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Deutschland ist ein Mangelland Vitamin D wird unterschätzt

In Deutschland kommen einfach zu wenig energiereiche Sonnenstrahlen im Winterhalbjahr an.

In Deutschland kommen einfach zu wenig energiereiche Sonnenstrahlen im Winterhalbjahr an.

(Foto: picture alliance / dpa)

Um Vitamine wird viel gestritten. Die einen halten eine ausgewogene Ernährung für ausreichend. Andere schwören auf Pillen und Pulver. Vitamin D, das sogenannte Sonnenhormon, wird in den letzten Jahren intensiv untersucht und als Multitalent erkannt. Einig sind sich Wissenschaftler trotzdem nicht.

Der Winter dauert in diesem Jahr besonders lang. Viele Menschen in Deutschland leiden unter Erkältungen, Infektionen oder Schwächegefühlen. "Kein Wunder, denn wir befinden uns in einem Mangelland", sagt Prof. Jörg Reichrath, Professor für Dermatologie an der Universität des Saarlandes, in einem Gespräch mit n-tv.de in Bezug auf die Vitamin-D-Versorgung in der Bevölkerung. Fehlende oder nicht stark genug scheinende Sonne kann beim Großteil der Bevölkerung in Mittel- und Nordeuropa zu einem abgesenkten Vitamin-D-Spiegel im Körper vor allem im Winter führen. Das wiederum schwächt das Immunsystem, so dass Krankheitserreger ein leichtes Spiel haben.

Experten gehen davon aus, dass mindestens 60 Prozent der Deutschen im Winter einen zu niedrigen Vitamin-D-Spiegel im Blut hat. Vitamin D, das streng genommen gar kein Vitamin, sondern eine Vorstufe eines Hormons ist, trägt nicht nur dazu bei, dass man starke Knochen und feste Zähne hat, sondern ist an einer Vielzahl biologischer Abläufe im Körper beteiligt. Heute weiß man, dass in nahezu allen Organen und Geweben des menschlichen Körpers Vitamin-D-Rezeptoren existieren. Dennoch ist ein Vitamin-D-Mangel im Körper nicht eindeutig zu spüren. Die Auswirkungen sind eher schleichend, Symptome vielfältig und werden meistens nicht der richtigen Ursache zugeordnet. Besonders schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen konnten in Studien für Personen über 50 Jahren nachgewiesen werden.

Von Rachitis zu Krebs und Depressionen

Die Röntgenaufnahme zeigt die durch Rachitis deformierten Beine eines Kindes.

Die Röntgenaufnahme zeigt die durch Rachitis deformierten Beine eines Kindes.

(Foto: Michael L. Richardson, wikipedia)

Die klassische Vitamin-D-Mangelerkrankung war die Rachitis, die mit der Industrialisierung eine immer größer werdende Anzahl von Arbeiterkindern in den Städten betraf. Lange Zeit stellten geschwollene Gelenke, krumme Beine und verwachsene Wirbelsäulen Ärzte vor ein Rätsel. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Forscher fündig. Sie konnten nachweisen, dass die Knochenerweichung im Zusammenhang steht mit fehlendem Sonnenlicht zwischen Mietskasernen. Zeitgleich konnte bewiesen werden, dass Lebertran die bis dahin als "Englische Krankheit" bezeichnete Rachitis heilt und ihr gut vorbeugt. Heute werden Kinder bis zum ersten Lebensjahr mit Vitamin-D-Tabletten von Kinderärzten versorgt.

Wie groß der Einfluss von Vitamin D wirklich ist, beweisen zahlreiche Untersuchungen, die vor allem aus den letzten Jahrzehnten stammen. So ist das Sonnenhormon nicht nur für den Kalziumstoffwechsel wichtig, sondern beeinflusst auch das Immun- und Hormonsystem, die Psyche und den Stoffwechsel. "Eine Unterversorgung mit Vitamin D kann deshalb zu zahlreichen Erkrankungen führen, darunter Autoimmunerkrankungen, Infektionen wie Tuberkulose, Bluthochdruck, Osteoporose und Diabetes. Sogar die Entstehung von Darm-, Brust-, Prostata- und Lungenkrebs sowie Pankreaskarzinomen wird mit Vitamin-D-Mangel in Verbindung gebracht", erklärt der Experte. Menschen mit Vitamin-D-Mangel sterben zudem früher als Menschen mit einem optimalen Vitamin-D-Spiegel. Der Mangel an Vitamin D soll zudem direkt mit der Entstehung von Depressionen zu tun haben. Doch wie kann man die optimale Versorgung mit Vitamin D sicherstellen?

