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Per Saldo Der Geist von Seoul

Die Geschichte der G20 reicht nicht sehr weit zurück. Erst seit der großen Krise treffen sich die Wirtschaftsmächte regelmäßig auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs. Doch was bleibt nach dem Gipfel? Etwa der Keim einer Weltregierung?

Von Angesicht zu Angesicht: In Seoul legten die Wirtschaftsmächte ihre Interessen auf den Tisch.

Von Angesicht zu Angesicht: In Seoul legten die Wirtschaftsmächte ihre Interessen auf den Tisch.

(Foto: dpa)

Das Treffen in Südkorea ist vorbei. Ausgepumpt und müde sitzen die Staats- und Regierungschefs der 20 führenden Industrie- und Schwellenländern im Flieger. Das Gastgeberland kehrt zurück in den Alltag. Es war mehr als nur ein diplomatisches Großspektakel. Heerscharen von Übersetzern, Diplomaten und Delegationsmitglieder atmen auf. Mehr als 50.000 Polizisten waren zum Schutz der Gipfelteilnehmer im Einsatz. Sie alle können jetzt erst einmal auf einen weitgehend reibungslosen Verlauf anstoßen. Die befürchteten Zwischenfälle blieben aus, und auch die Proteste auf der Straße hielten sich in Grenzen. Sie reichten kaum an die Wut und den Aufruhr der vergangenen Gipfel in Toronto, Pittsburgh oder London heran.

War es also ein Gipfel der Harmonie? "Der Geist der Kooperation war wirklich spürbar", beschrieb Bundeskanzlerin Angela Merkel die Stimmung in Seoul. Und tatsächlich: Die Wogen im Streit um Wechselkurse und Handelsüberschüsse haben sich geglättet. Die Staaten rüsten rhetorisch ab, die Gefahr einer Eskalation ins Ungewisse ist gebannt, der Währungskrieg scheint abgewendet. Zumindest auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs wurde viel getätschelt, gelobt und gelächelt.

Reichen sich die Hände: Obama schlägt bei Hu ein.

Reichen sich die Hände: Obama schlägt bei Hu ein.

(Foto: REUTERS)

Dazu kommen zwei greifbare Ergebnisse, die sich als praktische Gipfelerfolge daheim vorzeigen lassen: die IWF-Reform und die endgültige Verabschiedung zum Vorschriften-Paket für die Banken. Auch wenn beide Tagesordnungspunkte bereits zuvor ausverhandelt und festgezurrt vorlagen, können sich die Staats- und Regierungschef dennoch gegenseitig auf die Schultern klopfen.

Denn selbstverständlich war die Zustimmung in der großen Runde keinesfalls. Durchaus hätte es passieren können, dass der eine oder andere Staat in letzter Sekunde Forderungen aufstellt, die das ganze Vorhaben auf die lange Bank schieben – dort wo ohnehin schon eine ganze Reihe von Problemen auf ihre Lösung warten.

Vom Schäuble-Ärger bis zum Rohstoffmangel

Geht der Gipfel in die Geschichte ein? Das ist sehr wahrscheinlich. Schließlich standen die Zeichen vor Seoul auf Sturm. Zwei Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise wirkte die Atmosphäre zwischen den Staaten aufgekratzt, vergiftet, angespannt: Alte Konflikte brachen auf. Staunend verfolgte die Welt nicht nur die Inselstreitigkeiten zwischen Japan, Russland und China. Verblüfft nahmen Beobachter auch den scharfen Tonfall zwischen Deutschland und den USA zur Kenntnis.

Auch Deutschland und Russland sind schon ganz anders miteinander umgegangen.

Auch Deutschland und Russland sind schon ganz anders miteinander umgegangen.

(Foto: AP)

Die Lage an den Märkten trug gar nichts zur Entspannung bei: Drohenden Engpässe bei den Seltenen Erden gaben den Experten warnende Ausblicke auf die Machtinstrumente der Zukunft. Daneben steuerte die Schuldenkrise in Europa auf einen neuen Höhepunkt zu. Gleichzeitig galt es eine gewaltige Tagesordnung abzuarbeiten: Vom Umgang mit systemrelevanten Geldhäusern über die Ausgestaltung der Finanzmarktarchitektur bis hin zur Derivate-Aufsicht und Ratingagenturen - an offenen Baustellen, dringenden Vorhaben und brennenden Problemen herrschte kein Mangel.

Klimawandel an der Tischkante

Kurz vor dem Gipfel drängte der Streit um nationale Alleingänge bei Konjunkturstützen, dem Außenhandel und der Geldpolitik alle anderen Themen in den Hintergrund. Themen, die auf dem internationalen Parkett bislang höchste Priorität genossen, fielen beinahe unter den Tisch.

"Die Arbeit, die wir hier verrichten, sieht nicht immer dramatisch aus."

"Die Arbeit, die wir hier verrichten, sieht nicht immer dramatisch aus."

(Foto: dpa)

Die Armutsbekämpfung blieb beispielsweise den Nichtregierungsorganisationen überlassen. Der Klimawandel wurde beim Mittagessen durchgehechelt. Entsprechend gestresst wirkten die Minen mancher Teilnehmer. Wenig hilfreich war es da sicherlich, dass Deutschland sich unmittelbar vor dem Gipfel verpflichtet fühlte, die Vereinigten Staaten daran zu erinnern, was mit dem freien Welthandel vereinbar ist und was nicht.

Es hätte ein Gipfel des Scheiterns, des Streits und des Rückfalls in nationale Interessen werden können. Dass es anders kam, lässt die Welt hoffen. Denn immerhin haben es die Vertreter aus so unterschiedlichen Kulturkreisen wie Indien, Südafrika, China, Südamerika, USA und Europa es geschafft, sich an einen Tisch zu setzen, um ihre wirtschaftlichen Nöte und Sorgen in der großen Runde zu besprechen.

Schießen ist leichter als reden

"Die Arbeit, die wir hier verrichten, sieht nicht immer dramatisch aus", gestand US-Präsident Barack Obama nach dem Gipfel ein. Aber Schritt für Schritt werde eine stabilere Weltwirtschaft geformt, "die Wirtschaftswachstum sichert und Spannung abbaut". Ähnlich sah es auch die deutsche Bundeskanzlerin. Vor ihrem Rückflug nach Deutschland sagte sie: "Unter dem Strich hat sich gezeigt, dass der Gemeinschaftsgeist siegt."

Inspirierende Veranstaltung: Im persönlichen Gespräch lässt sich mehr erreichen als per Brief oder Telefon.

Inspirierende Veranstaltung: Im persönlichen Gespräch lässt sich mehr erreichen als per Brief oder Telefon.

(Foto: REUTERS)

Im Vergleich zum Stimmung vor dem Gipfel sind das vollkommen neu Töne. Wenn der "Geist von Seoul" den Heimflug und vor allem die Landung im politischen Alltag überdauert, könnten diese Worte den Beginn einer neuen Ära markieren: Vom hektischen Krisenmanagement hin zu einer weltweit abgestimmten, gemeinsamen Wirtschaftspolitik.

Dass sich die tonangebenden Wirtschaftsmächte der Welt erstmals dazu bekannt haben, gemeinsam an einem ausgeglichenen Wachstum arbeiten zu wollen - darin liegt wohl der eigentliche Erfolg des G20-Gipfels von Südkorea. Wie lange der "Geist von Seoul" die Politiker inspirieren kann, wird sich schnell zeigen.

Quelle: ntv.de

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