Kein neues Angebot Bahn nimmt Streik in Kauf
06.11.2007, 11:05 UhrBeim Bahn-Tarifkonflikt stehen die Zeichen erneut auf Streik: Die Deutsche Bahn will das Ultimatum der Lokführer-Gewerkschaft GDL verstreichen lassen und kein frisches Angebot vorlegen. "Ein neues Angebot wird es nicht geben", sagte Personal-Vorstand Margret Suckale in einer Telefonkonferenz. Für die GDL eine klare Aufforderung zu weiteren Streiks.
Suckale forderte die GDL erneut zur Rückkehr an den Verhandlungstisch und Gesprächen auf der Grundlage der letzten Bahn-Offerte auf. Es könne nicht nur ein sehr weitreichendes Streikrecht der GDL geben, sondern es müsse auch eine Verhandlungspflicht geben.
Die GDL hatte der Bahn bis Mittwoch Zeit gegeben, ein neues Angebot vorzulegen und damit weitere Arbeitsniederlegungen zu verhindern. Am Mittwoch will die Gewerkschaft dann über neue Streiks entscheiden, die bereits am Donnerstag beginnen könnten und sich zunächst gegen den Güterverkehr richten sollen. Das Streikrecht für die Sparte hatte die Gewerkschaft in der vergangenen Woche vor Gericht erstritten. Eine Blockade des Güterverkehrs würde die Bahn deutlich stärker treffen als die bisherigen Streiks im Regionalverkehr und könnte Bahn und Wirtschaft nach Expertenschätzungen bis zu 50 Millionen Euro täglich kosten.
Die Mehrheit des GDL-Hauptvorstands ist offenbar für eine Verschärfung des Arbeitskampfes. "Im Großen und Ganzen gibt es Einigkeit - die meisten wollen ein bisschen mehr Streik", sagte die Sprecherin der Gewerkschaft, Gerda Seibert, am Dienstag. "An der Basis brodelt es. Wenn es danach geht, würden die Züge wochenlang stehen", erklärte sie.
GDL-Vizechef Claus Weselsky kündigte auf einer Bezirksversammlung der GDL Bayern in Augsburg den "stärksten und härtesten Arbeitskampf" an, den die Bahn bisher erlebt habe. "Wenn 12, 18, 20 Stunden im Güter und Nahverkehr nichts mehr geht, kann der Bahnvorstand das Problem nicht mehr aussitzen und muss einlenken", sagte Weselsky. "An neuen Streiks sei nicht mehr vorbeizukommen, nachdem sich der Bahnvorstand nicht bewegt".
Weselsky sprach sich gegen Forderungen aus den eigenen Reihen nach einem unbefristeten Bahn-Streik aus. "Der Streik darf nicht unverhältnismäßig sein und die Republik zum Stillstand bringen." Die GDL werde "zu keinem Zeitpunkt das Augenmaß verlieren".
Alles ist möglich
Weselskys Amtskollege Günther Kinscher mahnte zur Zurückhaltung. "Mit den Streiks müssen wir vernünftig umgehen", sagte er. "Wir können hier ja nicht Tabula rasa machen." Nach der Aufhebung des Streikverbots im Güter- und Fernverkehr müsse die Gewerkschaft maßvoll mit ihrer neuen Macht umgehen, betonte Kinscher.
Zugleich erklärte er jedoch, nach dem Treffen des GDL-Hauptvorstands und der Tarifkommission am Mittwoch sei alles möglich. Wenn die GDL-Führung auf die Gewerkschaftsmitglieder hören würde, hätte sie schon vor Wochen zu unbefristeten Streiks aufgerufen. Sollte die Bahn kein neues Angebot vorlegen, werde der Druck auf Bahn-Chef Hartmut Mehdorn deshalb weiter steigen, warnte Kinscher. "Wenn es wirklich zu harten Streiks kommt, dann ist fraglich, ob überhaupt noch Mehdorn über den Tarifvertrag entscheidet."
Arbeitsrechtler: GDL bekommt Vertrag
Die Deutsche Bahn kommt im Tarifkonflikt mit der Gewerkschaft GDL aus Sicht des Tübinger Arbeitsrechtlers Hermann Reichold kaum mehr an einem eigenständigen Tarifvertrag für die Lokführer vorbei. "Ich denke, das ist eine Forderung, deren Erfüllung das gestärkte Selbstvertrauen der GDL jetzt verlangt", sagte er in einem dpa-Gespräch. Wenn das Unternehmen sich nicht auf die Gewerkschaft zu bewege, müssten sich die Kunden der Bahn noch mehrere Wochen lang auf Arbeitsniederlegungen der Lokführer einstellen. "Ich glaube, eine Lösung des Tarifkonflikts wird es spätestens kurz vor Weihnachten geben, denn dann würden sonst Streiks im Weihnachtsverkehr drohen."
Der Streit zwischen der Bahn und der GDL sei "eine einzigartige Tarifauseinandersetzung in Deutschland", die sich vor allem durch die unnachgiebige Haltung des Unternehmens auszeichne, sagte Reinolds von der Universität Tübingen. Die Bahn habe sich zudem als fürsorglicher Arbeitgeber gegenüber den Lokführern disqualifiziert, weil sie selbst durch separate Verhandlungen mit den Gewerkschaften Transnet und GDBA eine Spaltung der Belegschaft riskiert habe. Vor dem Hintergrund des geplanten Börsengangs habe die Bahnspitze alles versucht, größere Zugeständnisse an die GDL zu vermeiden. Stattdessen habe Bahnchef Hartmut Mehdorn in Interviews Stimmung gegen die GDL gemacht.
Ausbildung neuer Lokführer
Unterdessen will die Bahn bis zum 1. September 2008 insgesamt 1.350 neue Lokführer ausbilden. Laut Mitarbeiterzeitung "DB-Welt" sollen die neuen Mitarbeiter aber nicht ausschließlich Loks fahren, sondern "bei Bedarf auch in anderen Bereichen - etwa der Fahrzeuginstandhaltung - eingesetzt werden." In der Folge der Anzeigenkampagne, mit der die Bahn 1000 Lokführer suchte, hätten sich rund 15.000 Interessenten per E-Mail, Telefon oder Post gemeldet, schrieb die Zeitung.
Die neuen Kollegen würden bei einer Tochtergesellschaft von DB Zeitarbeit eingestellt, die am 1. Januar 2008 ihre Arbeit aufnehmen soll. "Das Unternehmen vermittelt die Lokführer dann an die jeweiligen Transportgesellschaften weiter."
Quelle: ntv.de