Okonomen-Barometer "Subventionen grenzen an Irrsinn"
16.11.2012, 19:43 Uhr
Die Bundesregierung einigt sich auf Betreuungsgeld und Aufstockung der Renten unterhalb der Grundsicherung aus Steuermitteln. In der Wirtschaft kommt beides nicht gut an. Führende Ökonomen sprechen von "Wahlgeschenken", die völlig "unnötig und schädlich" sind. Das dafür verwandte Geld sollte besser eingesetzt werden, denn die wirtschaftliche Lage trübt sich weiter ein.
Deutschlands führende Ökonomen schätzen die wirtschaftliche Lage im November den dritten Monat in Folge nahezu stabil ein. Das geht aus dem Ökonomen-Barometer des Nachrichtensenders n-tv und der "Euro am Sonntag" für den November hervor. Demnach beurteilten die Experten die aktuelle Situation mit 50,6 Punkten auf dem Niveau des Vormonats (51,5 Punkte), was weiter auf eine derzeit leicht expandierende Konjunkturlage hinweist.
Die Prognose erreichte mit 43,9 Punkten noch fast den Oktoberwert (44,4 Punkte). Dies wiederum deutet auf eine leichte Eintrübung der Wirtschaftslage in den nächsten zwölf Monaten hin.
Abfuhr für Betreuungsgeld
Das von der Bundesregierung beschlossene Betreuungsgeld sowie die geplante Rentenaufstockung aus Steuermitteln beurteilen die Ökonomen sehr kritisch. Nach Schulnoten bewertet, erhält das Betreuungsgeld demnach die Note 4,9. Die Koalition hatte sich auf Drängen der CSU in der Vorwoche darauf geeinigt, Eltern ab nächstem Sommer einen staatlichen Zuschuss zu gewähren, wenn sie ihr Kind zuhause betreuen und es nicht in die Kita oder zu einer Tagesmutter geben.
Die Gegner argumentieren, dass das Betreuungsgeld dazu führen werde, dass gerade Familien aus bildungsfernen Schichten die Möglichkeit einer Kinderbetreuung und damit einen ersten Baustein frühkindlicher Bildung nicht in Anspruch nähmen, wie DIHK-Chefvolkswirt Alexander Schumann die Meinung vieler Ökonomen auf den Punkt bringt. "Mit dem Geld sollte besser der Ausbau der Kinderbetreuung gefördert werden", so Schumann.
Die Maßnahme wird als "Wahlgeschenk" bezeichnet (Xenia Matschke, Uni Trier), das seine "negativen Anreizwirkungen auf Kosten der Haushaltskonsolidierung" zustande bringe (Andreas Ziegler, Uni Kassel). Für Juergen B. Donges (Uni Köln) ist das Betreuungsgeld "bildungspolitisch verkehrt, fiskalisch sehr teuer, und dass wir in Deutschland jetzt soweit sind, dass für die Nichtanspruchnahme einer vom Staat angebotenen Leistung (Kita-Platz) eine Subvention gewährt wird, grenzt an Irrsinn".
"Unnötig und schädlich"
Kritisch sehen die Ökonomen auch den Beschluss zur Aufstockung der Renten unterhalb der Grundsicherung aus Steuermitteln, wenn der Rententeilnehmer zuvor mindestens 40 Jahre Rentenbeiträge eingezahlt hat. Die Durchschnittsnote für das Projekt liegt bei 3,6. "Die Maßnahme ist sozialpolitisch weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein, zumal sie nur einen sehr kleinen Personenkreis begünstigt", sagt Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise. Für Friedrich Breyer (Uni Konstanz) ist ein "weiteres steuerfinanziertes Instrument, das noch dazu wenig treffsicher ist, weil es das Gesamteinkommen nicht berücksichtigt, unnötig und schädlich".
Ulrich van Suntum (Uni Münster) sieht in den Rentenplänen ein "unsystematisches Herumgewurstele in der Rentenpolitik. Bei unzureichendem Einkommen im Alter besteht sowieso schon Anspruch auf Unterstützung durch den Steuerzahler. Was soll die weitere Vermischung von Beitrags- und Steuerfinanzierung?" fragt sich van Suntum. Ökonomen wie Peter Posch (Uni Ulm) oder Franz Peter Lang (TU Braunschweig) vermissen darüberhinas eine umfassende Reform des Rentensystems. "Altersarmut ist im Augenblick das letzte Problem, das wir haben", stellt Thomas Apolte von der Uni Münster fest.
"Wahlkampf-Aktionismus"
Dass die Bundesregierung über Umschichtungen im Haushalt zusätzlich rund 750 Mio. Euro für Verkehrsprojekte lockermachen will, ist für die meisten Ökonomen ebenfalls keine gute Idee, weil das zugrundeliegende Problem dadurch nicht gelöst wird. Sie beurteilen dieses Vorhaben deshalb mit der Gesamtnote 4,24. Investitionen in die marode Verkehrsinfrastruktur werden von den meisten zwar grundsätzlich als bitternötig betrachtet und als Zukunftsinvestition gesehen, die auch künftige Steuermehreinnahmen ermöglicht (Boris Augurzky, RWI). 750 Mio. Euro seien in diesem Bereich jedoch schnell ausgegeben, so Thomas Gries von der Uni Paderborn.
Die Pläne der Regierung seien "Wahlkampf-Aktionismus", sagt Wilfried Fuhrmann von der Uni Paderborn. "Unsere Infrastruktur verkommt, gefährdet massiv den Standort. Da helfen nicht einmalige Umschichtungen und Projekte, sondern nur eine grundlegend reformierte Verkehrspolitik." Für Martin Kocher von der LMU München hätten man "die Maßnahmen budgetneutral hinbekommen müssen in Zeiten von Rekordsteuereinnahmen".
Für das Ökonomen-Barometer wurden rund 600 Volkswirte in Banken, Forschungseinrichtungen und Wirtschaftsverbänden befragt.