Moody's senkt den Daumen Warum jetzt Japan?
24.08.2011, 13:43 Uhr
Fragen an den Kleinanleger: Was bedeutet "Aa3" für Japan?
(Foto: AP)
Die Ratingagentur Moody's meldet Zweifel an der japanischen Kreditwürdigkeit an und löst damit neue Nervosität an den Märkten aus. Erreicht die Schuldenkrise nach Europa und den USA jetzt den Fernen Osten? Was heißt das für Tokio? Und was für Moody's?
Nach der Dreifach-Katastrophe vom 15. März mit dem schwersten Erdbeben seit Menschengedenken, dem verheerenden Tsunami und der andauernden Reaktor-Havarie in Fukushima steht die Regierung in Tokio vor neuen Schwierigkeiten: Die Ratingagentur Moody's senkt die Bonitätsnote Japans überraschend um eine volle Stufe ab.
Unerwartet kommt für Experten dabei allerdings lediglich der Zeitpunkt der Entscheidung. Denn dass Japan im Verhältnis zu seiner Wirtschaftsleistung auf dem größten Schuldenberg aller Industrienationen sitzt, ist in Fachkreisen längst kein Geheimnis mehr.
Das Rating des von Rezession, Reformstau und einer jahrzehntealten Flaute geplagten Landes fällt von "Aa2" auf "Aa3" und liegt damit nun drei Stufen unter der Bestnote "Aaa". Die begehrten drei Buchstaben, die eine zinsgünstige Mittelaufnahme an den Kapitalmärkten gewährleisten, hatte das hoch verschuldete Land bereits 1998 verloren.
Immerhin: Der Ausblick für die Bonität der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt bleibt nach Ansicht von Moody's "stabil". Ihre Herabstufung begründeten die Analysten mit Japans hohem Haushaltsdefizit sowie dem Anstieg der Staatsschulden seit der globalen Rezession in 2009. Auch damit verraten die Moody's-Experten den Märkten keine Neuigkeiten.
Unvermeidbare Wechselwirkung
Der Regierung in Tokio legen sie damit allerdings neue Steine in den Weg: Mit einem weiteren kreditfinanzierten Konjunkturprogramm sollte Japan eigentlich aus der Krise steuern und die gewaltigen Verwüstungen aus dem März überwinden. Noch sind die Schäden an der Infrastruktur in weiten Teilen der betroffenen Regionen nicht behoben. Auch die Energieversorgung steht nach Ausfall mehrerer AKW noch auf wackeligen Füßen. Und dabei hat die kalte Jahreszeit noch gar nicht begonnen.
Geld für den Wiederaufbau steht nach dem Urteil der Bonitätswächter nun nur noch zu verschlechterten Konditionen zur Verfügung. Damit zieht Moody's zwangsläufig neue Kritik auf sich - und auf das Wirken der übrigen beiden großen Ratingagenturen: Einmal mehr scheinen die Analysten aus ihrer Rolle als neutrale Beobachter zu fallen.
Denn durch die Herabstufung Japans verändert Moody's die Rahmenbedingungen an den Kapitalmärkten. Die neue Note zwingt Investoren zum Umschichten. Vor allem institutionelle Anleger sind an selbstauferlegte oder von außen vorgeschriebene Regeln gebunden. Und die Argumente, die Moody's vorbringt, setzen nun die Mitbewerber unter Zugzwang. Die Ratingagenturen Standard & Poor's und Fitch werden auf das Urteil reagieren müssen und ihre Neubewertungen wohl ebenfalls nach unten korrigieren. Das Muster ist bekannt: Den Regierungen in Ländern wie Griechenland und Portugal ging es nicht viel anders.
Beobachter mit zu viel Macht?
Es ist das alte Dilemma aller Rating-Analysten. Glaubwürdige Urteile sind unter den Bedingungen einer weltweiten Öffentlichkeit kaum noch möglich. Immer wirkt das Urteil auch nach außen, gewollt oder ungewollt. Durch den direkten Einfluss der Ratingnoten auf die Kreditbedingungen sehen sich die Analysten mittlerweile regelmäßig mit dem Vorwurf konfrontiert, lediglich eine selbst erfüllende Prophezeiung in die Welt zu setzen - anstatt hilfreiche und verlässliche Informationen für Anleger zu bieten.
Die japanischen Staatschulden belaufen sich inzwischen auf rund 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukt (BIP). Der Verschuldungsgrad übertrifft damit selbst die US-Quote von etwa 100 Prozent - auch wenn sich die USA gemessen an den absoluten Zahlen in ganz anderen Dimensionen bewegen. Ein weiterer Unterschied lässt Beobachter an einer größeren Verunsicherung an den Märkten zweifeln. Die US-Schuldscheine mit ihrem schwer vorstellbaren Gesamtvolumen von knapp 15 Billionen Dollar sind über den gesamten Globus verteilt. Der größte Gläubiger der USA ist bekanntermaßen China.
Japan dagegen ist fast ausschließlich bei den eigenen Bürgern und Unternehmen verschuldet. Übernervöse Reaktionen an den internationalen Kapitalmärkten muss Tokio daher nicht fürchten. Der Rating-Effekt trifft Japan deutlich schwächer als andere Nationen. Die neue Ratingnote erhöht dennoch den Druck auf die japanische Regierungspolitik, die desolaten öffentlichen Finanzen zu sanieren. In der kommenden Woche steht in Japan ein Wechsel an der Regierungsspitze an, Premier Naoto Kan hat bereits seinen Rücktritt in Aussicht gestellt. Die Streitfragen kreisen dabei um die Perspektiven der japanischen Wirtschaft. Die Schulden spielen in Tokio nach wie vor eine untergeordnete Rolle.
Quelle: ntv.de, mit Material von dpa/rts