Per Saldo Wall Street oder Mauerstraße?
17.02.2011, 07:16 UhrDie Deutsche schließt sich mit der New Yorker Börse zusammen und auf beiden Seiten wächst die Furcht vor der Dominanz des Auslands. Das ist aber kein Grund, wild mit den National-Flaggen zu wedeln. Fähnchenschwenken passt besser zum Fußball als zum Börsenhandel.
Gemeinhin zeichnen Fußball-Weltmeisterschaften für nationale Begeisterung verantwortlich. In Deutschland dekorieren sich dann selbst Landsleute, die sich außerhalb des Turniers nicht die Bohne für Fußball interessieren mit lustigen Fanartikeln, hissen an ihrem Wagen die Flagge und reihen sich begeistert hupend in den nächsten Autokorso ein.
Doch nicht nur bei Sommermärchen entdecken ansonsten Abstinente ihre Liebe zu Schwarz-Rot-Gold. Bei grenzüberschreitenden Fusionen ist es ebenso. Wehe, ein spanischer Baukonzern erdreistet sich, nach der deutschen Perle Hochtief zu greifen. Spanier? Auch das noch. Das geht gar nicht. Wäre ja noch schöner. Könnte ja jeder kommen.
Etwas anders sieht die Sache allerdings aus, wenn ein deutscher Konzern im Ausland einkauft. Das geht völlig in Ordnung. Ist doch die natürlichste Sache von der Welt. Die sollen sich mal nicht so haben.
Nationale Symbolik
Nun ist die Deutsche Börse auf dem besten Wege, sich die New Yorker Börse einzuverleiben – die historisch bedeutsamste Börse der Welt, das Bollwerk des amerikanischen Kapitalismus. Während in Deutschland anerkennend genickt wird, stößt das Projekt auf der anderen Seite des Atlantiks nicht überall auf Gegenliebe.
Auch für den einflussreichen demokratischen Senator Charles Schumer steht fest: Die New Yorker Börse ist ein Symbol des nationalen Prestiges. Deshalb müsse die Nyse im künftigen Unternehmensnamen selbstverständlich zuerst genannt werden. Außerdem sollten klarerweise die Amerikaner die Management-Kontrolle im neuen Unternehmen erhalten. Die Aktionäre der Deutschen Börse werden zwar 60 Prozent der Anteile halten, die der Nyse lediglich 40. Aber Schwamm drüber. Schließlich geht es ja um das Prestige einer Weltmacht. Da darf Arithmetik keine Rolle spielen.
Glück für Schumer, dass die Nyse nicht mit Chinesen fusioniert. Das wäre wohl sein schlimmster Albtraum. Die Nyse unter dem Einfluss Pekings? Undenkbar. Dann schon lieber Deutsche.
Doch nicht allen Amerikanern treibt das Zusammengehen von Deutscher und New Yorker Börse den Angstschweiß auf die Stirn. Sie witzeln mittels des beliebten Klischees von Lederhosen, Oktoberfest und Bier. Ein Grund für ihre Gelassenheit: Sie wissen, dass die Deutsche Börse gar nicht so deutsch ist. Und das nicht nur, weil sie ihren Sitz außerhalb Bayerns hat und die wenigen Händler im Börsensaal in der Regel weder Lederhosen tragen noch einen Schuhplattler aufs Parkett legen.
Ende 2009 waren lediglich 17 Prozent der Aktien der Deutschen Börse in deutscher Hand, immerhin 23 Prozent gehörten Briten, satte 41 Prozent US-Amerikanern. Angelsächsische Investoren dominieren die Deutsche Börse schon seit einigen Jahren. Welche Macht sie haben, zeigte sich eindrucksvoll im Jahre 2005. Der damalige Börsenchef Werner Seifert war wild entschlossen, die Londoner Börse zu kaufen. Doch ein britischer Hedgefonds verhinderte die Übernahme. Der Schweizer Seifert ging und der Schweizer Reto Francioni wurde sein Nachfolger.
New York, New York
Aber nicht nur angesichts der Aktionärsstruktur handelt es sich eigentlich nicht um eine deutsche Übernahme. Zweifel an dieser Interpretation sind auch aus einem anderen Grund angebracht: Das Weltfinanzzentrum ist New York. Nicht Frankfurt am Main. Wie groß der Sog dieses Ortes ist, davon kann die französisch dominierte Euronext ein trauriges Lied singen. Bei der Fusion mit der Nyse waren die Amerikaner offiziell Juniorpartner. Doch Paris spielte schnell keine Rolle mehr.
Das mag für Frankreichs Finanzministerin Christine Lagarde ein fürchterlicher Fehler sein. Doch den Kunden der Börse ist es absolut egal, welchen Pass die Aktionäre haben. Ihnen es ist völlig gleichgültig, wo die Geschäfte abgewickelt werden. Der Handel läuft sowieso fast vollelektronisch. Für sie zählen nur Geschwindigkeit, Kosten und Liquidität. Sie denken nicht in nationalen Kategorien und pfeifen auf nationale Befindlichkeiten.
In Zeiten der Globalisierung wäre es deshalb nicht verkehrt, das Fähnchenschwenken auf die Fußball-Weltmeisterschaften zu beschränken.
Quelle: ntv.de