Rückzug hatte die "Bild"-Zeitung ein Interview mit dem Opel-Chef veröffentlicht. Stracke räumte darin ein, Opel müsse "noch viel tun, um wettbewerbsfähiger zu werden". Die Konzernmutter GM sei "zu Recht ungeduldig mit uns".
Quelle: ntv.de, rts