Zeit für Vitamin-D-Bildung ist begrenzt

Immer öfter wird in den letzten Jahren vor gefährlichem Hautkrebs durch Sonnenbrand gewarnt. Wer sich jedoch hauptsächlich in geschlossenen Räumen aufhält und in die Sonne nur mit Sonnenschutz tritt, der läuft Gefahr, einen Vitamin-D-Mangel zu bekommen. Dieser kann diverse Erkrankungen begünstigen und sogar auslösen. Da sich der Alltag vieler Menschen heute immer öfter drinnen abspielt und zudem immer mehr Kleidung die Haut ganztägig bedeckt, sollte jeder gesundheitsbewusste Mensch darauf achten, im Sommerhalbjahr täglich ins Freie zu gehen, um die Bildung des Sonnenhormons in Gang zu setzen, "denn nur von März bis Oktober kann in unseren Breiten bei weitestgehend wolkenlosem Himmel Vitamin D über die Haut gebildet werden", so Reichrath. In diesem Zeitraum steht die Sonne in einem günstigen Winkel, so dass genügend energiereiche UVB-Strahlen bis zur Erde durchdringen. Nur dann kann der Vitamin-D-Speicher im Körper tatsächlich aufgefüllt werden.

In fettem Fisch ist besonders viel Vitamin D enthalten.

In fettem Fisch ist besonders viel Vitamin D enthalten.

(Foto: picture-alliance / dpa)

Mit diesem UVB-reichen Licht werden mehr als 80 Prozent des Vitamin-Bedarfs durch den Körper selbst über die Haut erzeugt. Nur bis zu 20 Prozent wird über die Ernährung mit üblichen Lebensmitteln aufgenommen. Vor allem in fettem Fisch, Milch und Milchprodukten, Eiern und Pilzen ist Vitamin D in größeren Dosen enthalten. Diese reichen trotzdem nicht aus, um den Bedarf im Winter zu decken. Glücklicherweise kann der Körper durch Sonnenlicht entstehendes Vitamin D für die dunkle Jahreszeit in den Fettzellen speichern und bei Bedarf wieder abrufen. Wer allerdings glaubt, dass ein hoher Körperfettanteil und Übergewicht zu einem optimalen Vitamin-D-Speicher führen, der liegt falsch. Im Gegenteil: Übergewicht nämlich führt zu einem niedrigen Vitamin-D-Spiegel und begünstigt den Vitamin-D-Mangel, wie in einer kürzlich in der Public Library of Science (PLoS) veröffentlichten Studie des University College London bestätigt werden konnte.

Sonne in Maßen auch ohne Schutz tanken

Um Vitamin-D-Mangel ganzjährig wirkungsvoll vorzubeugen, sollte man  also mindestens 25 Prozent der Hautoberfläche (Hände, Unterarme und Gesicht) in die Sonne halten. Die Haut sollte nackt und ohne Sonnencreme der Strahlung ausgesetzt werden und nur zwar so lange, dass sie dabei nicht verbrennt. "Wie lange das tägliche Sonnenbad dauern sollte, ist von Mensch zu Mensch, vom Ort, von der Tages- und Jahreszeit abhängig und kann deshalb leider nicht mit einer genauen Minutenanzahl bestimmt werden", erklärt Reichrath. So kann ein junger Mensch wesentlich mehr und schneller Sonnenstrahlen in Vitamin D über die Haut umwandeln als ein älterer, ein Mensch mit dunkler Hautfarbe wesentlich weniger als einer mit heller Haut, in der Mittagssonne wesentlich schneller als in den Morgen- oder Abendstunden.

Auch wenn ein Sonnenbad im Winter das Gemüt aufhellt. Zur Vitamin-D-Bildung im Körper taugt es nicht.

Auch wenn ein Sonnenbad im Winter das Gemüt aufhellt. Zur Vitamin-D-Bildung im Körper taugt es nicht.

