Start durch Siedler aus Südosten So lange wird schon Milch getrunken in Mitteleuropa
21.10.2022, 17:04 Uhr
Teil eines Linienbandkeramik-Gefäßes zur Aufbewahrung von Lebensmitteln aus der Fundstätte Colmar im Elsass.
(Foto: Emmanuelle Casanova/dpa)
Auch wenn mittlerweile viele darauf verzichten: Schon lange gehören Milch und Produkte daraus zu unseren täglichen Kost. Aber wie lange eigentlich schon? Eine Studie zeigt nun, wann die Milchproduktion in Mitteleuropa begann - und wer sie in die Region brachte.
Milchwirtschaft reicht in Mitteleuropa mindestens 7400 Jahre zurück. Das schließt ein internationales Forschungsteam aus dem Nachweis und der Datierung zweier Fettsäuren in Keramikgefäßen aus etlichen zentraleuropäischen Regionen, darunter Deutschland, Polen, die Niederlande und das Elsass. Demnach geht die Praxis zurück auf die ersten Siedler, die von Südosten kamen und die Landwirtschaft in Mitteleuropa einführten.
Weltweit werden jährlich Hunderte Millionen Tonnen Milch produziert, allein in Deutschland waren es im Jahr 2020 mehr als 33 Millionen Tonnen. Doch über die Anfänge der Milchwirtschaft ist bislang wenig bekannt. Zwar geht man davon aus, dass Rinder schon vor mehr als 10.000 Jahren in Vorderasien domestiziert wurden. Aber wie sich die Milchproduktion ausbreitete, konnte man früher nur indirekt ableiten, etwa aus bildlichen Darstellungen oder durch Untersuchungen zu Alter und Geschlecht geschlachteter Rinder. Das schreibt das Team um Emmanuelle Casanova von der Universität Bristol in den "Proceedings" der US-nationalen Akademie der Wissenschaften ("PNAS").
Kohlenstoffisotope verraten das Alter

Teil eines Linienbandkeramik-Gefäßes zur Aufbewahrung von Lebensmitteln aus der Fundstätte Colmar im Elsass.
(Foto: Emmanuelle Casanova/dpa)
Doch inzwischen könne man die Nutzung von Milch direkt bestimmen - durch den Nachweis stabiler Kohlenstoffisotope von Rückständen tierischer Fettsäuren in Keramikgefäßen. Deren Datierung mithilfe des C14-Verfahrens biete die Gelegenheit, den Beginn der Milchwirtschaft direkt zu ermitteln.
Dies taten die Wissenschaftler anhand von Gefäßen aus der Kultur der Linienbandkeramik (LBK). Ihren Namen trägt diese älteste bäuerliche Kultur in Mitteleuropa wegen der typischen Verzierung von Gefäßen. Sie verbreitete sich in Mitteleuropa ab Mitte des 6. vorchristlichen Jahrtausends, vor allem entlang der großen Flüsse wie insbesondere der Donau.
Älteste Rückstände von Milch

"Die Milchwirtschaft in Mitteleuropa ist wahrscheinlich so alt wie die Linienbandkeramik selbst", heißt es in der Studie.
(Foto: Emmanuelle Casanova/dpa)
Das Team analysierte nun Gefäße aus Fundstätten in Ungarn, Polen, Frankreich, den Niederlanden und auch aus Deutschland - hier aus Königshoven am Niederrhein. Die ältesten Rückstände von Milch waren demnach etwa 7400 Jahre alt. Das zeige, dass schon die frühesten Bauern in Mitteleuropa Milch in größerem Maßstab konsumierten, betont das Team.
"Die Milchwirtschaft in Mitteleuropa ist wahrscheinlich so alt wie die Linienbandkeramik selbst", heißt es. "Unsere Datierungen deuten darauf hin, dass Milchwirtschaft in etlichen Gegenden schon in den frühesten Siedlungen praktiziert wurde und nicht erst allmählich mit der Zeit übernommen wurde."
Eingeführt worden sei die Praxis durch mehrere Wanderungswellen, tendenziell aus dem Südosten. Nach Ungarn kamen die Siedler demnach vermutlich vom Balkan, ins Elsass gelangten sie durch das Neckartal und aus dem Donauraum, in das Gebiet der Niederlande kamen die Zuwanderer dagegen entlang des Niederrheins. Möglicherweise habe es auch Einwanderungswellen vom Mittelmeer entlang der Rhone gegeben, vermuten die Forscher.
Quelle: ntv.de, Walter Willems, dpa