Berlin und die Opel-Rettung Vorsicht, Glatteis!
10.06.2010, 11:52 UhrDie Entwicklung in Sachen Staatshilfen für Opel scheint eine kuriose Wendung zu nehmen. Gut ist das nicht. Denn für die Regierung Merkel steht weitaus mehr auf dem Spiel als die Entscheidung über Bürgschaften.

Die Entscheidung wird vertagt, noch mal vertagt und dann weitergereicht.
(Foto: picture alliance / dpa)
Ein Mitarbeiter von Opel zu sein ist in diesen Zeiten kein schönes Schicksal. Seit mittlerweile mehr als anderthalb Jahren zieht sich das Dilemma des Autobauers in die Länge. Die Entscheidung über Ach und Wehe wird vertagt, noch mal vertagt und dann weitergereicht. Im möglicherweise letzten Akt des Dramas geht es jetzt immer noch um deutsche Staatshilfen zur Sanierung des Europa-Ablegers von General Motors. Entgegen der Ansage von Wirtschaftsminister Brüderle ist das letzte Wort nun doch nicht gesprochen. Auf sein klares "Nein" kontert Kanzerlin Merkel, "Das werden wir mal sehen". Wieder einmal wird deutlich, es gibt schwerwiegende Abstimmungsprobleme innerhalb der Koalition. Die Regierung fühlt sich genötigt, für die Entscheidung noch einmal mehr Zeit in Anspruch zu nehmen. Sie berät jetzt mit den Ministerpräsidenten der vier Bundesländer mit Opel-Standorten. Wieder kann es es dauern, denn Merkel befindet sich in einer Zwickmühle. Am besten wäre es, wenn die Länder in die Bresche springen und die Hilfen garantieren würden. Die Länder sehen das natürlich umgekehrt.
Die Positionen im Geschacher um die von GM beantragten 1,1 Mrd. Euro, die der deutsche Staat geben soll, sind klar. Da ist auf der einen Seite die FDP mit ihrem Wirtschaftsminister Brüderle. Die Liberalen sprechen sich klar gegen die Subventionen für den Konzern aus. Und das mit guten Argumenten. Im Lenkungsausschuss wurde letzte Woche bekannt, dass General Motors über einen Cashflow von 16 Mrd. US-Dollar oder mehr verfügt, wie angeblich ein Gutachten belegt. Brüderle hat nach dem Patt im Lenkungsausschuss sein Urteil gefällt und sich erwartungsgemäß gegen Hilfen ausgesprochen. Ihm sollte eigentlich das letzte Wort gebühren. Wieder einmal ist es anders gekommen.
Die nächste Krise kommt bestimmt
Die Argumente für und wider Staatshilfen sind dieselben geblieben: Selbst nach der Rückzahlung der US-amerikanischen Staatshilfen sollen noch zehn Mrd. in der Kriegskasse übrig sein. Diese Mittel will GM aber für Investitionen und schlechte Zeiten, sprich negative Erträge bereit halten. Im Grunde verständlich, denn GM hat in der Vergangenheit Verluste von sage und schreibe 40 Mrd. Dollar jährlich verbucht. Und die Modellpolitik des Autobauers hat sich nicht so grundsätzlich geändert, dass solche Absatzeinbrüche nicht wieder möglich wären. Das nächste Ölpreishoch dürfte GM wieder kräftig ins Kontor schlagen, denn Spritsparmodelle sind immer noch die Minderheit im Angebot.

GM-Chef Reilly zeigt Thüringens Ministerpräsidentin Lieberknecht, wo es lang geht. Das Bundesland hatte als erstes seinen Anteil an Opel-Bürgschaften zugesagt.
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Auf der anderen Seite stehen die Ministerpräsidenten der Länder mit Opel-Standorten. Nur verständlich, dass diese um die Jobs in ihren Regionen kämpfen. Seien es die 2360 Mitarbeiter im Werk Kaiserslautern, die für die strukturschwache Region einen wichtigen Wirtschaftsfaktor darstellen, oder die mehr als 15.000 Angestellten von GM in Rüsselsheim, wo ebenfalls zahlreiche Stellen zur Disposition stehen. In Nordrhein-Westfalen steht die CDU unter besonderem Druck, weil Ministerpräsident Rüttgers erst kürzlich eine derbe Wahl-Pleite einstecken musste. Unter dem Vorzeichen der sich hinziehenden Regierungsbildung könnte das Thema Opel für Rüttgers ein entscheidendes werden.
Klare Richtlinien
Zwischen allen Fronten stehen die Mitarbeiter von Opel. Kaum vorzustellen, wie es dem Arbeiter am Band oder den Angestellten in der Verwaltung zumute sein dürfte nach der ewigen Hängepartie um die Rettung des traditionsreichen Autobauers. Jeden Tag mit Jobangst zur Arbeit gehen zu müssen ist ein Schicksal, das man wirklich niemandem wünscht - zumal die Mitarbeiter mit Lohnverzicht und kostenfreier Mehrarbeit klar signalisiert haben, dass sie ihren Beitrag zu leisten gewillt sind.
Doch die Kriterien für deutsche Staatshilfen sollten und können auch nicht alleine von der Angst um Arbeitsplätze bestimmt werden. Das hat zumindest die Hälfte des Lenkungsrats des Deutschlandfonds so gesehen und sich gegen staatliche Kreditbürgschaften ausgesprochen. Brüderle hat seine Entscheidung nach dem Patt an den klaren Richtlinien des Rettungsfonds ausgerichtet und festgestellt, dass General Motors diese Kriterien nicht erfüllt. Das Unternehmen ist eben nicht unverschuldet durch die Wirtschaftskrise in Not geraten. Daher ist das Votum der Wirtschaftsexperten wohl begründet und nachvollziehbar.
Unrühmliche Rolle der Politik