(Foto: picture alliance / dpa)

Wer täglich viele Stunden in Räumen verbringt und glaubt, dass er sich deshalb im Urlaub nur lange genug mit ungeschützter Haut in die Sonne räkeln sollte, um seine Vitamin-D-Speicher schnell aufzufüllen, der liegt falsch und gefährdet zudem seine Gesundheit. Nach spätestens 30 Minuten Sonnenanbeterei hat die Haut genug UVB-Strahlen für die Vitamin-D-Produktion aufgenommen. Der Körper stoppt dann Umwandlung und Einlagerung. Nur ein schmerzhafter Sonnenbrand, der das Hautkrebsrisiko immens erhöht, ist das ungesunde Ergebnis der Aktion. Beim täglichen, aber mäßigen Genuss der Sommersonne in heimischen Gefilden kann man dagegen wirkungsvoll die Vitamin-D-Bildung im Körper ankurbeln und gleichzeitig seine Speicher auffüllen.

Auch mit künstlicher Sonne ist der Vitamin-D-Mangel nur selten zu bekämpfen. Es bedarf spezieller Lampen, die von geschultem Personal nur in einigen Hautarzt-Praxen als Therapie bei Hauterkrankungen zum Einsatz kommen. Von Solarienbesuchen raten Experten dringend ab. "In den meisten Fällen wissen sie nicht, welche Strahlen die Röhren im Solarium tatsächlich liefern", erklärt der Dermatologe. Zudem geben die meisten Lampen in Solarien heute hauptsächlich bräunendes UVA-Licht ab, da das energiereiche UVB-Licht krebserregend ist. Das wiederum bewirkt in Bezug auf die körpereigene Vitamin-D-Herstellung gar nichts. Eine richtige Dosierung mit Vitamin-Präparaten kann jedoch Abhilfe schaffen. Aber: Was ist richtig? Darüber herrscht in der Wissenschaft bis heute Uneinigkeit.

Bluttest bringt Klärung – aber nur bedingt

Ob man an einem Vitamin-D-Mangel leidet oder nicht, kann mit einem einfachen  Bluttest herausgefunden werden. Diesen müssen die meisten Patienten allerdings aus eigener Tasche bezahlen. Interessierte sollten darauf bestehen, dass der Wert des Vitamin D-Speichers im Körper, also der sogenannte 25OH- Vitamin-D-Wert, gemessen wird, da der aktive Vitamin-D-Gehalt keine Aussagen über einen Mangel zulässt. Bisher machen Forscher und Mediziner keine eindeutigen Aussagen, bei welchem Wert genau ein Mangel besteht.

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(Foto: picture-alliance/ dpa)

Fürsprecher des Vitamin D gehen von einem Blutwert von mindestens 50 Nanogramm je Milliliter für eine gutversorgte Person aus. Alles, was darunter liegt, ist ihnen zufolge bereits als Mangel einzustufen. Andere halten einen Wert von 20 bis 30 Nanogramm pro Milliliter für völlig ausreichend. Durch diese Unstimmigkeiten entstehen auch sehr verschiedene Zahlen von unterversorgten Bürgern. Als sichere Obergrenze werden aber allgemein 100 Nanogramm pro Milliliter angegeben.

Welche Blutwerte nun tatsächlich gesundheitsförderlich sind und wie viel Vitamin D nebenwirkungsfrei zugeführt werden kann, muss in Studien noch geklärt werden. Das Problem ist jedoch, dass jeder Sonnenlicht gratis bekommen kann und die Vitamin-D-Herstellung nicht patentierbar und zudem relativ billig und einfach ist. Pharmafirmen können vom Vitamin D also nicht profitieren. Aus diesem Grund besteht auch kein Interesse an der finanziellen Unterstützung von Studien oder an aufklärenden Kampagnen.

Umdenken setzt ein

Nach der Auswertung zahlreicher Studien hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) Anfang 2012 die Referenzwerte für die tägliche Vitamin-D-Zufuhr von 200 auf 800 Internationale Einheiten (IE) drastisch erhöht. Das entspricht einem ermittelten Bedarf von 20 Nanogramm Vitamin D pro Tag für alle Personen ab einem Jahr, wenn man davon ausgeht, dass im Körper kein Vitamin D gebildet wird und die Ernährung mit den landesüblichen Lebensmitteln erfolgt. (Ein Nanogramm entspricht 40 IE)

Da dieser Wert nur zu einem Bruchteil von der Ernährung abgedeckt wird, muss "die  Differenz zum Schätzwert über die Einnahme eines Vitamin D-Präparats gedeckt werden", so die DGE. Mit diesem Statement rückt die Gesellschaft erstmals von ihren bisherigen Empfehlung ab, nach der eine gesunde und ausgewogene Ernährung zur Aufnahme aller wichtigen Nährstoffe ausreiche.

