Experten zum EU-Gipfel Scheitern nicht erlaubt!
20.07.2011, 10:46 Uhr
Nicolas Sarkozy (l.) und Angela Merkel (r.): Auf ihren Schultern ruht die Hoffnung auf eine Lösungsfindung in der Schuldenkrise.
(Foto: picture alliance / dpa)
Der Sondergipfel, der keiner sein darf, zur Euro-Schuldenkrise steht bevor. Die Märkte erhoffen sich ein klares Zeichen von der Politik und erhöhen den Druck: Lösungsvorschläge müssen präsentiert und der Hängepartie ein Ende gesetzt werden.
Die Euro-Länder wollen am Donnerstag auf einem Sondergipfel über das neue Rettungspaket für Griechenland beraten. Finanzmarktexperten appellieren eindringlich an die Politik, die wochenlange Hängepartie zu beenden und einen konkreten Lösungsvorschlag zu präsentieren. Im Folgenden Stimmen von Fondsgesellschaften und Banken:
Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka Bank
"Der Gipfel ist von entscheidender Bedeutung nicht nur für die monetäre Zukunft, sondern auch für die politische Zukunft Europas. Denn die europäische Politik hat durch die vergeblichen Problemlösungsversuche in den vergangenen beiden Jahren bereits so viel Glaubwürdigkeit verspielt, dass aufgrund von Eigendynamiken an den Finanzmärkten ein weiterer Fehlversuch schwerste Schäden für die Verwendungsfähigkeit des Euro bedeuten könnte. (...)
Wenn die Regierungschefs eine Option mit einer Zahlungsunfähigkeit für Griechenland planen, müssen sie ein großes Gesamtpaket schnüren: So muss etwa das griechische Bankensystem rekapitalisiert werden. (...) Eine sogenannte Default-Lösung hat in der Tat einige Vorteile (...), sie muss aber von einem komplexen Maßnahmenpaket begleitet werden.(...)
Ein sofortiger Schuldenschnitt für Griechenland wäre die effektivste Art, das Land zu entlasten. Wir bezweifeln aber, dass dieser Schritt politisch so einfach zu verkaufen ist, wie immer dargestellt. Erstens sind bereits viele Staatsschulden in öffentlichen Händen, so dass die Entschuldung Griechenland zu einem großen Teil auch ein Schuldenerlass durch den Steuerzahler ist. Zweitens müsste selbst bei einem Schuldenschnitt ein Aufbauplan für Griechenland durchgeführt werden, der nochmals etwa 50 Milliarden Euro kosten würde.
Wir halten es daher für wahrscheinlicher, dass der EFSF weitere Schulden Griechenlands in Markttransaktionen übernehmen wird, mit dem Ziel, den Schuldenstand zu verringern und weiterhin Reformen im Land zu fördern." (...)
Johannes Müller, Chefökonom bei der DWS
"Nach der Eskalation der letzten Tage wird es sich die Politik kaum leisten können, den Sondergipfel ohne greifbares Ergebnis zu beenden. Wir rechnen mit der Verabschiedung des zweiten Griechenland-Pakets, möglicherweise flankiert von einer Erweiterung des Mandats bestehender Rettungsmechanismen. Wir würden ein derartiges Gipfelergebnis per saldo positiv sehen, allerdings wäre damit die Krise mitnichten gelöst. (...)
Eine vorschnelle Umstrukturierung der griechischen Schulden wäre kontraproduktiv, weil damit die politischen Reformbemühungen wieder erlahmen würden. Ein Scheitern des Gipfels wäre ein katastrophales Signal, das zu weiteren Verwerfungen an den Märkten führen und zukünftige Rettungsaktionen weiter verteuern würde."
Hans-Jörg Naumer, Leiter Kapitalmarktanalyse bei Allianz Global Investors
"Klare, einmütige Signale sind jetzt erforderlich. Es muss eine Lösung gefunden werden, die über Griechenland hinaus geht. Ein Vertagen wäre fatal, da es das Vertrauen der Finanzmärkte in eine gemeinsame europäische Strategie unterhöhlen würde. Dabei müssen drei Punkte klarwerden:
1. Es handelt sich nicht um einen Einstieg in eine Schuldenunion, bei der die Staaten unbegrenzt füreinander einstehen, sondern um den geordneten Ausstieg aus den hohen Schulden der Krisenländer. Das heißt, es gibt über die Lösung der Schuldenkrise hinaus kein weiteres Beistandspaket. (...)
2. Die Glaubwürdigkeit des Ausstiegs aus der Schuldenkrise muss begleitet werden von einer nachhaltigen Fiskalpolitik zur Reduktion der Staatsschulden, in welche die EU auch eingreifen kann, um die Zielerreichung zu garantieren.
