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Nach Pleite vor Gericht Mehdorn-Appell an Merkel

Im Tarifkonflikt mit den Lokführern hat Bahnchef Hartmut Mehdorn die Bundesregierung zum Eingreifen aufgefordert. Nach "Spiegel"-Angaben schrieb Mehdorn einen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Bahn-Aufsichtsrat. Die Bahn sei "mit einem Arbeitskampf konfrontiert, in dem ein eigenständiger Tarifvertrag für die Berufsgruppe der Lokomotivführer durchgesetzt werden soll", heißt es in dem Schreiben. Dies hätte "eine Spaltung der Belegschaft und eine schwer zu beherrschende Tarifvielfalt zur Folge", die über kurz oder lang auch auf andere Wirtschaftszweige übergreifen würde. Um eine solche Entwicklung zu verhindern, schlägt der Konzernchef einen "Ordnungsrahmen zum Erhalt der Tarifeinheit am Standort Deutschland" vor.

Ziel müsse es sein, dass in einem Betrieb immer nur die Bestimmungen eines Tarifvertrages anwendbar sein sollen, heißt es in dem Schreiben. Anderenfalls könne die in Deutschland seit Jahrzehnten bewährte Sozialpartnerschaft und damit ein bedeutender Standortvorteil Schaden nehmen.

Nach der Aufhebung des Streikverbots im Güter- und Fernverkehr durch das Sächsische Landesarbeitsgericht in Chemnitz will die Lokführergewerkschaft GDL in der kommenden Woche über weitere Arbeitskampfmaßnahmen entscheiden. Dabei solle der Personennahverkehr zunächst ausgespart werden, sagte der GDL-Vorsitzende Manfred Schell. Man wolle der Bahn Gelegenheit geben, ein neues Tarifangebot vorzulegen. Die Gewerkschaft plant über das Wochenende keine Aktionen. Das Sächsische Landesarbeitsgericht hatte am Freitag in einem Berufungsverfahren eine Einstweilige Verfügung des Arbeitsgerichts Chemnitz aufgehoben, das nur Streiks im Regionalverkehr erlaubt hatte.

Wundenlecken bei der Bahn

Die Deutsche Bahn stufte das Urteil als schwere Niederlage ein. "Es ist ein schwarzer Tag für die Bahn, für die deutsche Wirtschaft, unsere Kunden", sagte Bahn-Personalvorstand Margret Suckale in Berlin. Flächendeckende Streiks im Güterverkehr könne die deutsche Wirtschaft "nur schwer verkraften". Die GDL habe "das Recht zugesprochen bekommen, die gesamte Republik lahmzulegen". Auf die Frage, ob die Bahn eine Verfassungsbeschwerde gegen die Chemnitzer Entscheidung einlegen wolle, sagte Suckale: "Wir werden auch über Karlsruhe nachdenken."

Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) warnte die Tarifpartner vor weiteren Streiks. Nach dem Gerichtsbeschluss über eine erweiterte Zulassung von Arbeitskämpfen bei der Bahn erklärte er: "Das Urteil eröffnet Möglichkeiten zum Streik, bürdet aber den Tarifpartnern eine noch größere Verantwortung auf." Ein Streik hätte gravierende Folgen für die Volkswirtschaft, sagte Tiefensee der "Frankfurter Rundschau". "Es ist das Gebot der Stunde, die Verhandlungen zügig wieder aufzunehmen."

GDL in stärkerer Position

Der Vorsitzende Richter Werner Leschnig begründete die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts damit, dass Streiks im Güter- und Fernverkehr nicht als unverhältnismäßig anzusehen seien. Eine Streikmaßnahme könne nur untersagt werden, wenn sie "eindeutig rechtswidrig" sei. Der Gewerkschaft sei es unbenommen, sich des Mittels eines Streiks zu bedienen, um einen Tarifvertrag durchzusetzen. Die Höhe der Tarifforderung spiele dabei keine Rolle.

Die Gewerkschaft bekommt damit im laufenden Tarifkonflikt eine deutlich stärkere Position. Sie will mit Streiks ihre Forderung nach einem eigenständigen Tarifvertrag und kräftigen Einkommenserhöhungen durchsetzen. Nachdem sie mit Arbeitsniederlegungen im Regional- und S-Bahn-Verkehr bislang vor allem Pendler getroffen hat, will sie sich nun zunächst auf den Güterverkehr konzentrieren. Bis einschließlich Sonntag sind zunächst aber keine Aktionen geplant. "Der Bahnvorstand muss seine starre Haltung aufgeben", sagte Schell. Mit einem neuen Tarifangebot könne Deutschland vor weiteren Arbeitskämpfen bewahrt werden.

Schaden von 50 Mio. Euro pro Tag

Die deutsche Wirtschaft befürchtet im Falle von Streiks im Güterverkehr "drastische Schäden". Industriepräsident Jürgen Thumann drängte auf eine rasche Einigung im Interesse der Wirtschaft. "Eine Ausdehnung des Lokführerstreiks auf den Güterverkehr kann zu erheblichen Schäden in der Wirtschaft führen", sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie der "Thüringer Allgemeinen". Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer begrüßte das Urteil. Das Gericht habe "verfassungskonform entschieden und das gewerkschaftliche Streikrecht nicht eingeschränkt". Auch der Vorsitzende der mit der GDL konkurrierenden Bahn-Gewerkschaft GDBA, Klaus-Dieter Hommel, begrüßte die Entscheidung.

Nach Einschätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) wird Streik im Güterverkehr ab einer Dauer von drei Tagen volkswirtschaftlich bedenklich. DIW-Abteilungsleiterin Claudia Kemfert sagte der "Frankfurter Rundschau", man rechne dann mit einem Schaden in Höhe von 50 Millionen Euro pro Tag. Betroffen seien vor allem der Fahrzeugbau, die Stahlindustrie und der Transport fossiler Brennstoffe. Ab einer Streikdauer von sieben bis zehn Tagen vervielfache sich der Schaden auf bis zu 500 Millionen Euro täglich und sei "volkswirtschaftlich nicht mehr zu verkraften."

Gegenüber n-tv sagte Kemfert: "Wenn die sehr empfindlichen Stellen, wie zum Beispiel die Häfen in Hamburg oder Bremerhaven, bestreikt werden, kann es sehr schnell zu Chaos kommen."

Quelle: ntv.de

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