Gegen den Strich Obama irrt
13.09.2011, 15:09 UhrDie Europäer sollen sich, geht es nach Obama, mit Konjunkturpakete aus der Eurokrise retten. Es könnte der Vorschlag eines Alkoholabhängigen sein, meint Klaus Schweinsberg. Die europäischen Bürger müssen jetzt vielmehr den Gürtel enger schnallen. Das betrifft insbesondere auch die Superreichen.
US-Präsident Barack Obama trifft mit seiner aktuellen Kritik an Europas Führungsvakuum ins Schwarze. Seine Forderung nach Hilfsprogrammen zielt indes ins Leere. Es stimmt, die unkoordinierte Art und Weise wie die Länder der Eurozone mit der Krise umgehen, ist lamentabel und brandgefährlich. Der Vorschlag von Obama, der Schuldenwirtschaft in Europa durch konjunkturstimulierende Hilfspakete beizukommen, ist falsch. Er ist nicht mehr als der Ruf nach transatlantischer Solidarität in Sachen Disziplinlosigkeit beim Geldausgeben. Das Verhalten der USA gleicht jenem eines Alkoholabhängigen, der seine Tischgenossen unbedingt zum eifrigen Mitzechen überreden will.
Schon beim G7-Treffen am Wochenende schwang sich Obamas Finanzminister zum Wortführer derjenigen auf, die insbesondere von Deutschland fiskalpolitische Anreize für die Konjunktur erwarten.
Zweifellos würde ein starkes Wirtschaftswachstum in der Euro-Zone und in den USA gar manche akute Sorge lösen: Hohes Wachstum würde das Defizitproblem vieler Euro-Länder und der USA quasi von selbst lösen. Hohes Wachstum generiert hohe Steuereinnahmen und Sozialbeiträge, mindert andererseits die Staatsausgaben für Arbeitslosigkeit und Grundsicherung. Wie in Deutschland in diesem und im vergangenen Jahr. Eine Rezession in Kerneuropa und Stagnation in den USA würden die ökonomischen Probleme kurzfristig vergrößern. Die Verschuldung wird sogar wieder steigen, nicht abnehmen. Die Schuldenkrise in der Euro-Zone würde sich zuspitzen.
Ein Konjunkturprogramm ist nicht nötig
Aber kann die Politik wie nach der Lehman-Pleite und wie sie dem US-Präsidenten vorschwebt - also erneute gewaltige Konjunkturpakete auf Pump - die Wirtschaft wirklich stützen oder gar befeuern?
1. Ein Konjunkturprogramm ist nicht nötig. Wir haben es mit einer Abschwächung der Konjunktur zu tun. Fast überall gibt es Wachstum, wenn auch nur schwaches. Ein regelrechter Einbruch der Wirtschaft wie nach der Lehman-Pleite ist nicht in Sicht. Zur Jahreswende 2008/2009 befand sich die deutsche Wirtschaft im freien Fall. Sie schrumpfte mit einer Rate von acht beziehungsweise 15 Prozent aufs Jahr gerechnet.
2. In der jetzigen Situation wären staatliche Konjunkturpakete kontraproduktiv, weil derlei Gebaren die Glaubwürdigkeit der in vielen Ländern eingeleiteten Konsolidierungspolitik an den Finanzmärkten restlos erschüttern würde. Die Zinsen würden steigen und insofern würde der konjunkturstimulierende Ausgabeneffekt mehr als zunichtegemacht.
3. Sollte das vergleichsweise finanziell gefestigte Deutschland nicht solidarisch sein und mit einem Konjunkturpaket eine Lokomotivrolle übernehmen? Aufschlussreich ist diesbezüglich eine Studie des Internationalen Währungsfonds aus dieser Woche. Bezeichnenderweise ist der IWF immer eine der ersten Institutionen, die eine staatliche Nachfragepolitik fordert. Das Ergebnis der neuen Studie lautet, dass der Effekt der Finanzpolitik eines Staates über die Grenzen hinweg quasi null ist. Die Metapher von der Lokomotive für die Weltkonjunktur bzw. die Euro-Zone ist demnach eine Schimäre.
4. Spielraum, wenn auch nur sehr begrenzten, hätte die europäische Notenbank. Zwar sind die Zinsen extrem niedrig, in Deutschland sind sie auf einem Rekordtief. In den hochverschuldeten Ländern hilft die Notenbank mit dem Aufkauf von Regierungsanleihen, die Zinsen auf einem noch erträglichen Niveau für die Sorgenkinder Spanien und Italien zu halten. Aber die EZB sollte vor dem Hintergrund der Abschwächung der Weltkonjunktur und in der Euro-Zone erst einmal eine Pause in dem Zinserhöhungszyklus einlegen. Eine solche Politik des Abwartens kann den europäischen Banken helfen, Geld über eine hohe Zinsmarge durch Kreditvergabe zu verdienen und so die dünne Eigenkapitalbasis zu stärken. Eine solche Politik erscheint ohne Risiko für die Preisstabilität möglich. Denn angesichts der weltweiten Abschwächung der Konjunktur dürften die Rohstoffpreise sinken.
Anfangen, der Wahrheit ins Gesicht zu schauen
Europa sollte Obamas Analyse ernst nehmen, seine Forderung nach Konjunkturprogrammen indes schlicht ignorieren. Die westlichen Länder müssen endlich anfangen, der Wahrheit ins Gesicht zu schauen. Politisch führen heißt jetzt, uns ehrlich zu machen. Hände weg von Konjunktur- bzw. Jobpaketen. Der Westen muss lernen, dass er - Bürger, Unternehmen, öffentliche Hände - in den 90er und nuller Jahren auf Pump das Wachstum dieser zweiten Dekade verzehrt hat. In den einen Ländern mehr, in anderen weniger. Das Wachstum wurde so auf ein künstlich hohes Niveau getrieben. Dafür muss jetzt die Rechnung bezahlt werden. Wir alle müssen über Jahre hinweg den Gürtel enger schnallen und runterkommen von den hohen Schulden. Um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern, brauchen wir - horribile dictu - vorübergehend wohl auch eine Sonderabgabe von den Superreichen, den Kapitalbesitzern, die überproportional in den letzten Jahrzehnten von der ökonomischen Entwicklung profitiert haben. Die Lohnquote dagegen ist dramatisch gesunken.
Es muss erst mal schlimmer kommen, damit es besser wird: in der Euro-Zone und in den USA. Wir brauchen eine Politik der ruhigen Hand, nicht der zuckenden.
Prof. Dr. Klaus Schweinsberg ist Gründer des Centrums für Strategie und Höhere Führung und Vorstand der INTES Stiftung für Familienunternehmen. Der Volkswirt und Publizist arbeitet als persönlicher Berater für große Unternehmen und Top-Manager.
Quelle: ntv.de