3. Im Falle Griechenlands wird eine Umschuldung kaum vermeidbar sein. Diese könnte nach dem Allianz-Modell erfolgen, würde also auch private Gläubiger mit einbeziehen. Ein Vorteil dieses Modells wäre auch: Die mit einem Abschlag getauschten Griechenlandanleihen würden vom EFSF abgesichert, es müsste also keine gemeinsame Anleihe begeben werden. (...)"
Jens Wilhelm,. Vorstand bei Union Investment
"Es ist an der Zeit, mutige politische Entscheidungen zu treffen. Europa braucht jetzt ein klares Bekenntnis zu gemeinsamer Verantwortung und mehr gemeinsame Wirtschafts- und Fiskalpolitik. Ein Fahrplan zur Bewältigung der Schuldenkrise in der Euro-Peripherie ist dringend erforderlich. Auf Dauer ist eine Bereitstellung von Kapital zum Kauf von Staatsanleihen aus der Euro-Peripherie unverzichtbar, ebenso eine Einführung gemeinschaftlicher Bonds sowie eine verstärkte fiskalpolitische Integration und wirtschaftspolitische Koordination. Es steht außerfrage, dass eine Lösung zur nachhaltigen Stabilisierung der Eurozone gefunden werden wird. Aber je länger man wartet, desto teurer wird es. Die Finanzmärkte werden die Politik so lange vor sich hertreiben, bis sich eine umfassende Lösung abzeichnet. (...)"
BHF-Bank
"(...) Die europäische Staatsschuldenkrise ist derzeit vor allem eine politische Krise. Dabei ist Griechenland noch ein kleines Problem: Sein Schuldenstand beträgt 3,7 Prozent des gesamten EU-Bruttoinlandsprodukts; der von Italien macht dagegen 20 Prozent aus. Deshalb müssen sich die Politiker auf ein wasserfestes Hilfsprogramm für Griechenland ohne Wenn-und-Aber und eine Erweiterung der EFSF-Funktionen einigen. Nur so werden die Unsicherheiten aus dem Markt genommen - und nur so kann verhindert werden, dass aus der bereits größer werdenden Krise eine ganz große Krise wird."
Privatbank Metzler
"Viele Anleger haben den Glauben in die Politik verloren und rechnen nicht mit einer überzeugenden Lösung für die Schuldenkrise in Griechenland und anderen hoch verschuldeten Randländern (...) Mit Blick auf den EU-Sondergipfel am Donnerstag war die Ausgangslage für eine positive Überraschung vielleicht selten so gut wie dieses Mal. Man kann nur die Daumen drücken, dass die Politiker diese Situation erkennen und nutzen werden. Sollte dies nicht der Fall sein und keine adäquate Lösung präsentiert werden, drohen neue Turbulenzen mit möglicherweise schwerwiegenden Folgen."
Folker Hellmeyer, Chefvolkswirt Bremer Landesbank
"In der aktuellen Debatte wird deutlich, dass den Beteiligten die Bedeutung einer tragfähigen und überzeugenden Lösung nicht auf Minimalbasis, sondern als großer Wurf, bewusst ist (...) Es geht nicht nur um Griechenland oder die europäischen Defizitländer, sondern es geht um das globale Finanzsystem, um die globale Konjunkturerholung, die unter zyklischen Gesichtspunkten die beste Qualität seit Anfang der 50er Jahre hat, also auch schlussendlich um die Fortsetzung der spektakulären fiskalischen Gesundung Deutschlands.
Letztere Einlassung zielt auf die Kräfte in Berlin & Co. ab, die die finanziellen und ökonomischen Vernetzungen, die Grundlage des deutschen Aufschwungs sind, nicht wahrnehmen wollen und verdrängen, dass Deutschland der größte Nutznießer der globalen Intervention in der Größenordnung von 33,5 Milliarden Dollar oder 60 Prozent der Weltwirtschaftsleistung in der Phase 2008/2009 war. Manchmal tut Demut gut!"
Händler am Frankfurter Aktienmarkt
"Am Markt herrscht Ernüchterung - viele rechnen nicht damit, dass am Donnerstag der große Wurf gelingen wird. Daher dürfte sich die Enttäuschung auch in Grenzen halten, wenn das Treffen ohne greifbare Ergebnisse zu Ende gehen sollte. Viel bedrohlicher erscheinen derzeit ohnehin die Entwicklungen in den USA. Wenn sich die politischen Lager in Washington nicht einigen, haben wir ein ganz anderes Problem. Dann ist die Schuldenkrise in Europa Nebensache."
Quelle: ntv.de, rts