Joe Kaeser soll Konzernchef werden Siemens braucht neuen Gewinnbringer
29.07.2013, 18:05 Uhr
Finanzvorstand Kaeser könnte Peter Löscher schon am Mittwoch als Siemens-Chef beerben.
(Foto: picture alliance / dpa)
Peter Löschers Zeit als Siemens-Chef scheint abzulaufen. Doch der geplante Führungswechsel allein wird den deutschen Traditionskonzern nicht retten. Auf den designierten Nachfolger Joe Kaeser warten eine Menge alter Probleme: Siemens kriegt seine Großbaustellen einfach nicht in den Griff.
Am Ende reichten ganze sechs Zeilen, um das Schicksal von Siemens-Chef Peter Löscher zu besiegeln: Man werde das geplante Ziel von 12 Prozent Ergebnisrendite bis 2014 wohl nicht erreichen, teilte der Konzern am Samstag lapidar mit. Keine Erklärung, kein Interview, nicht einmal ein Versuch, die neuste Hiobsbotschaft in warme Worte zu packen. Die Ad-hoc-Mitteilung offenbart zweierlei: Der deutsche Ingenieurskonzern steckt in einem beispiellosen Führungschaos. Und hat bislang kein Mittel gefunden, den Gewinnschwund zu stoppen, der die Industrie-Ikone in ihren Grundfesten zu erschüttern droht.
Der Machtkampf könnte schon am Mittwoch sein vorläufiges Ende finden: Dann will der Aufsichtsrat über die Absetzung von Siemens-Chef Löscher entscheiden – und einen neuen Chef aus dem Kreise der Vorstandsriege berufen. Offenbar soll Finanzchef Joe Kaeser das Steuer übernehmen. Medien zerpflücken die Personalie bereits genüsslich. Ist Löscher Opfer einer Intrige geworden? Siemens-Chefkontrolleur Gerhard Cromme habe auf der Veröffentlichung der schlechten Nachricht bestanden, um dem zuletzt glücklosen Löscher den Todesstoß zu versetzen, zitiert das "Handelsblatt" einen Insider.
Doch wichtiger als alle Details zu Löschers Fall ist die Botschaft, die zu seinem Sturz führte: Der Konzern hat unter dem Österreicher die Wende nicht geschafft und seine selbstgesteckten Ziele verfehlt. Die hausgemachten Probleme werden sich nicht plötzlich in Luft auflösen, falls Finanzchef Kaeser im Chefsessel Platz nimmt. Siemens muss schnellstens eine ganze Reihe von Großbaustellen in den Griff kriegen, die den Konzern lähmen. Kaesers Berufung hätte zumindest einen klaren Vorteil: Er kennt die Probleme nur zu gut, die er als Finanzchef in den vergangenen Jahren mitverantwortet hat.
Gewinn-Einbruch
Siemens schwächelt vor allem beim Gewinn. 4,5 bis 5 Milliarden Euro wollte Löscher 2013 unter dem Strich ursprünglich einfahren. Doch schon Anfang Mai musste er seine ehrgeizige Prognose kassieren: Das Ergebnis werde sich nun "dem unteren Ende der ursprünglichen Erwartungen von 4,5 Milliarden Euro annähern". Es war das fünfte Mal in Löschers sechsjähriger Amtszeit. Schuld ist laut Siemens das "anhaltend schwierige Marktumfeld" – die Konjunkturkrise in Europa macht dem Konzern schwer zu schaffen.
Auch beim Umsatz hatte sich Löscher viel vorgenommen. Die 100-Milliarden-Grenze wollte Siemens mittelfristig durchbrechen und hätte dafür um gut ein Drittel zulegen müssen. 2012 lag der Umsatz bei gerade 78 Milliarden Euro, im zweiten Quartal 2013 ging er sogar um sieben Prozent zurück. Das Scheitern ist für Siemens umso schmerzhafter, weil der Erzrivale General Electric (GE) gleichzeitig durch den Gas-Boom in den USA wieder richtig in Schwung gerät: Die Amerikaner haben sich mit milliardenschweren Zukäufen im Öl- und Gasgeschäft gerüstet. GE greift Siemens nun sogar in seinem Heimatmarkt an und will mittelständische Firmen Firmen mit erfolgreichen Technologien übernehmen.
