Inside Wall Street Wer ist Dr. Do-Little?
21.06.2012, 07:09 Uhr
Das Verhältnis zwischen Ben Bernanke und der Wall Street bleibt gespannt.
(Foto: REUTERS)
Das Herumhacken auf Fed-Chef Bernanke entwickelt sich an der Wall Street zum Volkssport. Angeblich macht die Notenbank nicht genügend zur Krisenbekämpfung. Das stimmt nicht, denn die Fed pumpt seit Jahren auf durchaus kreative Weise Cash in die Märkte.
Die Wall Street schimpft mal wieder über die Fed. Genauer gesagt über Fed-Chef Ben Bernanke, den man "Dr. Do-Little" nennt - angeblich, weil er mit seinem Komitee zu wenig oder so gut wie nichts tut, die Finanz- und Wirtschaftskrise in den USA zu entschärfen.
Die Kritik an Ben Bernanke ist natürlich völliger Unsinn. Denn auf der einen Seite hat die Notenbank nur begrenzte Macht, die wirklich zu beenden - mehr dazu später. Auf der anderen Seite hat Bernanke ja durchaus einiges getan, nicht erst in dieser Woche, sondern bereits in den letzten Jahren.
Der US-amerikanische Leitzins liegt seit Jahren bei null Prozent, man hat zwei Runden "quantitatives Easing" durchgezogen und damit Geld in die Wirtschaft gepumpt. Das ist auch Ziel der "Operation Twist", die jetzt mit einer weiteren Viertelbillion fortgeführt wird. Dabei verkauft die Fed Staatsanleihen mit kurzer Laufzeit und kauft Papiere mit langer Laufzeit. Für weitere Maßnahmen halte man sich bereit. Die Zinsen bleiben "bis mindestens 2014 niedrig" - was will die Wall Street mehr? Eine Zusage, dass man die Zinsen bis 2015 auf null Prozent halte? Bis 2016? Bis zum Sankt-Nimmerleinstag?
Die US-amerikanische Notenbank pumpt seit Jahren auf durchaus kreative Weise Cash in die Märkte. Dass das die Rezession nicht dreht, dass die USA nicht plötzlich zu blühen beginnen, hat seine Gründe in der Politik der letzten Jahrzehnte, in denen Hardliner in Washington, gierige Banker in New York und eigennützige und verlogene Lobbyisten das Land heruntergewirtschaftet haben.
Hohe Arbeitslosigkeit hilft Republikanern
Die USA haben über Jahrzehnte ihre Infrastruktur verkommen lassen. Man hat es versäumt, in Straßen zu investieren, in den öffentlichen Nahverkehr, in das Telekommunikationsnetz, und viel schlimmer: man hat nicht in Schulen investiert. Das Bildungsniveau in den USA sinkt stetig, in den wenigen Branchen, die noch einstellen, mangelt es an Fachkräften. Und in den Bereichen, in denen mittels rasch beschlossener Investitionen kurzfristig zigtausende Stellen geschaffen werden könnten, mangelt es am politischen Willen - zumindest bei einer Partei, den Republikanern.
Die Republikaner tun seit der Amtseinführung Präsident Obamas alles, um die Wirtschaft klein zu halten. Sie wollen im November dieses Jahres die Wahl gewinnen - nichts kommt ihnen mehr gelegen als eine anhaltend hohe Arbeitslosigkeit. Wollte man die wirklich abstellen und die Not im Land lindern, könnte man in dringend notwendige Baumaßnahmen überall zwischen New York und Kalifornien investieren. Das zu beschließen, ist in der Hauptstadt unmöglich. Die Demokraten stimmen für entsprechende Maßnahmen, die Republikaner blockieren, wollen Ausgaben senken, dafür lieber die Steuern senken - sie bauen nach wie vor auf den "Trickle-Dow-Effekt", der seit Jahren widerlegt ist. Danach kommen Steuersenkungen ganz oben in Form von Investitionen im Privatsektor letztlich bei der Mittelschicht, beim Arbeiter, bei John und Jane Doe an. Leider funktioniert das nur in der Theorie, denn im Privatsektor bleiben höhere Gewinne (etwa wegen niedriger Steuern) entweder im Management hängen oder bei den Aktionären. Investiert wird nicht - sogar aus gutem Grund: Den meisten Firmen fehlt es schlicht an Kunden, denn die haben ja kein Geld mehr.
Radikales Umdenken notwendig
Das wirklich frustrierende an der Entwicklung ist, dass sie immer und immer wieder dargestellt wird - in dieser Kolumne und in allen übrigen Medien. Und dass sich dennoch nichts ändert, weil die politischen Fronten festgefahren sind und die Parteien in Washington eigene Interessen lieber verfolgen, als dem Nutzen des Landes zuzuarbeiten. "Dr. Do-Little" ist nicht Ben Bernanke, sondern jeder einzelne republikanische Abgeordnete. Der tut nämlich "little" bis "nothing" für das Allgemeinwohl und die Gesundung der Konjunktur, dafür jede Menge für seine eigenen Interessen.
Die USA brauchen nicht weitere Hilfen von der Notenbank, sondern ein radikales Umdenken. Und davon ist zumindest bis zur Wahl im November nichts zu sehen.
Quelle: ntv.de