Eskalation in der Ukraine? Wall Street reagiert verschreckt
15.08.2014, 23:16 Uhr
"Schwer zu sagen, wie ernst das ist": Die Kursverluste bleiben in den USA vergleichsweise moderat.
(Foto: REUTERS)
Die Unsicherheit ist zurück: Die Hinweise auf direkte Gefechte zwischen ukrainischen Truppen und einem russischen Militärkonvoi drücken die New Yorker Kurse vor dem Wochenende ins Minus. Die Nasdaq erholt sich am schnellsten.
Die Angst vor einer Eskalation im Ukraine-Konflikt hat den Aufwärtstrend an den US-Börsen vor dem Wochenende abrupt gestoppt. Nach einer positiven Eröffnung drehten die Kurse im frühen Verlauf ins Minus. Wie an den Märkten in Europa verwiesen Händler auch in New York auf die Meldungen aus der Ukraine über einen Angriff auf eine russische Militärkolonne.
Zum Wochenschluss gingen die großen Börsenbarometer an der Wall Street ohne einheitliche Richtung aus dem Handel. Der Dow-Jones-Index der Standardwerte schloss bei 16.662,91 Punkten 0,30 Prozent im Minus. Der breiter gefasste S&P-500 ging mit 1955,06 Zählern prozentual nahezu unverändert aus dem Handel. Der Composite-Index an der Technologiebörse Nasdaq gewann 0,27 Prozent und schloss bei 4464,89 Punkten. Der Auswahlindex Nasdaq 100 kletterte um 0,46 Prozent auf 3987,51 Punkte. In der Woche gewann er mehr als zweieinhalb Prozent.
Trotz der Tagesverluste blieben die Indizes auf Wochensicht im Plus: Der Dow legte hier insgesamt 0,66 Prozent zu. Zudem ist die Entwicklung des US-Leitindex in der YTD-Betrachtung (seit Jahresbeginn) wieder positiv. Im frühen Handel war der Dow bis auf 16.775 Punkte nach oben geklettert.
"Es ist zwar schwer zu sagen, wie ernst das ist", erklärte Jim McDonald von Northern Trust Asset Management mit Blick auf die Nachrichten aus dem Osten der Ukraine. "Aber ein anhaltender Anstieg der Gewalt könnte kurzfristig zu einem Rückschlag führen." Der Dax war zuvor 1,4 Prozent schwächer bei 9092 Punkten tief verunsichert aus dem Handel gegangen. Auf Wochensicht schrumpfte sein Plus damit auf knapp 1 Prozent zusammen.
"Gift für den Markt"
Im US-Handel hielten sich die Abgaben in vergleichsweise engen Grenzen: Nach Handelsschluss in Europa erreichte ein Dementi aus Moskau die Märkte. Russland bestreitet, in Kämpfe mit ukrainischem Militär verwickelt zu sein.
"Die politische Unsicherheit ist wieder zurück", fasste Händler Andreas Lipkow von Kliegel & Hafner seine Eindrücke zusammen. "Die Meldung über militärische Aktivitäten in der Ukraine hat den Börsen weltweit einen ordentlichen Nackenschlag verpasst." Marktbeobachter Sven Kleinhans von Momentum Signals sagte, das sei gerade an einem Freitag "Gift für den Markt".
Viele Anleger scheuten das Risiko vor dem Wochenende und verkauften ihre Aktien. Im frühen Handel hatten überwiegend positiv aufgenommene Unternehmensnachrichten sowie frische Konjunkturdaten noch für weiter steigende Aktienkurse gesorgt. Craig Erlam, Marktanalyst bei Alpari UK, sieht eher enttäuschende Wirtschaftsdaten derzeit wegen der schwindenden Zinserhöhungsangst als bestes Szenario für die Börsen.
Monster-Deal für Coca-Cola
Bei den Einzelwerten standen unter anderem die Titel von Monster Beverage mit einem Anstieg von 30,4 Prozent im Rampenlicht, nachdem der US-Konzern Coca-Cola seinen Einstieg bei dem Getränkehersteller verkündet hatte. Coca-Cola-Papiere legten 1,7 Prozent zu. Nach Meinung von Analysten profitieren beide Seiten von der Transaktion, bei der Coca-Cola das eigene Geschäft mit Energydrinks an Monster überträgt und im Gegenzug das Monster-Geschäft mit anderen Erfrischungsgetränken und Tee übernimmt.
Zweitbester Wert im Nasdaq 100 waren nach der Monster-Aktie die Titel von Applied Materials mit einem Plus von 6,2 Prozent auf 22,47 Dollar. Börsianer lobten die starke Ergebnisentwicklung des Halbleiterausrüsters mit guten Margen. Zudem habe die Auftragslage überzeugt. Auch Biotechwerte zählten wieder zu den Favoriten.
