Kolumnen

Inside Wall Street Im Cadillac durch Michigan

Mitt Romney.

Mitt Romney.

(Foto: REUTERS)

Im Kampf der US-Republikaner um die Präsidentschaftskandidatur gehen die Vorwahlen in die nächste Runde. In Michigan muss sich Mitt Romney auf eine Niederlage einstellen. Seinen Widerstand gegen die Milliardenhilfen für die Autoindustrie nehmen ihm dort viele Wähler übel.

Nach zwei ruhigen Wochen geht der Vorwahlkampf in den USA in die nächste Runde – das Schlachtfeld heißt Michigan, hier gehen die Republikaner am Dienstag an die Urne. In den Umfragen liegen Spitzenkandidat Mitt Romney und der aktuelle "Anti-Mitt" Rick Santorum gleich auf. Für Romney ist allein das schon ein Desaster. Er ist in Michigan aufgewachsen, sein Vater war hier Gouverneur und der Familienname einmal hoch angesehen. Wenn er hier verliert, wäre seine Kandidatur arg beschädigt – umso mehr hatte er sich im Vorfeld ins Zeug gelegt.

Allzu geschickt stellte sich Romney im Kampf um die Stimmen der Wähler allerdings nicht an. Eine Woche vor der Abstimmung machte er sich zum Gespött der Late-Night-Talker, als er Michigan dafür lobte, dass "die Bäume hier die richtige Höher" hätten und sich "die Straßen richtig anfühlen". In einem Werbespot fuhr Romney einen GM aus Kanada, und erinnerte er sich an frühe Besuche bei der Detroit Motor Show – illustriert mit einem Foto von der Weltausstellung in New York.

Cadillacs in den Garagen

Apropos Motor Show: den einst wichtigsten Sektor der amerikanischen Industrie wollte Romney vor drei Jahren schlicht verrecken lassen. "Lasst sie pleitegehen", wetterte er damals gegen die Staatshilfen für GM und Chrysler, die letztlich nicht nur die beiden Unternehmen, sondern auch eine ganze Zulieferindustrie und hunderttausende von Arbeitsplätzen retteten. Eine Pleite hätte in Detroit und weiten Teilen Michigans verheerende langfristige Schäden angerichtet. Kein idealer Hintergrund für Romney, um im Mittleren Westen Wähler zu sammeln.

Dass der schwankende Mormone bei Wahlkampfauftritten nun immer wieder "Ich liebe Autos" rief, macht die Sache nicht besser – vielleicht sogar eher schlimmer. Denn bei seiner wichtigsten Rede in Michigan, zu der im 68.000 Fans fassenden Ford Field gerade einmal 1.200 Unterstützer erschienen waren, gab er den gebeutelten Michigandern im Krisenstaat den Rest. "Meine Frau fährt ein paar Cadillacs", wollte er sich einschleimen – doch der Schuss ging nach hinten los. Mit "ein paar Cadillacs" geht Romney in einem Staat mit Massenarbeitslosigkeit einfach nicht als Kandidat des Volkes durch. Eher als abgehobener Mega-Reicher, der den Kontakt zum durchschnittlichen Amerika verloren hat. Den Plural seiner Luxusschlitten versuchte Romney wohlgemerkt am Sonntag vor der Wahl zu rechtfertigen. Einen Cadillac habe man eben zuhause in Boston stehen, den anderen im Sommerhaus in Kalifornien – ach so, werden da die Arbeitslosen vor der Suppenküche gedacht haben, das ist ja nachvollziehbar.

Dass Romney den Standpunkt der breiten Bevölkerung nicht kennt, dass er Leben und Ansichten von Nicht-Milliardären schlicht nicht nachvollziehen kann, zeigte sich auch am Sonntag. Bei einem Ausflug zum legendären Autorennen um die "Daytona 500" machte er sich über Fans lustig, die sich mit Einweg-Ponchos gegen den Regen schützten. "Tolle Regenmäntel", witzelte er. "Da habt ihr ja ganz schön was springen lassen." Und auf die Frage, ob er denn ein Nascar-Fan sei, fiel ihm ein: "Ich habe gute Freunde, denen ein paar Teams gehören." – Man fragt sich wirklich, wer den Mann berät.

Suppenküchen in Detroit

Dabei verkörpert Mitt Romney, der unter den aktuellen republikanischen Präsidentschaftskandidaten wohlgemerkt der Vernünftigste ist, doch nur das, was in der Partei seit Ronald Reagan falsch gelaufen ist. Die Republikaner kümmern sich in einer eiskalten Verbohrtheit ausschließlich um die Belange von Corporate America, der finanziellen Oberschicht – und damit auch sich selbst. Hin und wieder gibt man das auch zu, wenngleich unfreiwillig. "Ich mache mir keine Sorgen um die Armen", bekannte Romney jüngst freimütig und fügte hinzu: "Für die haben wir ja ein soziales Netz."

Das ist insofern ein Witz, als ausgerechnet Romney – und jeder andere in der Partei – das soziale Netz seit Jahren systematisch zerreißt. Und weil es ohnehin schon erschütternd löchrig ist, nicht zuletzt in Michigan. Seit die dortige Regierung die Bezugszeiten für Sozialhilfe von maximal fünf auf vier Jahre gekürzt und rund 15.000 armen Familien die Unterstützung gestrichen hat, ist die Nachfrage nach Essen in den Suppenküchen des Landes dramatisch angestiegen. Die Tafel-Organisation Forgotten Harvest hat 2008 noch 12 Millionen Rationen ausgegeben und rechnet damit, dass man künftig bis zu 40 Millionen Rationen pro Jahr einplanen muss.

Russ Russel, Chef von Forgotten Harvest, arbeitet zur Zeit an einem Dokumentarfilm über die steigende Armut in Amerika. Er berichtet von einem schockierenden Moment Mitte Februar. "Ich war zur Essenszeit bei einer Familie, als ein kleiner Junge sagte, er werde heute abend nichts essen. Auf Nachfrage sagte er: Heute ist mein Bruder dran, ich esse dann morgen wieder."

"Trickle-Down-Economics"

Die Republikaner lässt das kalt. Maura Corrigan, Direktorin im Sozialministerium von Michigan, hält die Lage im Staat auch bei einer Arbeitslosigkeit von fast 10 Prozent für "stabil". Jüngste Einschnitte im sozialen Netz habe man getätigt, weil es zuviel Sozialbetrug gebe. Es ist die alte Masche der Partei, die Kürzungen bei den Armen immer damit rechtfertigt, dass die Lage nicht schlimm sei, sondern das System ausgenutzt werde. Für Kürzungen im Sozialsystem treten alle vier republikanischen Präsidentschaftskandidaten ein – gleichzeitig aber auch für anhaltende Steuersenkungen für die Reichen, Rabatte für die Unternehmen und Milliarden-Zuschüsse für hoch profitable Branchen wie etwa die Öl-Industrie. Das Konzept heißt "Trickle-Down-Economics": Seit Reagan reden sich die Republikaner ein, dass ein Kuschelkurs für die Unternehmen Arbeitsplätze schafft und der Wohlstand –Tropfen für Tropfen – dann auch ganz unten ankommt.

Die These ist oft widerlegt worden und dennoch das Wahlkampfkonzept der Partei, für die es in Michigan letztlich doch nur um eine Frage geht: Wer gewinnt, um im November gegen Barack Obama zu unterliegen?

Quelle: ntv.de

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