Wirtschaft

Stifter nehmen Häuser vom Markt Wie ein Investor Berliner Mieter retten will

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Langfristiges Investment: Hamid Djadda rechnet nicht damit, dass er die vollständige Rückzahlung seines Darlehens für den Kauf der Glaserwerkstatt selbst noch erleben wird.

(Foto: Max Borowski)

Es klingt zu schön, um wahr zu sein: Aber es gibt tatsächlich Immobilienkäufer, die viel Geld in Häuser investieren, nur um die Bewohner vor Spekulanten zu schützen. Hamid Djadda ist einer von ihnen. Mit 2,50 Euro könne jeder ihm bei seiner Mission helfen, sagt er.

"Da will mich wohl jemand veräppeln", war Hans-Jürgen Arnsmanns erster Gedanke. Es klang zu gut, um wahr zu sein, was diese Frau erzählte, die ihn in seiner Glaserwerkstatt in Berlin Friedenau angerufen hatte. Ein Investor wolle seine Geschäftsräume kaufen, aber nicht um sie mit Gewinn weiterzuveräußern, zu modernisieren oder anderweitig aufzuwerten, um die Miete drastisch zu erhöhen, sondern um die Gewerbeeinheit in eine Stiftung zu überführen und Arnsmann die Räume langfristig bei gleichbleibender Miete zu überlassen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Arnsmann nach fast einem Jahr erfolgloser Suche die Hoffnung aufgegeben, in seiner Werkstatt bleiben zu können oder neue bezahlbare Geschäftsräume zu finden. Nach mehr als 100 Jahren, davon 40 in Arnsmanns Besitz, würde die Geschichte der Friedenauer Glaserei zu Ende gehen - und der Meister selbst mit mehr als 70 Jahren in den verdienten, aber unfreiwilligen Ruhestand.

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Mit dem gutbürgerlichen Mietshaus, in dessen Erdgeschoss sich die auf Einrahmungen spezialisierte Glaserei befindet, war das Gleiche passiert wie mit Tausenden Immobilien in Berlin in den vergangenen Jahren. Der langjährige Eigentümer hatte an einen Investor verkauft. Der wandelte, um eine optimale Rendite zu erzielen, das Haus in Eigentumswohnungen um. Arnsmann wurde gekündigt. Denn leer lassen sich sowohl Wohnungen als auch Gewerbeeinheiten erheblich besser vermarkten.

Darlehen über die Lebenszeit hinaus

Arnsmann bereitete sich bereits auf die Auflösung seiner Werkstatt vor, als Hamid Djadda im März dieses Jahres in einer Lokalzeitung von dem bevorstehenden Ende des Traditionsbetriebs las und eine Mitarbeiterin beim Glasermeister anrufen ließ. Djadda ist selbst Immobilienunternehmer. Mit seiner eigenen Firma entwickelt und vermietet er vor allem Gewerbeprojekte. Der Immobilienmarkt in Berlin bietet dem gebürtigen Iraner zwar glänzende Geschäftsmöglichkeiten, bereitet ihm aber zunehmend auch Sorgen. Als er von dem Glasermeister in Not erfuhr, schrieb Djadda gerade an einem Buch, einem Manifest mit dem Titel "Hohe Mieten abschaffen", in dem er politische Forderungen formuliert, die den Wohnungsmarkt sozialer machen würden. Doch bei der Theorie wollte er es nicht belassen, sondern auch praktisch zeigen, das es anders geht. Mit seiner eigenen gemeinnützigen Stiftung wollte er "punktuell Häuser kaufen, um sie der Spekulation auf dem Markt zu entziehen".

Ansmanns Werkstatt wurde wenige Wochen nach dem Überraschungsanruf die erste Immobilie von Djaddas Stiftung. Die 580.000 Euro für den Kauf, stammen aus Djaddas eigenem Vermögen. Das Geld ist kein Geschenk, wie Djadda betont, sondern ein langfristiges, zinsloses Darlehen, das der Unternehmer der Stiftung gegeben hat. Von Arnsmanns laut Stiftungssatzung unveränderbarer Kaltmiete von 750 Euro pro Monat zieht die Stiftung einen kleinen Teil für die Instandhaltung ab und bedient mit dem Rest das Darlehen. Mehr Miete sei nicht notwendig, um Kosten und die Rückzahlung des Kapitals zu decken, sagt Immobilienprofi Djadda. Er selbst wird sein Geld zu Lebzeiten allerdings wohl nicht mehr vollständig zurückbekommen. "Ich denke, dass meine Tochter gerade Großmutter wird, wenn die Rückzahlung abgeschlossen ist", rechnet der Unternehmer lachend vor.

