Fast 70.000 Streik-Opfer Qantas muss wieder fliegen
30.10.2011, 17:49 Uhr
Seit Montagmorgen (Ortszeit Sydney) wird wieder geflogen.
(Foto: AP)
Spektakuläre Wendung im bislang ungewöhnlichsten Arbeitskampf in der Geschichte Australiens: Die Fluggesellschaft Qantas muss auf Weisung eines unabhängigen Schiedsgerichts den Flugbetrieb wieder aufnehmen. An Flughäfen in aller Welt schöpfen hilflos gestrandete Passagiere Hoffnung. Qantas-Chef Joyce muss reichlich Kritik einstecken. Luftfahrt-Analysten äußern Verständnis.
Die australische Fluggesellschaft Qantas muss den Flugverkehr wieder aufnehmen. Dies ordnete ein unabhängiges Schiedsgericht am frühen Morgen (Ortszeit) an. Aus Verärgerung über einen anhaltenden Arbeitskampf mit Piloten, Ingenieuren und Bodenpersonal hatte Qantas am Samstag ohne Vorwarnung und mit sofortiger Wirkung den gesamten Flugverkehr eingestellt. Tausende Passagiere waren am Wochenende gestrandet.
Die Schiedsstelle ordnete einen 21-tägigen Waffenstillstand zwischen der Fluglinie und den Gewerkschaften an. Man hoffe, dass in dieser Zeit die Verhandlungen wieder aufgenommen werden können, teilte das Gremium "Fair Work Australia" mit. Die Gewerkschaften wurden angewiesen, keine weiteren Störaktionen zu unternehmen.
Von dem beispiellosen Flugstopp waren 108 Maschinen an 22 Flughäfen in aller Welt betroffen. Am Wochenende seien 447 Flüge gestrichen worden, mit insgesamt 68.000 Passagieren, teilte Qantas mit. Sie beziffert den Verlust auf 20 Mio. australische Dollar (rund 15 Mio. Euro) täglich und berief sich darauf, dass sie durch einen angekündigten Streik ohnehin alle Flugverbindungen aus Sicherheitsgründen hätten einstellen müssen. Qantas-Tochterunternehmen wie der Billigflieger Jetstar waren nicht betroffen. Konkurrenten wie Virgin Australia boten Sondertarife für gestrandete Qantas-Passagiere und kündigten Sonderflüge an.
Der Streit zwischen Qantas und drei Gewerkschaften zieht sich seit zwei Monaten hin. Die Gewerkschaften wehren sich gegen Qantas-Pläne einen Teil des Geschäfts ins billigere Ausland zu verlegen. Außerdem verlangen sie höhere Löhne.
Mit dem vorübergehenden Stopp des kompletten Flugbetriebs hatte die Fluggesellschaft weltweit die Reisepläne von zehntausenden Passagieren durcheinandergewirbelt. Der internationale Flugreiseverkehr wurde zusätzlich von einem Streik des Kabinenpersonals bei der französischen Fluggesellschaft Air France-KLM und der belastet.
Qantas-Chef Alan Joyce wollte mit dem ungewöhnlichen und völlig überraschenden Schritt eine Entscheidung in einem erbittert geführten Arbeitskampf erzwingen. Damit brüskierte er Ministerpräsidentin Julia Gillard, die zu einem in die westaustralische Stadt Perth geladen hatte.
Zahlreiche ihrer Amtskollegen wollten mit Qantas zurückfliegen und mussten nun andere Verbindungen buchen. Um die Flotte wieder in die Luft zu bringen, schaltete die Regierung ein Schiedsgericht ein. Dieses sollte im Streit zwischen Management und Gewerkschaften vermitteln und den Streik so schnell wie möglich beenden.
Ministerpräsidentin Gillard sagte in Perth, es gehe darum, Schaden für die Wirtschaft abzuwenden. "Die Regierung setzt sich für ein Ende des Arbeitskampfes ein", betonte sie. Deutlichere Worte fand Finanzstaatssekretär Bill Shorten, ein früherer hochrangiger Gewerkschafter. Er geißelte die Betriebsstilllegung durch Joyce als "radikale Überreaktion", die nicht gerechtfertigt sei. Zahlreiche Fluggäste und die Tourismusindustrie seien durch eine selbstherrliche Überfallaktion in Schwierigkeiten gebracht worden.
