Selbstbefriedigung bei Primaten Schützt Masturbieren vor Geschlechtskrankheiten?
08.06.2023, 17:35 Uhr Artikel anhören
Bonobo-Affen sind bekannt dafür, einen besonders ausgeprägten Selbstbefriedigungstrieb zu haben.
(Foto: imago stock&people)
Masturbation ist etwas Natürliches. Die meisten Primaten, einschließlich des Menschen, tun es. Ein britisches Wissenschaftsteam hat nun die Evolution der Selbstbefriedigung untersucht - und kommt zu einem überraschenden Ergebnis: Selbst Hand anlegen macht nicht nur Spaß, sondern erfüllt wohl auch einen Zweck.
Lange Zeit wurde Selbstbefriedigung als etwas Schlechtes und Krankhaftes bezeichnet. Nicht zuletzt, weil die katholische Kirche sie als Sünde verdammte. Heute wissen wir: Selbst Hand anlegen ist absolut natürlich und normal. Schon die Vorfahren des Menschen haben masturbiert, wie nun eine britische Forschungsgruppe vom University College London herausgefunden hat. Primaten hätten sich bereits vor 40 Millionen Jahren selbstbefriedigt - und nicht nur zum Spaß.
Die Anthropologin Matilda Brindle und ihr Team untersuchte nach eigenen Angaben einen der größten Datensätze zum Wissen um die Masturbation. Sie sammelten Informationen aus Hunderten Quellen, darunter viele wissenschaftliche Arbeiten, aber auch Beobachtungen von Primatenforschern und Tierpflegern in Zoos. Anhand dieser Daten konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Verbreitung des autosexuellen - also auf sich selbst gerichteten - Verhaltens unter Primaten nachverfolgen.
Das Ergebnis: "Wir haben herausgefunden, dass Masturbation ein uraltes Merkmal innerhalb der Primatenordnung ist", heißt es in ihrer Studie, die im Fachmagazin "Proceedings of the Royal Society B" veröffentlicht wurde. Sie erhöhe nicht nur den Fortpflanzungserfolg, sondern trage auch dazu bei, sexuell übertragbare Infektionen zu vermeiden - zumindest bei Männchen.
Qualität des Spermas verbessert?
Brindle und ihr Team konnten anhand der Daten feststellen, dass Masturbation bei Männchen von Primatenarten, deren Weibchen sich mit mehreren Männchen paaren, häufiger vorkommt. "Die Masturbation ging in Paarungssystemen mit nur einem Männchen häufig verloren, in Paarungssystemen mit mehreren Männchen dagegen fast nie", erklären die Forscherinnen und Forscher.
Dies deute darauf hin, dass Masturbation die Chancen auf eine Befruchtung in konkurrierenden sexuellen Szenarien erhöht. Eine Theorie besagt, dass die Masturbation ohne Samenerguss die Erregung vor dem Sex erhöhen kann. Für Männchen niedrigeren Rangs, die beim Geschlechtsverkehr gestört werden könnten, könnte das eine nützliche Taktik sein, da sie dadurch schneller ejakulieren können. Außerdem vermuten die Forscherinnen und Forscher, dass Selbstbefriedigung die Qualität des Ejakulats verbessern könnte, indem sie zuerst minderwertiges Sperma ausstößt.
Das Team fand aber auch "starke Beweise für eine Koevolution zwischen Masturbation und dem Auftreten von Krankheitserregern bei Männern". Somit könnte sich das Verhalten entwickelt haben, um Mikroorganismen, die Krankheiten verursachen, aus dem Genitaltrakt zu spülen. So sei Selbstbefriedigung häufiger bei Männchen größerer Primatenarten beobachtet worden, die anatomisch nicht in der Lage waren, Genitalien oral zu pflegen. "Masturbation ging sehr häufig verloren, wenn keine Krankheitserreger vorhanden waren, aber fast nie, wenn sie vorhanden waren", schreiben Brindle und Kollegen in der Studie.
Weibliche Masturbation bleibt im Dunklen
Die Bedeutung der weiblichen Selbstbefriedigung dagegen bleibt weitgehend im Unklaren. Obwohl sie ebenfalls häufig vorkommt, ließen die ausgewerteten Daten der Studie zufolge keine eindeutigen Rückschlüsse auf ihren evolutionären Zweck zu. Keiner, der bei den Männchen beobachteten Trends treffe auf die Weibchen zu. "Es ist wichtig festzustellen, dass es in unserem Datensatz viel weniger Berichte über Masturbation bei weiblichen Primaten gibt", betonen Brindle und ihr Team. "Dies liegt zum Teil daran, dass weibliche Erregung und Masturbation weniger auffällig sein können als die von Männchen." Gleichzeitig spiegele es aber auch einen generellen Mangel an Informationen über weibliches Sexualverhalten in den Biowissenschaften wider.
"Unsere Ergebnisse tragen dazu bei, Licht in ein sehr verbreitetes, aber wenig verstandenes Sexualverhalten zu bringen, und sie stellen einen bedeutenden Fortschritt in unserem Verständnis der Funktionen der Masturbation dar", sagt Brindle laut einer Mitteilung des UCL. "Die Tatsache, dass autosexuelles Verhalten in der gesamten Primatenordnung allgegenwärtig ist und von in Gefangenschaft und in freier Wildbahn lebenden Mitgliedern beider Geschlechter praktiziert wird, zeigt, dass Masturbation Teil eines Repertoires gesunder sexueller Verhaltensweisen ist."
Quelle: ntv.de, hny