Trotz dieses extrem langfristigen Horizonts ist Djadda zuversichtlich, weitere Stifter für dieses Modell begeistern zu können. Dazu hat er einen Verein mit dem Namen "Erste Sahne" gegründet, der sowohl für politische Maßnahmen gegen die Preisexplosion auf dem Wohnungsmarkt trommeln als auch Kapital für die Stiftung einwerben soll.

Mit dieser Idee, sein Vermögen dazu einzusetzen, um die Not auf dem deutschen Wohnungsmarkt zu lindern, steht Djadda keineswegs allein da. Die Explosion der Mieten und Immobilienpreise hat in den vergangenen Jahren eine Reihe gemeinnütziger Stiftungen und Organisationen auf den Plan gerufen. Bundesweit ist etwa die Stiftung Trias engagiert, die Schweizer Stiftung Edith Maryon hat mehrere Immobilien in Berlin übernommen, die Organisation Mietshäuser Syndikat unterstützt als Beteiligungsgesellschaft selbstverwaltete Wohnimmobilien. Die vor 170 Jahren gegründete Berliner Alexandra-Stiftung gilt als ältestes Wohnungsbauunternehmen in Deutschland. Auch manche einzelne, private Immobilienbesitzer überführten in den vergangenen Jahren ihren Bestand in unauflösbare Stiftungen.

Zwei Häuser für eine Million Cappuccino

Gemeinsames Ziel dieser Stiftungen ist, die Immobilien dauerhaft vor den Kräften des freien Marktes zu schützen. Denn die immer höheren Preise, die Investoren für Häuser zahlten, müssten am Ende durch immer weiter steigende Mieten von den Bewohnern bezahlt werden. "Ich bin ein großer Befürworter der Marktwirtschaft", versichert der erfolgreiche Unternehmer Djadda. "Aber für den Handel mit Wohnungen dürfen nicht die gleichen Regeln gelten wie für Geschäfte mit Öl oder Gold."

Obwohl nicht nur Stifter, sondern auch die Bezirksverwaltungen in Berlin immer wieder Mietshäuser kaufen, um günstigen Wohnraum zu erhalten, reicht das Geld der Wohltäter bei weitem nicht aus, um in jedem Notfall zu helfen. Seitdem die Berliner Lokalzeitungen über die Rettung von Arnsmanns Glaserwerkstatt berichteten, stehen die Telefone bei Djadda und seiner Stiftung nicht mehr still. Längst nicht allen kann er helfen. "Aktuell schauen wir uns vier Immobilien genauer an", erzählt Djadda. Darunter ein Mietshaus in Neukölln mit einer Kita im Erdgeschoss. Der Vertrag für den Verkauf an einen Investor liegt schon beim Notar, die Zeit drängt. Rund fünf Millionen Euro kostet das Haus. Etwa 1,2 Millionen Euro müsse seine Stiftung als Eigenkapital aufbringen, rechnet Djadda vor, der Rest könnte durch Bankkredite gedeckt werden.

Allein kann Djadda diesen Eigenkapitalanteil nach dem Kauf der Glaserwerkstatt nicht mehr aufbringen. Er hofft auf weitere Stifter und Spender und setzt dabei keineswegs nur auf Millionäre, die große Vermögen einbringen. Mit seinem Verein "Erste Sahne" will er im Gegenteil vor allem Kleinstbeträge einsammeln. 2,50 Euro kostet der monatliche Beitrag. "Das kann sich jeder leisten. Das ist nicht mehr als der Preis eines Cappuccinos", so Djadda. "Wenn eine Millionen Menschen mitmachen würden, könnten wir zwei große Mietshäuser in Berlin kaufen - jeden Monat!"

Quelle: ntv.de

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