Extremverhalten in Corona-Zeiten Warum Menschen auf Lebensmittel spucken
30.04.2020, 19:55 Uhr
In Zeiten von Corona kann das Husten auf Lebensmittel Angst und Schrecken verbreiten.
(Foto: picture alliance/dpa)
Eine Erscheinung der Coronavirus-Pandemie sind Menschen, die in Supermärkten gezielt auf Lebensmittel und andere Waren spucken oder husten. Manche filmen sich dabei und veröffentlichen die Videos in sozialen Medien. Warum tun Menschen so etwas?
Immer wieder gibt es zuletzt Meldungen, dass Menschen in Supermärkten Lebensmittel angespuckt, angehustet oder angeleckt haben. Ein Verhalten, das in Zeiten der Coronavirus-Pandemie meist den Einsatz der Polizei zur Folge hat. Manche der Täter filmen sich dabei und veröffentlichen die Videos in sozialen Medien. Psychologen suchen nach Erklärungsversuchen.
Für Aufsehen sorgte im April der Fall eines Mannes in Freiburg, der in einem Einkaufsmarkt Lebensmittel abgeleckt und bespuckt hatte - darunter auch nicht verpacktes Obst und Gemüse. Dabei hatte er sich filmen lassen und das Video anschließend im Internet veröffentlicht. Im März hatte in München ein 33-Jähriger an einer U-Bahn-Station einen Fahrkartenautomaten, eine Haltestange und den Handlauf einer Rolltreppe abgeleckt. Der Mann hatte seine Aktion ebenfalls gefilmt und behauptet, mit dem Coronavirus infiziert zu sein.
Einen hohen Schaden verursachte eine Frau in einem Supermarkt im US-Bundesstaat Pennsylvania: Das Geschäft in dem Ort Hanover Township musste nach eigenen Angaben Produkte im Wert von rund 35.000 US-Dollar wegwerfen, nachdem die Kundin gezielt auf ausgelegte frische Waren gehustet habe. Die Frau habe sich wohl einen sehr schrägen Streich erlauben wollen, sagte der Miteigentümer des Ladens.
"Angeberei" und "Nihilismus"
Psychologen haben unterschiedliche Erklärungsansätze für derartiges Verhalten. Craig Jackson, Professor für Psychologie an der Birmingham City University, sieht im Verbreiten von Erregern und Furcht einen Ausdruck von "Angeberei" und "Nihilismus" - manchmal auch verknüpft mit einer alternativen Form der Unterhaltung, wie er in einem Beitrag für "The Conversation" schreibt. Jackson betont zugleich, dass das absichtliche Manipulieren von Lebensmitteln und anderen Produkten kein neuer Trend sei, der erst während der Coronavirus-Pandemie aufgekam.
Psychiaterin Carole Lieberman, die häufig in US-Medien als Expertin zu Gast ist, äußerte die Vermutung, dass manche Menschen ein derartiges Verhalten nutzen, um ihre eigene Furcht zu bewältigen und sich auf diese Weise "nach außen hin stark zeigen", wie sie dem Magazin "Health" sagte. Wenn Menschen dann vorgeben würden, Covid-19 zu haben, jagten sie zwar anderen Menschen Angst ein - aber womöglich nur, weil sie selbst Angst hätten.
Dieser Abwehrmechanismus sei in der Psychologie als Reaktionsbildung bekannt, so Lieberman. Zu beobachten sei dies häufig bei kleinen Kindern: "Wenn Kinder Angst vor etwas haben, versuchen sie, anderen Kindern Angst einzujagen, um sich selbst ein Gefühl von größerer Stärke und Kontrolle zu verleihen." So würden auch Menschen, die Angst vor einer Infektion mit dem Coronavirus haben, so tun, als wäre das alles nur ein großer Witz oder, dass sie selbst bereits infiziert seien. Sie versuchten auf die Weise "Angst und Stress zu bewältigen, den sie wegen der Pandemie in Wirklichkeit haben."
Eine Form von Sadismus?
Einen anderen Erklärungsansatz bietet Gail Saltz, Professorin für Psychiatrie am Weill-Cornell Medical College in New York: Für manche Menschen, die in einen Supermarkt gehen und auf Lebensmittel oder Menschen husten, könnte es eine Art von Befriedigung darstellen, so zu handeln. "Es gibt Menschen, für die es befriedigend ist, andere in Gefahr zu bringen", sagte sie gegenüber "Health". "Terror zu verursachen, gibt Terroristen ein Gefühl der Macht. 'Ich kann Menschen dazu bringen, Angst vor mir zu haben', denken sie." Menschen einer Gefahr auszusetzen, sei eine Form von Sadismus.
Psychologieprofessor Frank Farley von der Temple University in Philadelphia (USA) betont gegenüber "Health" jedoch auch, dass es selten nur eine Ursache sei, welche den Ausschlag für ein bestimmtes Verhalten gebe. Zwar litten Menschen, die Lebensmittel anspucken und anlecken, womöglich unter psychischen Erkrankungen. Eine Rolle spiele aber auch der Stress in einer Gesellschaft - ausgelöst etwa durch die Angst vor Jobverlust oder die Verknappung von Gütern. Dieser Stress könne extreme Verhaltensweisen bei Menschen forcieren.
Quelle: ntv.de, kst