Die US-amerikanische Fachgesellschaft für Endokrinologie geht sogar noch einen Schritt weiter und empfiehlt in ihren Leitlinien eine tägliche Zufuhr von 1500 bis 2000 IE für Erwachsene zur Vorbeugung vor Vitamin-D-Mangel. In den USA, Kanada und einigen skandinavischen Ländern wird Vitamin D Lebensmitteln wie Milch und Milchprodukten oder Müslis zugesetzt. So wird von staatlicher Seite aus versucht, einem Mangel in der Bevölkerung entgegenzutreten und daraus entstehende Kosten zu senken.

Vorbehalte bleiben

Vitamin-D-Präparate gibt es freiverkäuflich und relativ preiswert im Handel und in

Mit nur einer Vitamin-D-Pille am Tag kann man einem Mangel vorbeugen.

Mit nur einer Vitamin-D-Pille am Tag kann man einem Mangel vorbeugen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Apotheken zu kaufen. Sie können aber auch bei entsprechender Diagnose vom Arzt verschrieben werden. Einen Vitamin-D-Mangel auszugleichen beziehungsweise ihm vorzubeugen, ist daher relativ einfach und könnte mit der Einnahme von nur einer Tablette am Tag erledigt werden.

Da man durch einen Vitamin-D-Mangel keine direkten Beschwerden oder Symptome bekommt, ist er für den Großteil der Bevölkerung in Deutschland kein Thema. Viele stehen Nahrungsergänzungsmitteln und chemisch hergestellten Vitaminen prinzipiell kritisch gegenüber; einige haben Angst vor den Folgen einer Überdosierung.

Die Dosis macht das Gift

"Die Substanz, die bisher eher unterschätzt wurde, hat eine hohe Sicherheit und man muss keine Angst davor haben", betont aber der Dermatologe Reichrath. Die höchstmögliche Dosis, die gegeben werden kann, ohne negative Auswirkungen zu haben, wird derzeit von Experten mit 4000 IE angegeben. "Wir haben hier ein großes Sicherheitsfenster", so Reichrath weiter. Im Vergleich dazu: Mit Sonnenlicht können an einem Tag 10.000 bis 40.000 IE im Körper produziert werden. Durch die natürliche Bildung von Vitamin D im Körper kann es aber nicht zu einer Überdosierung kommen, denn der Körper vermindert die Aufnahme von selbst. Durch Präparate dagegen ist eine Überdosierung durchaus möglich. Das geschieht jedoch höchst selten.

Man spricht in solch einem Fall von einer Hypervitaminose D, die vor allem auftritt, wenn über einen längeren Zeitraum hohe Dosen Vitamin D eingenommen werden. Eine Überdosierung ist gesundheitsschädlich und kann mit Symptomen wie Müdigkeit und Schlappheit beginnen. Dazu können Übelkeit, Kopfschmerzen, Erbrechen, Appetitlosigkeit und großer Durst kommen. In einigen Fällen können sogar Herzrhythmusstörungen auftreten.

Wer trotz der Symptome weiterhin Vitamin D zuführt, der läuft Gefahr, dass sich Kalzium in den Blutgefäßen und den Nieren ablagert. Das wiederum kann zu Nierensteinen und im schlimmsten Fall zu Nierenversagen und damit zum Tod führen.

Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte mit seinem Hausarzt über eine Einnahme von Vitamin-D-Präparaten sprechen - oder müsste täglich 400 Gramm Makrele oder 16 bis 20 Eier oder 1 Kilogramm Shiitake-Pilze essen. Gesund ist das nicht. Die beste Wahl bleibt die natürliche Variante. Denn mit genug Aufmerksamkeit kann jeder gesunde Mensch die körpereigenen Speicher im Sommerhalbjahr mit Vitamin D gut aufzufüllen.

Quelle: ntv.de

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