"Vor 5000 Jahren geschah etwas" Beginn des Küssens förderte wohl Herpes-Verbreitung
29.07.2022, 11:11 Uhr Artikel anhören
Geküsst wird noch gar nicht so lange - hier eine Skulptur von Echnaton, der seine Tochter küsst. Er lebte um 1350 v.Chr.
(Foto: picture-alliance / akg-images / Andrea Jemolo)
Geküsst wird in vielen Teilen der Welt, aber bei Weitem nicht in allen - und auch noch nicht immer. Die früheste bekannte Überlieferung des Küssens stammt aus der Bronzezeit. Nach Ansicht von Forscherinnen kann das Aufkommen des Kusses als neuer Brauch die Verbreitung des oralen Herpesvirus begünstigt haben.
Wenn Küssen krank macht: Nach Ansicht von Wissenschaftlerinnen könnte das Aufkommen des Kusses als neuer Brauch die Verbreitung des oralen Herpesvirus begünstigt haben. Dieses wird über den Mund übertragen. "Vor etwa 5000 Jahren geschah etwas, das es einem Herpesstamm ermöglichte, alle anderen zu überholen, möglicherweise eine Zunahme der Übertragungen, die mit dem Küssen in Verbindung stehen könnte", sagte Christiana Scheib von der britischen University of Cambridge. Sie ist Ko-Autorin der Studie, die im Fachblatt "Science Advances" erschien.

Eine in der Studie verwendete Probe antiker Herpes-DNA stammte von einem 26 bis 35 Jahre alten Mann, der in der Nähe des Rheinufers ausgegraben wurde; hier Schädel und Gebiss.
(Foto: Dr Barbara Veselka/EurekAlert/dpa)
Für die Studie analysierte das internationale Forscherteam etwa 3000 DNA-Proben von archäologischen Funden. Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen fanden nur in vier Fällen das Herpesvirus. Die älteste Probe komme von einem Mann, der in der russischen Uralregion lebte und aus der späten Eisenzeit vor etwa 1500 Jahren stammte. Bisher stammten die ältesten genetischen Daten für Herpes nach Angaben der Autorinnen und Autoren von einer Probe aus dem Jahr 1925.
Durch eine Sequenzierung der Genome und einen Vergleich mit Proben aus dem 20. Jahrhundert habe man eine Mutationsrate und die Evolution des Virus abschätzen können.
Übertragung nur durch oralen Kontakt
"Gesichtsherpes versteckt sich lebenslang in seinem Wirt und wird nur durch oralen Kontakt übertragen, sodass Mutationen langsam über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg auftreten", sagte Ko-Autorin Charlotte Houldcroft (ebenfalls Universität Cambridge). Jede Primatenart habe eine Form von Herpes, sagte Scheib. Deshalb gehe man davon aus, dass auch Menschen das Virus in sich trugen, seit sie Afrika verlassen haben. Das Küssen könnte später aber zu einer Verbreitung des oralen Herpes beigetragen haben.
Die früheste bekannte Überlieferung des Küssens ist nach Angaben des Forscherteams ein Manuskript aus der Bronzezeit in Südasien. Der Brauch sei in der menschlichen Kultur bei Weitem nicht universell.
Kulturelle Praxis des sexuellen und romantischen Küssens
Die Wissenschaftlerinnen vermuten, dass der Kuss mit einer Wanderungsbewegung aus Eurasien nach Europa gekommen sein könnte. Der Aufschwung des oralen Herpes könne mit dem Aufkommen der kulturellen Praxis des sexuellen und romantischen Küssens zusammengefallen sein.
Auch heutzutage ist der romantische Kuss übrigens nicht in allen Teilen der Welt verbreitet. Eine Studie des Kinsey Instituts an der Indiana University kam 2015 zu dem Ergebnis, dass es nur in 46 Prozent der 168 untersuchten Kulturen erfolgt. Insbesondere im Mittleren Osten, in Nordamerika und Europa werden demnach viele Küsse verteilt. Bei afrikanischen Kulturen südlich der Sahara, auf Neuguinea oder in Zentralamerika spiele der mit Liebe und Sexualität verbundene Kuss eher keine Rolle.
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden Herpeserkrankungen hauptsächlich durch zwei Virentypen verursacht: Das Lippenherpes-Virus (HSV-1) und das Genitalherpes-Virus (HSV-2). Der Typ HSV-1, um den es auch in der Studie geht, wird über Mund-zu-Mund-Kontakt übertragen. Das Virus bleibt lebenslang im Körper, Symptome können immer wieder auftreten. Laut WHO sind etwa 3,7 Milliarden Menschen unter 50 Jahren mit diesem Herpesvirus infiziert.
Quelle: ntv.de, abe/dpa