Die Ausfälle könnten sich mit ihren Nebenwirkungen und Spätfolgen zur schwersten Störung des Luftverkehrs in Australien seit mehr als 20 Jahren summieren. Die Qantas-Aktion fiel ausgerechnet auf ein Wochenende mit besonders starkem Reiseverkehr. Zehntausende auswärtige Besucher wurden allein zu dem sehr populären Pferderennen Melbourne Cup am Dienstag erwartet.
Steilvorlage für Gewerkschafter
Die Transportgewerkschaft kritisierte Joyces Vorstoß als zynisch und insgeheim von langer Hand vorbereitet. Ein reisender Geschäftsmann sprach von einem "bizarren und unfairen" Verhalten gegenüber den Kunden. Gillard musste Kritik einstecken, weil sie in den Streit bei Qantas nicht schon früher eingegriffen hatte.
Das von der Regierung angerufene Schiedsgericht kam am Sonntag zu seiner zweiten Anhörung zusammen. Mehrere Stunden lang befragten Anwälte der Gewerkschaften Qantas-Manager. Sie wollten unter anderem wissen, wann die Führungskräfte davon erfahren hatten, dass Joyce die Beschäftigten aussperren wollte.
Joyce selbst sprach im Fernsehen von einer "gewagten Entscheidung", die das Unternehmen umgerechnet 15 Mio. Euro am Tag koste. Er hoffe darauf, so sagte Joyce vor dem Schlichterspruch, dass das Schiedsgericht den Arbeitskampf beende. Dann habe Qantas wieder Planungssicherheit und könne die Flieger am Montag in die Luft schicken.
Luftfahrt-Analysten äußerten Verständnis für den Unternehmenschef. Dessen Entscheidung sei auf kurze Sicht zwar unpopulär, aber auf lange Sicht die richtige für das Unternehmen, sagte Cameron Peacock von IG Markets. Joyce will das verlustträchtige internationale Fluggeschäft sanieren. Dazu sollen einerseits 1000 Stellen gestrichen werden, andererseits aber für umgerechnet 6,4 Mrd. Euro neue Flugzeuge eingekauft werden. Piloten, Bodenpersonal und Catering-Beschäftigte laufen Sturm gegen die Pläne. Der Arbeitskampf begann im September.
Qantas-Opfer in Frankfurt am Main
Von der Stilllegung war auch der Frankfurter Flughafen betroffen. Dort fiel am Sonntag nach Betreiberangaben je ein Flug von und nach Sydney aus. Eine Maschine, die am Samstag aus Sydney kam, befand sich weiter in Frankfurt. Am Vormittag werde auch keine Qantas-Maschine landen, sagte ein Flughafensprecher.

"We sincerely apologise ...": Den Kunden verspricht Qantas in knappen Schreiben "Unterkunft, Verpflegung und Transfer".
(Foto: REUTERS)
Für anhaltende Störungen im europäischen Luftverkehr dürfte unterdessen der bereits erwähnte Streik des Kabinenpersonals bei Air France sorgen. Die Gesellschaft wollte allein am Sonntag etwa 200 Flüge streichen. Das wäre ein Fünftel des täglichen Verkehrs. Der Streik fällt auf Tage mit hohem Reiseaufkommen. Er begann am Samstag und soll noch bis Mittwoch dauern.
Dienstag ist in Frankreich - ebenso wie in einigen katholischen geprägten deutschen Bundesländern - Feiertag. Viele Franzosen haben sich für ein langes Wochenende den Montag freigenommen. In Frankfurt fielen am Sonntag von sechs geplanten Hin- und Rückflügen nach Paris einer aus, am Samstag waren es zwei von fünf. Zu den Verbindungen am Montag könne er noch keine Angaben machen, sagte der Flughafensprecher.
Quelle: ntv.de, mmo/dpa/rts