Unternehmenspolitik im Rückspiegel: Die Opel-Mutter GM hat in den vergangenen Jahren nicht mit Innovation und Weitsicht geglänzt.
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Aber auch abseits der Regularien des Fonds gibt es gute Gründe gegen die Hilfen zur Sanierung von Opel. Da wäre zum Beispiel die bereits erwähnte wirtschaftliche Kraft, zu der General Motors wieder zurück gefunden hat. Es sind auch die Gründe für den Niedergang der Marke Opel, die ein gewichtiges Argument darstellen. Lange lässt sich streiten, ob GM Schuld daran trägt, dass es Opel schlecht geht. Natürlich haben die Amerikaner auch in schlechten Jahren bei Opel Geld nachgelegt. Fakt ist aber, dass die maßgeblichen Entscheidungen schon lange in Detroit getroffen werden. Qualitätsgefährdende Sparmaßnahmen in den neunziger Jahren, eine verfehlte Modellpolitik oder die unglaubliche Arroganz, mit der sich Manager wie der ehemalige GM-Vorstand Rick Wagoner viel zu lange die Welt vom Detroit River aus schön geredet haben. Die Fantasiewelt, in der GM bis vor knapp zwei Jahren lebte, wurde in den USA geschaffen, nicht in Rüsselsheim.
Die deutsche Politik hingegen spielt in der Tragödie Opel ebenfalls eine unrühmliche Rolle. Die Regierung Merkel hat sich mit dem typischen Zaudern in eine unangenehme Position gebracht. An der deutschen Entscheidung hängen zumindest auch die bereits zugesagten 300 Mio. Euro aus Spanien, wahrscheinlich sogar die gesamten 800 Mio., die von den übrigen EU-Staaten mit Opel-Standorten kommen sollen. Der schwarze Peter liegt jetzt in Berlin. Sagt die Bundesregierung "Nein", dann wird sie wohl dafür verantwortlich gemacht werden, dass GM den Roststift auspackt und Opel Europa radikal zusammenstreicht. Dann erntet sie Gegenwind, nicht nur im eigenen Land, sondern auch von Bürgern und Politikern einiger anderer Staaten in Europa. Eine "No-Win-Situation", in der sich Merkel befindet. Selbst schuld, möchte man sagen.
Wer kommt als Nächstes?
Einer der triftigsten Gründe, warum die Bundesregierung Opel aber hart bleiben und keine Staatshilfen gewähren sollte, ist eine ganz grundsätzliche Frage. Im Raum steht eine mehr oder weniger verhohlene Erpressung. Wenn Berlin "Nein" sagt, dann wird es Deutschland wohl bei der Sanierung am härtesten treffen. Zwei Werke stünden vor dem Aus, sagt Opel-Betriebsratschef Franz und fleht um Unterstützung. Es kann aber nicht angehen, dass ein Konzern dem deutschen Staat mit der Drohung mit Arbeitsplatzabbau öffentliche Gelder oder Garantien abpresst. GM wäre sicher nicht das erste Unternehmen, das so etwas versucht. Doch ein Nachgeben im Fall Opel könnte ein fatales Signal für andere Konzerne senden.
Wer kommt danach? VW oder Ford? Auch Motorola geht es nicht so gut, Nokia hat sich schon aus Deutschland verabschiedet. Viele andere könnten mit dem dezenten Hinweis auf verzichtbare deutsche Arbeitsplätze Bundes-Mittel suchen. Die betroffenen Arbeitnehmer würden mit dem "Argument Opel" feststellen, dass es wohl verschiedene Wertigkeiten von Arbeitsplätzen gibt. Eine fatale Situation für diese und auch jede folgende Regierung. Darauf darf sich der deutsche Staat nicht einlassen. Es geht um politische Glaubwürdigkeit und Souveränität. Die darf nicht aufs Spiel gesetzt werden. Für die Arbeitnehmer dürfte es kaum tröstlich sein, dass sie als Spielball zwischen staatlichen Interessen und den wirtschaftlichen Zielen ihres Unternehmens liegen. Doch ein Staat muss zum Wohl aller handeln. Und die überwiegende Mehrheit in Deutschland ist eben nicht bei Opel angestellt.
Quelle: ntv.de