Intensivstationen füllen sich Warum jetzt mehr Jüngere schwer erkranken
27.04.2021, 18:26 Uhr
Immer mehr junge Menschen erkranken schwer an Corona.
(Foto: picture alliance/dpa/AP)
Die Impfkampagne nimmt in Deutschland an Fahrt auf. Die Risikogruppe der über 80-Jährigen ist fast vollständig geimpft. Und dennoch: Die Intensivstationen sind wieder voll. Nur liegen dort heute deutlich mehr jüngere Corona-Patienten als noch in der zweiten Welle. Woran liegt das?
Die zweite Pandemiewelle hat Deutschland Anfang Dezember hart getroffen. Zum Jahreswechsel infizierten sich binnen weniger Wochen bundesweit Zehntausende Menschen in der besonders gefährdeten Altersgruppe ab 80 Jahren mit Sars-CoV-2. Die Todeszahlen schnellten nach oben, das Robert-Koch-Institut (RKI) meldete zwischenzeitlich mehr als 1000 Covid-19-Tote pro Tag. Heute scheint Deutschland besser dazustehen als damals - zumindest auf den ersten Blick. Denn erneut sind die Intensivstationen voll. Experten und Mediziner warnen seit Wochen, dass die Kliniken an ihre Kapazitätsgrenzen kommen. Der Unterschied zu Dezember: Diesmal sind deutlich mehr jüngere Patienten auf den Corona-Stationen.
"Im Vergleich zur zweiten Welle liegt der Altersdurchschnitt der Patientinnen und Patienten auf der Corona-Normalstation etwa 10 Jahre drunter, im Intensivbereich sind es ungefähr 5 Jahre", sagt Christoph Boesecke, Oberarzt im Bereich Infektiologie am Universitätsklinikum Bonn, im Gespräch mit ntv.de. Den Hauptanteil machten inzwischen 50- bis 70-Jährige aus. "Das sind durchaus noch Leute, die bis zu ihrer Erkrankung noch voll berufstätig waren", so Boesecke. Zudem würden auch deutlich mehr Jüngere mit schweren Verläufen aufgenommen als noch im Dezember.
Ein Grund dafür ist die britische Mutante B.1.1.7. Diese inzwischen in Deutschland dominierende Virusvariante ist nicht nur ansteckender, sie könnte manchen Studien zufolge auch zu schwereren Krankheitsverläufen bei jüngeren Patienten führen. "Wir sehen im Wesentlichen nur noch die B.1.1.7-Variante", sagt Boesecke. Über 90 Prozent der Corona-Fälle seien an der Uniklinik Bonn auf die britische Mutante zurückzuführen. "Das führt dazu, dass auch jüngere Leute eher auf die Intensivstation müssen."
Zum Glück haben jüngere Covid-Patienten bessere Chancen, die Intensivstation lebend wieder verlassen zu können. Das zeigen auch die Zahlen des RKI zu den Corona-Todesfällen. Diese haben trotz hoher Inzidenzen in der Altersgruppe nur minimal zugenommen. "Ihre Organe sind zum Teil noch wesentlich fitter als bei den älteren Patienten", erklärt Boesecke. Allerdings bleiben Jüngere länger auf der Intensivstation. Das bedeutet eine zusätzliche Belastung für die Krankenhäuser, da das Bett nicht sobald neu belegt werden kann.
"Wir sind voll belegt"
Die Zahl der Patienten auf den Intensivstationen steigt bereits seit Mitte März immer weiter an. Aktuell befinden sich bundesweit rund 5200 Covid-19-Patientinnen und -Patienten in Intensivbehandlung. Fast so viele wie zum bisherigen Höchststand mit knapp 5800 rund um den Jahreswechsel.
Präzise bundesweite Zahlen zur veränderten Altersstruktur auf Intensivstationen gibt es noch nicht. Laut der Notfallmedizinervereinigung Divi kommen aber bereits jetzt nur noch sehr wenige Patienten über 80 Jahre auf die Intensivstationen, während ihr Anteil in erster und zweiter Welle noch etwa 25 Prozent betrug. Die positive Entwicklung kann auch Boesecke bestätigen. "Wir haben kaum noch über 80-Jährige, vor allem nicht auf den Intensivstationen", sagt der Oberarzt. So sehe man auch an der Uniklinik Bonn bereits den Impferfolg.
Dennoch ist eine Entspannung auf der Corona-Station nicht in Sicht. "Wir sind voll belegt", sagt Boesecke. Gerade dadurch, dass nun viele Ältere durch eine Impfung geschützt sind, verlagern sich Ansteckungen und Erkrankungen zunehmend in jüngere Altersgruppen: Die Fallzahlen unter jungen Menschen steigen, Schulen und Kitas entwickeln sich zu Hotspots.
"Das Virus sucht sich andere Wirte", sagt Boesecke. "Die jüngeren Leute haben letztlich mehr soziale Kontakte. Die Älteren waren besorgter und haben sich daher eher freiwillig isoliert." Doch auch für jüngere Menschen kann eine Corona-Infektion gefährlich sein, auch sie können schwer erkranken, Folgeschäden davontragen oder im schlimmsten Fall versterben.
Dritte Welle bedroht jüngere, ungeimpfte Menschen
Somit blickt Boesecke mit Sorge auf die zunehmende Corona-Müdigkeit. "Die Mitarbeit im Lockdown klappt gerade im Vergleich zur ersten Welle zurzeit weniger gut", sagt der Mediziner. Die Mobilität ist deutschlandweit inzwischen fast auf Vor-Pandemie-Niveau. Gerade in der aktuellen Welle mit B.1.1.7 sei das durchaus problematisch, mahnt Boesecke. "Die Variante ist infektiöser. So führt jeder Kontakt dazu, dass auch eher mal eine Ansteckung erfolgt." Damit steigt dann zwangsläufig die Wahrscheinlichkeit, schwer zu erkranken und im schlimmsten Fall auf die Intensivstation zu müssen.
Das Risiko, schwer zu erkranken, hat sich durch B.1.1.7 und die fortschreitenden Impfungen verlagert. In der ersten und zweiten Infektionswelle waren es klar die Ältesten, für die Corona die größte Gefahr darstellte. In der dritten Welle sind im Moment vor allem jüngere, ungeimpfte Menschen gefährdet.
Der drohende Engpass auf Intensivstationen ist dabei nur eine der Folgen. Eine hohe Zahl an erkrankten jüngeren Menschen bedeutet auch, dass deutlich mehr Menschen mit mittel- und langfristigen Einschränkungen durch ihre Covid-Erkrankung werden leben müssen. Und wer längere Zeit beatmet werden musste, leidet oft jahrelang, wenn nicht sogar bis zum Lebensende an schweren gesundheitlichen Folgen.
Quelle: ntv.de