Marktberichte

Inside Wall Street Neuanfang für GM?

Der Niedergang der US-Automobilindustrie erschüttert die USA in ihren Grundfesten. Denn General Motors (GM) ist mehr als nur ein maroder Industriegigant. GM steht als Symbol für die gesamte US-Wirtschaft.

Andrang herrscht am Platz der GM-Aktien.

Andrang herrscht am Platz der GM-Aktien.

(Foto: REUTERS)

Die Wall Street hat die neue Woche schon wieder mit einer Rally begonnen, und anlässlich der Pleite von General Motors ist das nicht mehr als rätselhaft. Zwar ist die Industrielegende, die einst einer der wichtigsten Motoren der amerikanischen Wirtschaft war, einen angekündigten Tod gestorben. Doch das ändert nichts an der Tragik der Geschichte und den Folgen für die USA.

"Es ist eine Tragödie", klagt ein Händler an der Handelsschranke L-10, wo die Aktie von GM in den letzten Wochen gehandelt wurde. Hier gab es regelmäßig den großen Andrang, wenn Broker verschiedener Häuser auf Nachrichten zu dem Unternehmen warteten, dessen Konkurs man seit Monaten erwartet hatte, und den doch so viele nicht begreifen können.

Doch viel weniger können die Mitarbeiter mancher GM-Werke akzeptieren, was aus ihrem Unternehmen geworden ist. "Wir hatten im letzten Jahr Rekordumsätze und haben bereits angefangen, eine dritte Schicht anzustellen", erklärt einer, der - wie das Management des Konzern - vom zeitweiligen Erfolg der SUV und Trucks geblendet war. Deren Zeit ist vorbei, seit die explodierenden Öl- und Benzinpreise im vergangenen Jahr dem amerikanischen Autofahrer klar gemacht haben, dass der Rohstoff langfristig teuer und spritsparende Autos attraktiver sind.

Mit der wechselnden Nachfragesituation konnte GM nicht umgehen, denn zu lange hatte man sich auf dem Erfolg der Schwergewichte ausgeruht - neue Technologien und effiziente Motoren lagen nicht vor. Man verlor Marktanteile und Umsatz, dann mehrere Milliarden Dollar und ist nun eben bankrott.

Das ist nicht nur verheerend für die amerikanische Industrie im Mittleren Westen und für die Familien zigtausender Mitarbeiter, die nun entlassen werden. Es ist vor allem ein Armutszeugnis für die ganze US-Wirtschaft, deren Symbol GM immer war und immer noch ist.

Während General Motors vor fast hundert Jahren das Symbol der Industrialisierung war und davon zeugte, wie vom Fortschritt auch der kleine Mann profitieren konnte, so steht das Unternehmen heute symbolisch für das Versagen der amerikanischen Top-Manager. Der Fall GM belegt wie kein Zweiter, dass große Konzerne in guten Zeiten träge geworden sind und sich das Management offensichtlich eher um die Bilanz zum Quartalsende als um das langfristige Überleben und Strategien für die Zukunft gesorgt hat.

Wenn nun CEO Fritz Henderson und US-Präsident Barack Obama von einer großen Zukunft für ein "neues GM" sprechen, dann kann das nur nach gravierenden Umstellungen sein. Nicht nur den Umstellungen, die unter Gläubigerschutz in den Büchern stattfinden. Vielmehr muss sich der ganze Konzern neu orientieren, muss langfristig denken - und unter Umständen seine gesamte Produktpalette ändern.

So könnte sich GM künftig etwa aus dem Automobilsegment zurückziehen und für den öffentlichen Nah- und Fernverkehr produzieren. Hunderte von Metropolen zwischen Atlantik und Pazifik haben Busflotten, die modernen Standards nicht entsprechen. Züge gibt es kaum. Schnellverbindungen zwischen Ballungszentren, etwa Chicago, Detroit und Minneapolis/St. Paul, werden schon lange gefordert und geplant. Neue Schienennetze zu legen und das Rollmaterial herzustellen könnte auf lange Sicht zigtausende Arbeitsplätze sichern.

Der Kritiker Michael Moore, der mit seinem GM-Film "Roger and Me" vor zwanzig Jahren seinen ersten Erfolg feierte, hält eine so radikale Umstellung aus zwei Gründen für möglich: Zum einen sei es der Industrie schon vor hundert Jahren möglich gewesen, die Amerikaner von Pferd und Buggy auf das moderne Auto umzustellen. Zum anderen hat man schon einmal die Palette umgestellt. 1942 wurde, auf Initiative von Präsident Roosevelt, die gesamte Auto-Produktion ein- und der Konzern auf Flugzeuge, Panzer und Maschinengewehre umgestellt. Technisch ist eine radikale Neuoientierung also möglich.

Wenn man so große Schritte geht, dann hat GM nach seiner 101-jährigen Vergangenheit tatsächlich eine Zukunft. Doch steht das Unternehmen - und mit ihm der Mehrheitseigner USA - vor einer gewaltigen Herausforderung.

Quelle: ntv.de

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