Aufschwung erreicht Arbeiter Stahlkocher bekommen mehr
30.09.2010, 08:23 UhrBis tief in die Nacht sitzen Arbeitgeber und Gewerkschafter am Verhandlungstisch. Erst in den frühen Morgenstunden kann die IG Metall eine Einigung verkünden: Die 85.000 Beschäftigten in der nordwestdeutschen Stahlindustrie bekommen mehr Geld. Nach der großen Krise macht sich die Konjunkturbelebung nun auch beim kleinen Mann bemerkbar.
In der nach der Wirtschaftskrise wieder florierenden Stahlindustrie haben die Tarifparteien einen Arbeitskampf abgewendet. Die IG Metall und die Arbeitgeber vereinbarten am frühen Donnerstagmorgen für die 85.000 Beschäftigten in Nordwestdeutschland eine Lohnerhöhung von 3,6 Prozent. Die Einigung soll bereits ab 1. Oktober gelten. Zudem sagten die Arbeitgeber in der dritten Verhandlungsrunde in Düsseldorf zu, Leiharbeitern die gleichen Stundenlöhne wie Festangestellten zu zahlen.
Der Abschluss gilt für Beschäftigte von Branchengrößen wie ThyssenKrupp, Salzgitter und ArcelorMittal. Im Fall eines Scheiterns der Verhandlungen hatten Analysten vor eventuellen Kursreaktionen gewarnt.
"Es war ein schwieriges Unterfangen", sagte der Verhandlungsführer der Arbeitgeber, Helmut Koch, nach dem Ende der rund zehnstündigen Beratungen am Morgen. Der Tarifvertrag habe eine Laufzeit von 14 Monaten. Für den September würden pro Kopf 150 Euro mehr gezahlt. Die IG Metall hatte sechs Prozent mehr Lohn und eine Gleichstellung der Leiharbeiter mit den Festangestellten gefordert. Vor allem mit einer Flächentarif-Regelung zu den Zeitarbeitern taten sich die Stahl-Unternehmen schwer. Sie wollten auch kein Exempel für andere Branchen mit Zeitarbeitern - etwa die Metall- oder die Bauindustrie - statuieren. "Die Leiharbeit hat bei uns nicht die Bedeutung wie in anderen Branchen", sagte Koch.
Zwangsflexible Minderheit
Der Anteil der Leiharbeiter liegt in der Stahlindustrie bei etwa bei drei Prozent. Schon jetzt würden viele der 3000 Leiharbeiter den gleichen Lohn erhalten, sagte Koch. Die Gewerkschaft will verhindern, dass die Unternehmen im Aufschwung verstärkt auf Zeitarbeiter zurückgreifen. Facharbeiter verdienen in der Stahlindustrie nach IG Metall-Angaben monatlich rund 2600 Euro brutto, Leiharbeiter etwa 20 Prozent weniger.
Auf der Gewerkschaftsseite wurde die Gleichstellung der Leiharbeiter dagegen als Durchbruch bewertet. "Es ist ein starkes Signal, was den Umgang mit der Leiharbeit in Deutschland angeht", sagte der nordrhein-westfälische IG Metall-Chef Oliver Burkhard. Inwieweit die Regelung auf andere Branchen übertragen werden könne, ließ er offen. "Der Aufschwung darf nicht nur mit Leiharbeit gefahren werden."
Ende der Zurückhaltung
Auch die Lohnerhöhung könne sich sehen lassen. "Die Beschäftigten profitieren von dem Aufschwung." Burkhard hatte klargemacht, dass für die Stahlarbeiter die Zeit der Bescheidenheit vorbei sei. "Wir halten das für die erste Tarifrunde in der Nachkrisenzeit. Die Krise war gestern", hatte er gesagt.
In der Wirtschaftkrise hatte die IG Metall noch den Schwerpunkt auf die Beschäftigungssicherung gelegt. Sie hatte sich 2009 mit einer Einmalzahlung von 350 Euro begnügt und für 2010 eine Lohnerhöhung von zwei Prozent akzeptiert.
Rohstoffe teurer als Löhne
In den vergangenen Tagen hatten sich der Gewerkschaft zufolge 17.000 Beschäftigte an Warnstreiks beteiligt. Vor dem Auftakt der Gespräche am Mittwoch hatten rund 700 Stahlkocher mit einer Protestaktion die Forderungen der Gewerkschaft unterstrichen. "Mehr muss her", forderten sie auf Plakaten. In der Stahlindustrie ist der Organisationsgrad besonders hoch. Rund 77.000 der 85.000 Beschäftigten sind nach Angaben der IG Metall Gewerkschaftsmitglieder.
Nach dem Krisenjahr 2009 laufen die Hochöfen der Branche wieder auf Hochtouren. Die Auslastung liegt teilweise bei über 90 Prozent, die Kurzarbeit ist weitgehend aufgehoben. Nach den Worten Burkhards hat eine Lohnerhöhung nur begrenzte Auswirkungen auf die Gewinnlage der Unternehmen. Der Anteil der Lohnkosten an den Produktionskosten für eine Tonne Stahl liege bei neun Prozent. Der größte Brocken sind demnach die Rohstoffkosten.
Quelle: ntv.de, mmo/AFP/dpa/rts