So sieht Erfolg aus VW fährt Masse - und Klasse
27.04.2012, 20:00 Uhr
Ein Hybrid Concept aus dem Hause VW: Die Frontpartie ähnelt dem Golf.
(Foto: picture alliance / dpa)
Survival of the fattest? Survival of the fittest? Volkswagen kann beides in Perfektion: Mit acht Pkw-Marken und einem passenden Baukastensystem reagiert Europas größter Autokonzern blitzschnell auf regional unterschiedliche Bedürfnisse - und fährt auf dem Weltmarkt der Konkurrenz davon. Aber auch ein Riese hat eine Achillesferse.
Schiere Größe alleine ist es nicht, was den Erfolg von Volkswagen ausmacht. Europas größtem Autobauer gelingt es dank seiner Masse zwar, die Kosten wie kein anderer in Schach zu halten und die Konkurrenz mit niedrigen Preisen an die Wand zu spielen. Durch seine Präsenz auf allen wichtigen Pkw-Märkten rund um den Globus kann der Konzern zudem regionale Unterschiede wettmachen. Das Erfolgrezept basiert aber auch darauf, dass die Wolfsburger mit VW und Audi die Verbindung von Masse mit Klasse geschafft haben, was sie auch von konjunkturellen Schwankungen unabhängiger macht.
Die Fliehkräfte in diesem weltumspannenden Riesenreich mit acht Pkw-Marken werden durch ein System gleicher Fahrzeugplattformen in Zaum gehalten, bei dem jede Tochter bis zu einem gewissen Grad selbständig bleibt und mit den anderen konkurriert. Alle gemeinsam aber gehorchen den Vorgaben von Konzernchef Martin Winterkorn, der das Gesamtunternehmen mit straffer Hand führt - und Aufsichtsratschef Ferdinand Piech wacht von Österreich aus, ob alles in seinem Sinne läuft.
Vielfalt dank Baukasten
Das neue Baukastensystem, durch das die Zahl gleicher Teile steigt und die Kosten drastisch sinken, soll den Abstand zur Konkurrenz noch vergrößern. Die Entwicklungszeit neuer Modelle verringert sich, weil die Ingenieure nur ins Regal zu greifen brauchen und aus einzelnen Modulen ein neues Modell zusammensetzen. So kann VW noch schneller auf spezielle Wünsche der Kundschaft reagieren und Nischenmodelle wie Cabriolets oder Geländewagen auf den Markt bringen, deren Bau wegen der kleinen Stückzahl für andere Hersteller unwirtschaftlich wäre.
Am Ende steht eine Gelddruckmaschine, die die Fachwelt jetzt schon in Staunen versetzt: Denn selbst unter schwierigen Bedingungen in der Schuldenkrise schaffte es Volkswagen, den Betriebsgewinn in den ersten drei Monaten um zehn Prozent auf 3,2 Mrd. Euro zu erhöhen.
Der Absatz bringt's
Alleine die Oberklassetochter Audi schraubte ihr operatives Ergebnis dabei um ein Viertel hoch. Ihre Schwester VW blieb im Vergleich dazu zwar eher blass - sie legte nur fünf Prozent zu. Bei ihr schlugen aber auch die hohen Investitionen für das neue Produktionssystem zu Buche. Ansonsten spielen sich die Schwestern die Bälle perfekt zu: Die eine bedient die betuchtere Kundschaft, während sich die andere auf den Massengeschmack konzentriert.
Weltweit steigerte der Elf-Marken-Konzern die Auslieferungen im ersten Quartal um elf Prozent auf 2,2 Millionen Einheiten. Zum Vergleich: Peugeot, immerhin Nummer zwei in Europa hinter VW, schlug im gleichen Zeitraum 790.000 Fahrzeuge los, 14 Prozent weniger als vor Jahresfrist.
Konkurrenz fährt hinterher
Während Konkurrenten wie Peugeot, Renault oder Fiat mit drastischen Verkaufsrückgängen zu kämpfen haben, steigerte die Kernmarke VW ihren Absatz zu Jahresbeginn um 10 Prozent, ihre tschechische Schwester Skoda legte sogar um 14 Prozent zu. Die Fabriken sind gut beschäftigt, was die Wolfsburger in die Lage versetzt, bei niedrigen Kosten Preisabschläge auf Autos zu gewähren. Die Rivalen versuchen mitzuhalten und verzetteln sich in einen Preiskampf.
Ihnen geht nach Einschätzung von Experten langsam die Puste aus: "VW fährt einen Verdrängungswettbewerb. Man geht sehr aggressiv in den Markt, weil man merkt, dass einige Akteure Probleme haben", erläutert Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach.
"Wer schafft es noch?"
US-Weltmarktführer GM hat sich zwar mit Peugeot zusammengetan, um seine defizitäre Europatochter Opel in die Gewinne zu führen. Bis die Allianz Früchte trägt, könnte es nach Überzeugung von Experten allerdings zu spät sein. Das erste Fahrzeug auf einer gemeinsamen Architektur soll erst 2016 auf den Markt kommen.
Bratzel rechnet damit, dass nach der Präsidentschaftswahl in Frankreich erste Fabriken geschlossen werden. Bei Opel verhandelt der Vorstand unter Hochdruck mit der Belegschaft über weitere Einsparungen. Auch dort drohen Werksschließungen. In der Branche werden vier bis fünf Werke für überflüssig gehalten. "Am Ende heißt es: Wer schafft es noch", beschreibt Bratzel die bedrückende Lage für die VW-Rivalen.
Fat und fit
Größe birgt allerdings auch Risiken. "Es gibt kein survival of the fattest", meint Bratzel. Das Beispiel habe General Motors geliefert: Als der angeschlagene US-Riese in der Krise vor ein paar Jahren unbeweglich geworden war und versuchte, mit Rabatten seine Werke auszulasten, musste er Insolvenz anmelden.
Bratzel weist auf die Gefahren auch für VW hin und vergleicht den Wolfsburger Konzern mit einem großen Tanker: "In guten Zeiten, wenn alles auf Kurs ist, hat es eine enorme Marktverdrängung. Wenn sich die Bedingungen aber verschlechtern, ist es nicht so einfach, den Kurs des Schiffes zu ändern." VW müsse erst beweisen, ob der Konzern auch in schlechteren Zeiten flexibel sei und seine Produktionskapazitäten anpassen könne.
Ein besonderes Risiko sei die Abhängigkeit von China, Volkswagens größtem Markt: "Wenn China einen Schnupfen kriegt, bekommt Volkswagen eine Lungenentzündung", sagt der Autoprofessor.
Quelle: ntv.de, Jan Schwartz, rts