"Ozeanische Grenzenlosigkeit" Spezielle Atemtechnik bringt Glückseligkeit


Die speziellen Atemübungen mit Musik dauerten bei den Probanden und Probandinnen zwischen 20 und 30 Minuten.
Das Atmen verläuft unbewusst, dennoch kann es willentlich beeinflusst werden. Eine bestimmte Art zu atmen kann sogar viel mehr als nur negative Emotionen verringern. Allerdings ist für diese Technik viel Erfahrung nötig - und sie ist nur für gesunde Menschen geeignet.
Mit einer bestimmten Atemtechnik beim Musikhören lässt sich ein veränderter Bewusstseinszustand, der als Glückseligkeit bezeichnet werden kann, erreichen. Das hat ein Forschungsteam der Brighton and Sussex Medical School in Großbritannien herausgefunden. Die Technik führt zudem zu einer erhöhten Durchblutung in emotionsverarbeitenden Gehirnregionen, schreiben die Forschenden, deren Ergebnisse im Fachjournal "Plos One" veröffentlicht wurden.
Bei den Übungen werden die Atemfrequenz und/oder die Atemtiefe erhöht. In der Fachsprache wird das als High Ventilation Breathwork, also HVB, bezeichnet. Die Atemtechnik muss so durchgeführt werden, dass es fast zu einer sogenannten Hyperventilation kommt. Das bedarf einiger Übung.
Hyperventilation wiederum kann auch durch Angst oder Panik ausgelöst werden. Sie bewirkt eine große Sauerstoffaufnahme in kurzer Zeit im Körper, was gleichzeitig zu einem Absinken des Kohlendioxidspiegels im Blut führt. Das Auftreten von Schwindel, Taubheitsgefühlen oder Benommenheit ist möglich. Es kann jedoch auch zu noch mehr Angst und Panikattacken kommen. Wird die Atmung jedoch bis kurz vor die Hyperventilation geführt, ist ein bewusstseinsverändernder Zustand möglich, der sonst vor allem durch psychedelisch wirkende Substanzen entsteht. Die Forschenden um Amy Amla Kartar und Alessandro Colasanti wollten wissen, durch welche neurobiologischen Mechanismen dieser Zustand erreicht werden kann.
Nur Probanden mit Erfahrungen
Für die Untersuchung suchte das Team deshalb nur Probanden und Probandinnen, die ausreichende Erfahrungen mit dieser Art der Atemübungen nachweisen konnten. Zudem mussten die Studienteilnehmer körperlich und psychisch gesund und im Alter von 18 bis 65 Jahren sein. Alle, die den Anforderungen entsprachen, wurden in verschiedene Gruppen eingeteilt. Einige davon machten ihre Atemübungen mit Musik und Onlinebegleitung, andere im Labor und wieder andere während einer Magnetresonanztomografie, kurz MRT. Einige durchliefen alle drei Settings, einige zwei davon. Alle Studienteilnehmenden mussten Fragebögen zu ihrem Befinden nach den Atemübungen ausfüllen.
Bei der Auswertung dieser zeigte sich, dass alle Studienteilnehmenden von einer Verringerung von Angst und negativen Emotionen berichteten. Gleichzeitig wurde ein bewusstseinserweiternder Zustand mit "ozeanischer Grenzenlosigkeit" beschrieben. Den Begriff der ozeanischen Grenzenlosigkeit prägte der Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud in den 1920er Jahren. Er beschrieb damit einen Zustand, der durch den Wegfall der Ich-Grenzen gekennzeichnet ist und zu einem Gefühl der Unendlichkeit führen kann, vergleichbar einem Wassertropfen, der im Meer verschwindet. Gepaart wird dieses Gefühl mit dem Erlebnis der Einheit.
MRT-Bilder zeigen Besonderheiten
Bekannt ist bereits, dass HVB zu einer allgemeinen Verringerung der Gehirndurchblutung führt. Doch das gilt nur für bestimmte Bereiche im Gehirn, wie die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in den MRT-Bildern sahen. Gleichzeitig wurden andere Bereiche im Gehirn durch die spezielle Atmung aktiviert. Diese Veränderungen der Durchblutung gehen einher mit den psychedelischen Erfahrungen. Sie liefern starke Hinweise darauf, dass die Atemübungen mit Musik die Ursache für die positiven Effekte sind.
"Unsere Forschung ist die erste, die mithilfe von Neuroimaging die neurophysiologischen Veränderungen abbildet, die während der Atemarbeit auftreten. Zu unseren wichtigsten Erkenntnissen gehört, dass Atemarbeit zuverlässig tiefgreifende psychedelische Zustände hervorrufen kann. Wir glauben, dass diese Zustände mit Veränderungen in der Funktion bestimmter Gehirnregionen zusammenhängen, die an der Selbstwahrnehmung sowie der Verarbeitung von Angst und emotionalen Erinnerungen beteiligt sind", werden die Forschenden in einer Mitteilung zitiert.
Obwohl die Ergebnisse erst noch durch andere Untersuchungen gestützt werden müssten, sei die Atemarbeit ein wirkungsvolles und natürliches Mittel zur Neuromodulation (einem therapeutisches Verfahren, das das Nervensystem gezielt beeinflusst, um die Weiterleitung von Nervensignalen zu verändern - Anm. d. Red). Dieses wirke über die Regulierung des Stoffwechsels im Körper und im Gehirn, so Colasanti. "Sie ist äußerst vielversprechend als transformative therapeutische Intervention bei Erkrankungen, die oft sowohl belastend als auch behindernd sind", schließt der Neurobiologe. Die Studienergebnisse bilden die Grundlage für die Erforschung der therapeutischen Anwendung von HVB mit Musik.
Quelle: ntv.de