Panorama

Justizopfer wieder vor Gericht Bohrende Fragen an Harry Wörz

Vier Jahre lang saß Harry Wörz wegen versuchten Mordes an seiner Frau unschuldig im Gefängnis. Jetzt will er vor Gericht mehr Geld erstreiten.

Vier Jahre lang saß Harry Wörz wegen versuchten Mordes an seiner Frau unschuldig im Gefängnis. Jetzt will er vor Gericht mehr Geld erstreiten.

(Foto: dpa)

Wenn er nicht zu Unrecht hinter Gitter gekommen wäre, welche beruflichen Aussichten hätte Harry Wörz gehabt? Wie kann er gerecht entschädigt werden? Das will ein Gericht erneut herausfinden. Ein schwieriges Unterfangen für die Justiz.

Im neuen Entschädigungsprozess des Justizopfers Harry Wörz hat das Landgericht Karlsruhe einen Vergleich angeregt. Danach sollen Wörz unter anderem bei der staatlichen Ausgleichszahlung die Berufsjahre 2002 bis 2010 mit Abschlägen angerechnet werden. Beide Seiten haben nun einen Monat Zeit, über den Vorschlag nachzudenken.

Der 49-Jährige aus Birkenfeld bei Pforzheim steht für einen der spektakulärsten Justizirrtümer: Er war 1998 wegen versuchten Totschlags an seiner damaligen Frau verurteilt worden und saß viereinhalb Jahre unschuldig im Gefängnis. Er stritt 13 Jahre vor verschiedenen Gerichten, bis er im Dezember 2010 rehabilitiert wurde. Der erneute Prozess begann für Wörz mit quälend detaillierten Fragen der Richter zu Bewerbungen im Jahr 1996 und seinen Aussichten auf Jobs als Bauzeichner, zu dem er sich vor seiner Verurteilung weitergebildet hatte. Das ist für das Gericht wegen der Entschädigungsfrage wichtig.

Doch es sind Fragen, auf die Wörz nach so langer Zeit nicht immer Antworten wusste. Noch gut vor Augen stand ihm hingegen die Zeit nach dem Gefängnis und seine schwierige Suche nach Arbeit. "Man weiß nicht, wann man dich wieder ins Gefängnis tut", hätten Arbeitgeber wiederholt gesagt. "Es hing immer alles in der Luft." In der Bäckerei, als Staplerfahrer oder als Lagerarbeiter: Die wechselnden Jobs, die er nach dem Gefängnis hatte, habe er nur über Freunde und Bekannte bekommen. "Mir war egal, was ich gemacht habe, Hauptsache, nicht daheim rumsitzen." Zu dem neuen Prozess, der unter großem Medieninteresse stattfand, war Wörz mit seiner zweiten Frau gekommen.

Im Publikum saß rund ein Dutzend Unterstützer. "Ich war von Anfang an überzeugt, dass er unschuldig ist", sagte eine Bekannte. "Fast fünf Jahre unschuldig weggesperrt - das kann man eigentlich nicht mit Geld ausgleichen." Sie sei enttäuscht, dass das Land sich knausrig zeige.

Seit fünf Jahren krankgeschrieben

Bislang hat der Staat dem Installateur knapp 156.000 Euro zugebilligt. Wörz will vom Land Baden-Württemberg zusätzlich 86.000 Euro für seinen Verdienstausfall. Außerdem verlangt er einen Ausgleich der Kosten für Anwälte und Möbel aus seiner wegen der Haft aufgelösten Wohnung in Höhe von 26.000 Euro (Az.: 10 O 370/14). Schließlich fordert er eine Berufsunfähigkeitsrente über das Jahr 2016 hinaus.

Wörz leidet nach eigenen Angaben seit dem Gefängnis unter Schlaflosigkeit und seit zehn Jahren unter Depressionen; seitdem sei er nur noch auf "Notstromaggregat". Seit Mitte 2010 ist er krankgeschrieben. Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe will nicht alle Ansprüche anerkennen und lässt die Fortzahlung der Berufsunfähigkeitsrente offen. Wann das Gericht eine Entscheidung trifft, blieb zunächst offen.

Wörz war vorgeworfen worden, 1997 seine damals von ihm getrennt lebende Frau mit einem Schal fast zu Tode gewürgt zu haben. Die frühere Polizistin ist heute ein schwerer Pflegefall und kann sich nicht mehr mitteilen. Wer die Tat verübte, wurde nie aufgeklärt. Für Wörz ist das noch immer eine belastende Situation, wie eine Bekannte am Rande der Karlsruher Verhandlung schilderte: Damit Harry Wörz zur Ruhe komme, "müsste der Schuldige gefunden werden".

Quelle: ntv.de, dsi/dpa

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