Daneben hatten die Anleger eine Reihe von Geschäftszahlen aus der zweiten Reihe zu verarbeiten. Mit Nordstrom enttäuschte ein weiterer Einzelhändler die Erwartungen, nachdem Wal-Mart am Donnerstag eine Gewinnwarnung ausgegeben und Macy's am Mittwoch die Erwartungen verfehlt hatte. Die Nordstrom-Aktie verlor 5,2 Prozent. Dem Abwärtssog im Einzelhandelssektor konnten sich auch J.C. Penney nicht entziehen. Die Aktien fielen um 2,5 Prozent, obwohl die Kaufhauskette im zweiten Quartal weniger Verlust gemacht hatte als erwartet.
Wie der J.C.-Penny-Aktie erging es im Technologiebereich den Papieren von Autodesk. Auf den ersten Blick waren die Ergebnisse des Softwareunternehmens gut ausgefallen und der Autodesk-Titel testete sein Rekordhoch. Dann sei das Papier wegen Gewinnmitnahmen und einem enttäuschenden Ergebnisausblick nach unten gedreht. Schließlich stand ein Minus von fast sechseinhalb Prozent zu Buche.
Der zeitweilige Rutsch des Goldpreises unter die Marke von 1300 Dollar riss im Verlauf auch die Aktie des Bergbaukonzerns Newmont Mining mit nach unten. Sie verbilligte sich um 0,6 Prozent. Gold notierte vor dem Hintergrund der wiederaufgeflammten Ukrainesorgen bei 1304,50 Dollar.
"Ungebrochen optimistisch"
Einzelne Beobachter wollten den Verlusten vom Freitag nicht zu viel Bedeutung beimessen. Um merkliche Folgen für die USA zu haben, müsste sich der Konflikt in der Ukraine noch erheblich verschärfen, meinte etwa Bob Baur, Chefvolkswirt bei Principal Global Investors. Daran glaube er aber nicht. Er sei vielmehr "ungebrochen optimistisch", was den US-Aktienmarkt angehe. Dieser werde von der Zunahme der Beschäftigung in den USA, höheren Verbraucherausgaben und den stetig steigenden Unternehmensgewinnen profitieren, prognostizierte Baur.
Im frühen Handel hatten die Aktienkurse zunächst zugelegt, obwohl einige Konjunkturdaten des Tages enttäuscht hatten. Erfreulich fielen allerdings die US-Daten zur Industrieproduktion aus: Sie stiegen im Juli um 0,4 Prozent zum Vormonat und damit stärker als erwartet. "Insgesamt untermauern die Zahlen das intakte Wachstumsszenario in den USA", kommentierte die Helaba. Allerdings trübte sich die Stimmung der US-Konsumenten im August überraschend ein.
Das Barometer zum Verbrauchervertrauen fiel Daten von Thomson Reuters und der Universität Michigan zufolge um 2,6 auf 79,2 Punkte. Das ist der tiefste Stand seit November 2013. Im Vorfeld befragte Ökonomen hatten dagegen einen Anstieg auf 82,0 erwartet.
Die Sorgen der Befragten richten sich dabei vor allem auf die Zukunft. So sackte der Index für die Erwartungen deutlich auf 66,2 von 71,8 ab, ebenfalls der niedrigste Wert seit November 2013. Dagegen verbesserte sich der Index für die Einschätzung der aktuellen Lage auf 99,6 von 97,4 und lag damit so hoch wie seit Juli 2007 nicht mehr. Die US-Verbraucher spielen eine Schlüsselrolle für die US-Wirtschaft, weil rund 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts vom Privatkonsum abhängen.
Konjunkturdaten lassen kalt
Der unter den Erwartungen ausgefallene Empire State Index bewegt die Märkte nicht. Der Index fiel im August auf 14,69 Punkte von 25,60 zurück. Erwartet wurde ein Rückgang auf 20. Der Empire State Index ist ein Stimmungsindikator und kann recht volatil sein, was die Nicht-Reaktion der Märkte erklären könnte. Die US-Erzeugerpreise im Juli im Kern wie erwartet um 0,2 Prozent gestiegen.
"Die Wirtschaft wächst schnell genug, um die Nachhaltigkeit der Unternehmensgewinne zu gewährleisten, aber nicht so schnell, dass die Federal Reserve sich gezwungen sähe, die Zinsen schon eher anzuheben", kommentierte Colin Cieszynski, Senior Market Analyst beim Broker CMC Markets, die Daten. Angst vor baldigen Zinserhöhungen hatte die US-Aktien in der vergangenen Woche stark belastet.
An der New York Stock Exchange wechselten 756 Millionen Aktien den Besitzer. 1465 Werte legten zu, 1527 gaben nach und 168 blieben unverändert. An der Nasdaq schlossen bei Umsätzen von 1,78 Milliarden Aktien 1133 im Plus, 1543 im Minus und 139 unverändert.
Ein Euro kostete im US-Handel zuletzt 1,3696 Dollar. Die Europäische Zentralbank hatte den Referenzkurs 1,3388 (Donnerstag: 1,3373) Dollar festgesetzt. Der Dollar kostete damit 0,7469 (0,7478) Euro. Am Rentenmarkt legte die zehnjährige US-Anleihe um 17/32 auf 100 9/32 Punkte zu und rentierten mit 2,34 Prozent. Das ist die geringste Verzinsung des richtungweisenden Papiers seit Juni 2013.
Quelle: ntv.de, mmo/bad/DJ/dpa/rts