Historische Aufgabe in Schuldenkrise Weltbank beschwört Deutschland
15.06.2012, 07:57 Uhr
Deutschland habe keine andere Wahl, als sein Gewicht als Europas führende Wirtschaftsmacht einzusetzen, sagt Robert Zoellick (M.).
(Foto: REUTERS)
Einflussreiche Stimmen aus Washington stärken der Bundeskanzlerin den Rücken: Die Rettung des Euro, sagt Weltbank-Chef Zoellick, kann nur mit Hilfe der Deutschen gelingen. Der eingeschlagene Sparkurs sei richtig. Die Geschichte habe Deutschland eine schwierige Rolle zugeteilt. Deutschland müsse Europa aus der Krise führen.

Gemessen an der Stärke der Sorgenfalten, ist das Ausmaß der Probleme noch halbwegs überschaubar.
(Foto: REUTERS)
Deutschland kommt nach Ansicht von Weltbank-Chef Robert Zoellick die historische Aufgabe zu, Europa aus der Krise zu führen. "Die Geschichte hat Deutschland eine Rolle zugeteilt, die nicht leicht auszufüllen ist", sagte Zoellick bei einer Veranstaltung in Washington.
Deutschland habe dabei keine andere Wahl, als sein Gewicht als Europas führende Wirtschaftsmacht einzusetzen. Die Entscheidungen in dieser Krise könnten nur von den Europäern getroffen werden, und Deutschland müsse die Führung übernehmen.
Zugleich unterstützte Zoellick die deutschen Forderungen nach einem Spar- und Konsolidierungskurs. Er sei der Ansicht, dass die "Deutschen recht haben" mit der Betonung der Notwendigkeit von "Finanzkonsolidierung und Strukturreformen", sagte der Ökonom. Zoellick schlug damit in dieselbe Kerbe wie tags zuvor .
Es gebe weiterhin eine "Set möglicher Lösungen", allein mit mehr Geld lasse sich die Krise aber nicht lösen. Länder wie Spanien und Italien müssten für ernsthafte Reformbemühungen jedoch Unterstützung erfahren.
Die andauernde Unsicherheit rund um die europäische Schuldenkrise bezeichneten Weltbank-Experten in ihrer aktuellen Konjunkturprognose als derzeit wichtigste Belastung für die gesamte Weltwirtschaft. Kursverluste an Börsen und steigende Zinsen für Staatsanleihen in jüngster Zeit zeigten, wie anfällig und nervös die Finanzmärkte überall seien, heißt es in dem vor wenigen Tagen in Washington veröffentlichten Bericht.
Die Weltbank warnt: Eine Eskalation bliebe nicht auf die unmittelbar betroffenen Länder der Eurozone beschränkt. Weder reiche Länder noch aufstrebende Staaten würden verschont, "sollte sich die Situation in Europa deutlich verschlechtern". Noch gehe die Weltbank aber nicht davon aus, dass die Lage dermaßen außer Kontrolle gerät. Sie korrigierte ihre neuesten Vorhersagen nur leicht nach unten: Weltweit erwartet sie für dieses Jahr ein Wachstum von 2,5 Prozent und für das kommende 3,0 Prozent.
In der Eurozone wird die Wirtschaft demzufolge in diesem Jahr um 0,3 Prozent schrumpfen und dann 2013 leicht um 0,7 Prozent wachsen. Globale Wachstumslokomotiven blieben derweil die Schwellen- und Entwicklungsländer wie China und Indien. Für diese Staaten erwartet die Weltbank für 2012 im Schnitt Plus von 5,3 Prozent und nächstes Jahr von 5,9 Prozent.
"Machtvoll entfesselte Kräfte"
Was genau passiert, wenn einzelne Länder der Eurozone in Richtung Staatspleite rutschen oder keine Kredite am Kapitalmarkt mehr bekommen sollten, ist kaum seriös vorherzusagen. Der Schock für die Weltwirtschaft wäre in jedem Fall extrem, hieß es von Seiten der Weltbank. Wahrscheinlich sei diese Entwicklung zwar nicht, betonte zuletzt der ranghohe Weltbank-Ökonom Hans Timmer. "Aber zugleich können wir sie nicht ausschließen." Das Undenkbare sei in einer global vernetzten Ökonomie nicht unmöglich.
Für den Eintritt eines Domino-Effekts könnte es unzählige Gründe geben, die man auch bei der Weltbank nicht sicher überblicken könne. "Zum Teil, weil es unmöglich ist, genau vorherzusagen, was ihn auslöst. Und zum Teil, weil die machtvollen entfesselten Kräfte leicht eine andere, sehr von sinnvollen ökonomischen Standard-Vorhersagen abweichende Route nehmen können", hieß es in einem Ausblick. Übersetzt könnte das auch bedeuten: Nach der Krise können wir sagen, wir haben euch ja gewarnt - wir wissen jetzt nur noch nicht genau, wovor.
Sturmflut hinter der Lehman-Welle?
Das Ausmaß einer möglichen neuen Weltwirtschaftskrise ließe sich aber zumindest eindämmen, fasste die Weltbank die Lage zusammen. Vor allem ihre Schützlinge, die Schwellen- und Entwicklungsländer, müssten dafür schon jetzt einiges in die Wege leiten. "Weniger reagierend auf kurzfristige Änderungen in den äußeren Bedingungen und zugänglicher für mittelfristige inländische Überlegungen" sollten sie künftig sein. Für Wachstumsmotoren der Weltwirtschaft wie China und Indien sei ohnehin die Zeit gekommen, erwachsen zu werden.
Die Hauptsorge der Weltbank ist es dabei, dass der innere Wachstumszwang in diesen Nationen die Krisenpuffer aufgezerrt hat. Die fortlaufende Ankurbelung der Konjunktur in Schwächephasen hätten dem Immunsystem geschadet. "Entwicklungsländer benötigen im Fall einer Finanzkrise all die Munition, die sie zur Verfügung haben", erklärte Timmer. Momentan seien sie aber schlechter aufgestellt als zu Beginn der Krise 2007, ihre Haushaltsdefizite etwa seien heute zwei Prozent höher als damals. Insgesamt seien Anfälligkeiten einfach zu groß, um wie damals den Absturz reicher Länder zumindest zu federn.
Am Rande der Überhitzung
Die aufstrebenden Schwellenländer tragen derzeit rund die Hälfte zum globalen Wachstum bei. Und um diese wichtige Rolle weiter spielen zu können, sei der Wechsel "zur wachstumsneutralen Politik" nötig.
Die Mehrheit der Länder sei ohnehin am Rande der Überhitzung, die Produktivität am Limit - das zeigen auch jüngste Nachrichten über die "schwächelnde" Wirtschaft in Indien und China. Was die globalen Märkte mit Sorge sehen, läuft dabei bei der Weltbank als normale Korrektur.
"Bewegt euch weg von Feuerwehreinsätzen hin zur Stärkung eures unterschwelligen Wachstumspotenzials", rief Timmer den Staats- und Regierungschefs daher zu. Der Abbau kurzfristig fälliger Schulden, die Schaffung einer gesunden Infrastruktur und andere Maßnahmen mit Weitblick seien Beispiele für aktuelle Mittel zur Wahl.
"Es ist dabei immer noch möglich, sehr solide Wachstumsraten zu erzielen", sagte Timmer. Und nebenbei können die Staaten die Welt vielleicht vor der von Pessimisten längst erwarteten "großen Weltwirtschaftskrise" bewahren.
Quelle: ntv.de, mmo/AFP/dpa