Völker schwärmen aus Warum Bienen zurzeit scheinbar verrücktspielen


In Dortmund lässt sich ein Bienenschwarm auf einen Scheinwerfer im vollbesetzten Westfalenstadion nieder.
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Sie belagern Autos, Kreuzungen und stürmen sogar ein Fußballstadion: Bienen sorgen derzeit in vielen Städten für Aufruhr. Experte Jürgen Tautz erklärt, dass man vor Schwärmen keine Angst haben muss - aber eine Begegnung mit Bienen auch gefährlich werden kann.
Bienen scheinen derzeit außer Rand und Band: In Bernburg wird Mitte Mai ein Mann von Tausenden der Insekten in seinem Auto eingeschlossen. Erst die Feuerwehr und ein Imker können ihn befreien. In Dortmund lässt sich im Westfalenstadion ein Schwarm auf einem Fernseh-Scheinwerfer nieder, kurz vor Anpfiff des entscheidenden Meister-Spiels gegen Mainz. Und in Augsburg belagert ein Bienenvolk eine Ampel und sorgt für ein kleines Verkehrschaos. Sind die Bienen verrückt geworden? Und wie gefährlich ist so ein aufdringlicher Bienenschwarm?

Jürgen Tautz ist emeritierter Hochschullehrer, Verhaltensforscher, Soziobiologe und Bienenexperte.
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"Es ist zwar nachvollziehbar, dass ein Bienenschwarm im ersten Moment beängstigend wirkt", sagt Bienenforscher Jürgen Tautz im Gespräch mit ntv.de. Schließlich besteht so eine Schwarmtraube aus rund 15.000 bis 20.000 Bienen. "Wenn diese in der Luft sind, ist das eine unglaubliche Geräuschkulisse."
Doch der Experte gibt Entwarnung: "Überhaupt nicht gefährlich" seien diese aufmüpfigen Insektenvölker. "Schwärmende Bienen sind alles andere als aggressiv. Sie sind schlicht auf der Suche nach einem neuen Zuhause - und das schnellstmöglich." Haben sie jedoch ein neues Nest gefunden, werden sie dieses auch verteidigen. Dann kann es besonders für Allergiker gefährlich werden.
Wichtig: Ruhe bewahren
Aber zunächst zurück zu den Bienenschwärmen: Wie soll man sich verhalten? Tautz rät dringend davon ab, die Feuerwehr zu rufen. Dafür gebe es keinen Grund. "Sie werden nicht gestochen", verspricht der Experte. Wichtig sei, Ruhe zu bewahren, nicht hektisch zu werden und die Bienen nicht aus Versehen zu quetschen. "Dann sollte man einfach zuschauen und warten, was passiert. Denn das ist extrem spannend."
Jedes Jahr im Frühling, wenn etwa 2000 Bienen pro Tag schlüpfen, wird es langsam eng im Bienennest. Dann wird eine neue Königin produziert und ein Teil des Volkes schwärmt mit der alten Königin aus. Jedes Bienenvolk macht es auf diese Weise. "Das ist ein natürlicher Vorgang und gleichzeitig eine spezielle Art der Fortpflanzung, die man sonst nur bei Einzellern wie Bakterien beobachten kann", erklärt Tautz.
Im Grunde genommen mache Schwärmen ein Bienenvolk unsterblich, so Tautz. Die einzelnen Bienen sterben zwar, durch die Teilung eines Volkes werde von diesem jedoch eine scheinbar endlose Linie fortgesetzt. "Es ist gut möglich, dass man heute in Ägypten in irgendeiner Felswand ein Bienenvolk findet, dessen Vorgänger der altägyptische König Ramses vor mehr als 3000 Jahren auch schon gesehen hat."
Bienen legen nur kurzen Zwischenstopp ein
Das Problem nach jeder neuen Teilung ist jedoch, dass "der Schwarm erst einmal keine Ahnung hat, wohin es gehen soll", sagt Tautz. Somit wird zunächst in kurzer Entfernung zum alten Nest ein Zwischenbiwak angelegt, wo die Bienen landen. "Wenn sich also ein Bienenschwarm beispielsweise auf einem Scheinwerfer im BVB-Stadion niederlässt, kann man davon ausgehen, dass ein paar Hundert Meter entfernt ein Imker ein Bienenvolk hat."

