Die Schulden der Provinzen "UDIV": Chinas neues Sorgenkind
17.03.2010, 16:55 Uhr"Bau zuerst, die Leute werden kommen", heißt es derzeit in China. Neue Straßen, Bahnverbindungen, Flughafengebäude sprießen aus dem Boden und Kosten die Provinzen kreditfinanziert Milliarden. Das Schlagwort dabei heißt "Stadtentwicklungs-Investment-Vehikel".

Einfach nur beeindruckend: das neu eröffnete Terminal 2 des Flughafens Shanghai Hongqiao International:
(Foto: REUTERS)
Shanghai hat ein neues Flughafen-Terminal. Rechtzeitig vor Beginn der Expo ist das 2,2 Mrd. Dollar teure Gebäude fertig. Die Erweiterung des Flughafens ist dringend nötig, das alte Terminal in Hongqiao ist hoffnungslos überlastet. Und auch für die vielen neuen Straßen, Bahnverbindungen und anderen Verkehrsknotenpunkte, die in ganz China aus dem Boden sprießen, gibt es gute Gründe. Doch Investoren schauen zunehmend auf die dunkle Seite der Baulust: die riesigen Kredite, die die Provinzregierungen aufnehmen, um die schöne neue Infrastruktur aus dem Boden zu stampfen. Skeptiker befürchten, dass Luftschlösser in Beton gegossen wurden, die sich nie auszahlen werden. Die Frage ist nicht, ob die Rechnung dafür kommt, sondern wann.
Beispiel Kangbashi - eine neue Stadt in der inneren Mongolei: "Bau zuerst, die Leute werden kommen" muss wohl das Motto der Verantwortlichen sein: Besucher berichten von riesigen Boulevards und Plätzen, die menschenleer sind. In Medienberichten ist von einer Reihe derartiger Geisterstädte die Rede. "Ganz klar braut sich hier etwas zusammen, aber es ist nicht klar, wann das aus Sicht der Investoren zu einem Problem wird", sagt ein Manager einer US-Fondsgesellschaft.
"Stadtentwicklungs-Investment-Vehikel"
Denn die Städte sitzen auf riesigen Schuldenbergen. Die örtlichen Behörden können nicht selbst Geld am Kapitalmarkt aufnehmen. Sie legen daher zur Finanzierung ihrer Monumentalträume eigene Investmentgesellschaften auf, kurz UDIV. Die "Stadtentwicklungs-Investment-Vehikel" hinterlegen als Sicherheit für die Bankkredite Grundstücke, häufig sind auch Garantien im Spiel. Angesichts der gegenwärtigen Blase am Immobilienmarkt geht die Sorge um, dass das Geld aus dem Verkauf der Gebäude nicht ausreicht, um die Verbindlichkeiten zu decken.
Experten gehen nicht davon aus, dass die Regierung in Peking die Provinzstädte reihenweise Pleite gehenlassen wird, allenfalls in Ausnahmefällen, wenn Korruption in größerem Ausmaß im Spiel ist. "Vergessen Sie nicht, dass alles in der Hand einer Partei ist", sagt CLSA-Analyst Andy Rothman. Wenn es daher zu finanziellen Engpässen komme, werde die Parteiführung entscheiden, wer zahlen soll. Genau dieser Frage gehen Volkswirte nun nach: Übernimmt die Regierung in Peking die Außenstände und erhöht damit den gesamtstaatlichen Schuldenstand, oder springen die Banken ein und nehmen dabei mehr faule Kredite in Kauf?
Das Thema treibt die Märkte auch deswegen um, weil keiner weiß, wie groß das Finanzloch ist. Der Wirtschaftswissenschaftler Victor Shih von der Northwestern University im US-Bundesstaat Illinois bezifferte die Verschuldung der UDIVs kürzlich auf 1,6 Biollionen Dollar, die niedrigste Schätzung lieferte die Investmentbank China International Capital mit umgerechnet 820 Mrd. Dollar. Doch selbst das würde die Staatsverschuldung Chinas auf 43 Prozent treiben, von derzeit 26 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Unruhe wächst
Im internationalen Vergleich ist das immer noch wenig. Deutschland ist derzeit mit rund 70 Prozent verschuldet. Allerdings warnen die Experten der Citigroup davor, dass sich die Verschuldung der UDIVs bis 2011 auf 1,75 Billionen Dollar in etwa verdoppelt. "Wenn man annimmt, dass der Rest der Wirtschaft gut läuft, kann die Regierung das in den Griff bekommen", schreiben die Analysten. "Es würde aber eine gehörige Unruhe am Markt und im Bankensektor auslösen, bis das Thema vom Tisch ist."
Die Regierung in Peking ist sich der drohenden Gefahr bewusst. Sie forderte bereits die Banken auf, bei der Finanzierung von kommunalen Investitionsplänen genauer hinzusehen, das Finanzministerium arbeitet an Plänen, um die Kreditaufnahme der UDIVs zu begrenzen. Optimisten hoffen nun auf eine umfassendere Finanzreform, bei der etwa den örtlichen Behörden die Ausgabe von Anleihen ermöglicht wird.
Problem als Chance sehen
Wissenschaftler Shih spricht sich zudem dafür aus, dass die Banken die Kredite verbriefen und auf den Markt bringen. Das könnte auch die internationale Stellung der Landeswährung Yuan stärken, wenn ausländische Investoren die Papiere erwerben. Die Verschuldung der Provinzen könnte sich daher als Chance für China erweisen, schrieb er in seinem Blog. "Die Regierung muss aber schnell handeln, bevor ihr die Schulden über den Kopf wachsen."
Quelle: ntv.de, rts