Profit-Schwäche
Nicht nur beim Gewinn, auch bei der Profitabilität hinkt Siemens dem US-Vorbild deutlich hinterher. Nicht ohne Grund wurde dieses Kernproblem zum Anlass für Löschers Ablösung: Die Gewinnmarge war das wichtigste Vergleichskriterium, an dem er sich messen lassen wollte – und an dem er gescheitert ist. Zwölf Prozent Umsatzrendite hatte Löscher den Aktionären bis spätestens zum Geschäftsjahr 2014 versprochen. 9,5 Prozent Gewinn blieben bei Siemens 2012 im vergangenen Geschäftsjahr vom Umsatz hängen. Um die Vorgabe noch wie geplant zu erreichen, hätte Löschers Konzern einen ziemlich großen Satz machen müssen.
Schlinger-Strategie
Noch verheerender ist für Siemens, dass Löscher teure Kollateralschäden in Kauf nahm, um das Ziel dennoch unter allen Umständen zu erreichen. Um den Konzern auf Rendite zu trimmen, investierte der Siemens-Chef in vermeintlich rentable Geschäftsfelder und trennte sich von Gewinn-Killern. "Portfoliooptimierung" nannte der Konzern das. Mit einigen Entscheidungen hat sich Löscher aber gehörig vergriffen und Milliarden verbrannt. Marktführer wollte Siemens zum Beispiel bei thermischen Solarkraftwerken werden und kaufte dafür 2009 die israelische Spezialfirma Solel teuer ein. Nun wird die gesamte Solarsparte komplett dichtgemacht.
Löschers Strategie folgte mehr einer Zahl, statt einer nachhaltigen Wachstumslogik. Siemens, weltweit das Sinnbild schlechthin für deutschen Erdfindergeist, lief so eher dem Trend hinterher, als Technologie-Vorreiter zu sein. Und erzeugte hohe Kosten statt langfristigem Erfolg. Siemens braucht dringend eine neue Vision statt Renditezielen. Gasturbinen, Hochgeschwindigkeitszüge, Energienetze - trotz aller Optimierungsversuche ist der Konzern immer noch ein riesiger Gemischtwarenladen. Der neue Chef muss entscheiden, mit welchen Techniken in welchen Bereichen nachhaltiges Wachstum entstehen soll.
Windpark-Katastrophe
Hinzu kommt, dass es in einigen Bereichen gewaltig knirscht. Die Energie-Sparte ist besonders durch die ständigen Probleme bei den Offshore-Windparks belastet. Siemens traute sich zu, vier Windparks gleichzeitig ans Stromnetz anzuschließen, obwohl jedes für sich bereits ein Mammutprojekt war und der Konzern bis dahin wenig Erfahrung mit der Technik hatte. Nun hinkt Siemens bei den Projekten mindestens ein Jahr im Zeitplan hinterher. Die Verzögerung hat den Konzern inzwischen mehr als 600 Millionen Euro gekostet.
Hochgeschwindigkeits-Debakel
Zunehmend zur unendlichen Geschichte wird für Siemens – und seine Kunden – auch die Auslieferung von Hochgeschwindigkeitszügen. Schon bis Dezember 2011 wollte Siemens eigentlich 16 ICE-Züge der neusten Generation an die Deutsche Bahn ausliefern. Im November 2012 musste der Konzern die Lieferung erneut verschieben. Die Bahn wartet bis heute auf die Züge und wird sie wohl auch im kommenden Winter noch nicht einsetzen können.
Ähnlich peinlich wird es für Siemens beim Großauftrag von Eurotunnel-Betreiber Eurostar. Ende 2014 wollen die Münchner zehn Züge ausliefern, doch auch hier zeichnen sich Probleme ab. "Wir haben die Komplexität des Auftrags unterschätzt", gab der für Infrastruktur zuständige Siemens-Vorstand Roland Busch im April kleinlaut zu. Die verschobenen Lieferungen dürften Siemens ebenfalls etliche Millionen kosten.
Quelle: ntv.de