In der Schwarmtraube begeben sich mehrere Bienen auf die Suche nach einem neuen Zuhause.
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Für die Bienen sind Scheinwerfer, Ampeln oder gar Autos aber nur ein Zwischenstopp. Sie verweilen dort so lange, bis sie ein neues Zuhause gefunden haben - und das dauert dem Experten zufolge meist nicht länger als einen Tag. In Gegenden, wo es weniger Beton und mehr Natur gibt, sind die Bienen manchmal sogar nach wenigen Stunde wieder fort, erklärt Tautz. Doch zunächst versammeln sie sich um ihre Königin und ziehen sich zu einer dichten Kugel zusammen. Aus dieser Traube fliegen ein paar Dutzend Bienen auf der Suche nach einer neuen Nistmöglichkeit los. Da die Insekten Höhlenbewohner sind, kommen beispielsweise hohle Bäume, Vogelkästen oder auch Mauernischen infrage.
Ist eine neue Nistmöglichkeit gefunden, heißt es Abflug. Die Kundschafter-Bienen informieren die ganze Schwarmtraube. Nach und nach werden alle Mitglieder angepiept. "Infolgedessen erhöhen die Tiere ihre Körpertemperatur, bis sie eine Art Starttemperatur erreicht haben. Unter einer Wärmebildkamera kann man diesen Prozess hervorragend beobachten", sagt der Experte. "Wenn nun der ganz Schwarm anfängt regelrecht zu glühen, explodiert die Traube." Alle Bienen gehen gleichzeitig in die Luft und es entsteht eine riesige brausende Wolke. "Das ist der Moment, in dem Menschen Angst bekommen", so Tautz. Doch ohne Grund. Auch jetzt seien die Bienen vollkommen harmlos. Sie würden ihre Umwelt kaum wahrnehmen und hätten nur ihr Ziel im Blick.
Wann Bienen doch zustechen
Sobald sie ein Zuhause bezogen haben, ist eine Begegnung mit den eher friedliebenden Insekten jedoch nicht immer vollkommen harmlos. So wurde vor einem Monat eine 66-jährige Frau in Sachsen-Anhalt womöglich beim Blumenpflücken von Bienen angegriffen. Sie starb infolge von zahlreichen Stichen. Die Tiere attackierten laut Polizeimitteilung auch die Einsatzkräfte bei der Bergung der Toten.
"Das hat aber nichts mit Bienenschwärmen zu tun gehabt", ist Tautz überzeugt. Es seien intakte Bienenvölker gewesen, die gestört wurden, vermutet er. Denn Bienen stechen nur, wenn sie sich bedroht fühlen, vor allem wenn sie ihr Nest in Gefahr sehen. Oder aber auch, wenn sie gequetscht werden. "Eine einzelne Biene sticht, wenn man beispielsweise auf sie drauftritt", erklärt der Bienenforscher. Ansonsten scheuten Bienen einen Angriff, denn dieser bedeutet gleichzeitig ihren Tod.
Bienen hätten im Laufe ihrer Evolution den Stachel entwickelt, um sich gegen andere Bienen zur Wehr zu setzen, so Tautz. Es sei gar nicht vorgesehen, dass auch Menschen gestochen werden. "Der Stachel hat Widerhaken und kann aus anderen Bienen einfach wieder herausgezogen werden, aber nicht aus unserem weichen menschlichen Gewebe." Dort bleibt der Stachel hängen. Beim Wegfliegen zerreißt der Biene dadurch der Hinterleib und sie stirbt auf der Stelle. "Bienen greifen also nur an, wenn ein Bienenvolk ein anderes Bienenvolk überfällt. Ansonsten sind sie rein defensiv."
Der Unterschied zu Killerbienen
Für Allergiker kann schon ein einziger Bienenstich lebensbedrohlich sein. Gesunde Menschen halten im Extremfall Dutzende Stiche aus, bis es kritisch wird. Sollte man in einem seltenen Fall von einem Bienenschwarm angegriffen werden, rät Tautz dazu, nicht nach den Insekten zu schlagen und auch nicht hektisch zu werden. "Am besten entfernt man sich schnellstmöglich von den Tieren." Im Notfall helfe auch ein Sprung in ein Gewässer, falls eines in der Nähe ist. "Aber normalerweise verfolgen einen die Bienen nicht."
Wenn eine Biene zusticht, gibt sie einen Duftstoff ab. Ist das Volk in der Nähe, werden dadurch andere Bienen alarmiert. "Nun greift aber nicht das ganze Volk an", erklärt Tautz. Meist kämen nur etwa 20 bis 30 Bienen hinzu. "Sind Menschen empfindlich, kann aber auch das schon tödlich ausgehen, wie möglicherweise im Fall der Frau in Sachsen-Anhalt."
Anders sehe es bei sogenannten Killerbienen aus, sagt der Experte. Bei dieser Art steckt die Gefahr schon im Namen: Sie ist deutlich aggressiver. "Die afrikanisierten Bienen, wie sie wissenschaftlich heißen, sind leichter reizbar und zudem greift das ganze Volk an, wenn es sich bedroht fühlt." Und 20.000 Stiche überlebe kaum jemand. "Mit so viel Gift im Körper kommt der Kreislauf nicht mehr zurecht." Killerbienen sind eine verunglückte Zucht aus Südamerika, sagt Tautz - und beruhigt gleichzeitig: "In Europa gibt es sie nicht."
Quelle: ntv.de