Schützenswertes wie Brotvielfalt und natürliche Geburt Karneval und Bier sollen Kulturerbe werden
12.12.2013, 11:28 Uhr
Karnevalsfigur "Hoppeditz" am 11.11.2013 in Düsseldorf: Der rheinische Karneval könnte Weltkulturerbe der Unesco werden - wenn der Vorschlag angenommen wird.
(Foto: picture alliance / dpa)
Spätzünder Deutschland: Seit 2003 schützt die Unesco auch Bräuche und Traditionen als Kulturerbe der Menschheit. Deutschland ist etwas spät dran - hier dürfen in diesem Jahr erstmals Vorschläge gemacht werden. Darunter ist viel Skurriles. Die "normale Geburt" soll auch mit auf die Liste.
Das Bier-Reinheitsgebot soll nach dem Willen des Brauer-Bunds Weltkulturerbe werden.
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Ist das nach deutschem Reinheitsgebot gebraute Bier ein Kulturerbe wie der Kölner Dom? Oder sollte eher der rheinische Karneval, die deutsche Brotvielfalt oder gar die natürliche Geburt unter Schutz gestellt werden? Nach langem Zaudern ist Deutschland im Juli dem Unesco-Übereinkommen zum immateriellen Kulturerbe beigetreten. Verbände, Vereine und Privatleute konnten bis Ende November Vorschläge einreichen. Die Bundesländer treffen eine Vorauswahl für das deutsche Verzeichnis. International zählen bereits der argentinische Tango, die türkische Kaffeekultur oder die chinesische Akupunktur zu den geschützten Kulturgütern.
"Die nationale Liste kann sehr erfolgreich werden, weil die schützenswerten Bräuche die Menschen persönlich betreffen", sagt Prof. Eva-Maria Seng, Inhaberin des Lehrstuhls für Materielles und Immaterielles Kulturerbe an der Universität Paderborn. In Kürze will die Deutsche Unesco-Kommission einen Überblick über die Bewerbungen geben. Viele Anwärter sind bereits bekannt: Die niedersächsische Stadt Hameln etwa schickt ihre Rattenfänger-Sage ins Rennen. Das Deutsche Weihnachtsmuseum im bayerischen Rothenburg ob der Tauber hält Christkind, Weihnachtsmann und den Nikolaus für schützenswert.
Sorben-Bräuche, Chorwesen, Theaterlandschaft
Die Sorben, die nationale Minderheit in der Lausitz, wollen ihre Bräuche als Kulturerbe sehen. Auch die im 19. Jahrhundert in Deutschland entstandene und inzwischen weltumspannende Genossenschaftsidee, die deutsche Theaterlandschaft oder das Chorwesen zählen zu den Bewerbern.
"Es ist nicht in erster Linie ein Wettbewerb. Das Wichtigste ist, dass wir durch die Diskussionen ein Bewusstsein für unsere kulturelle Identität bekommen", sagt der Vizepräsident der Deutschen Unesco-Kommission, Christoph Wulf. Der Anthropologie-Professor der FU Berlin ist Vorsitzender der Expertenkommission, die das deutsche Verzeichnis erstellt und die deutschen Vorschläge für die internationale Liste auswählt. Letztes Wort hierbei haben die Kultusminister der Länder.
Indem die Bewerber auf sich aufmerksam machen, sind sie alle Gewinner, ist Wulf überzeugt. "Wer wusste schon vor der Bewerbung des Deutschen Bühnenvereins, dass wir über 6000 Theater in Deutschland haben? Auch unsere Tradition des Orgelbaus ist weltweit einzigartig." Voraussetzung für die Aufnahme in die Unesco-Liste ist, dass ein Brauch von Generation zu Generation weitergegeben und gelebt wird. Kommerzielle Interessen dürfen nicht im Vordergrund stehen.
Faschingsbräuche und Karneval
Faschingsbräuche aus verschiedenen Regionen konkurrieren um die Auszeichnung. In Nordrhein-Westfalen treten die Jecken aus Köln, Bonn, Düsseldorf und Aachen gemeinsam an: "Der Karneval im Rheinland verbindet Millionen Menschen friedlich und fröhlich miteinander, und wir sind zuversichtlich, was unsere gemeinsame Bewerbung angeht", betont Markus Ritterbach, Präsident des Festkomitees Kölner Karneval.
Der Freistaat Bayern hat bereits angekündigt, das immaterielle Kulturerbe künftig in einem eigenen Landesverzeichnis zu sammeln. Damit werde die Anerkennung und Wertschätzung für den wichtigen Einsatz für den Erhalt der lebenswerten bayerischen Heimat sichtbar gemacht, erklärte Kunstminister Ludwig Spaenle im November.
Normale Geburt - immaterielles Kulturerbe?
Die "normale Geburt" - ganz ohne mechanische oder medizinische Unterstützung - soll nach dem Wunsch Berliner Geburtshelfer zum immateriellen Kulturerbe werden. Dafür haben Prof. Michael Abou-Dakn, Chefarzt der Gynäkologie und Geburtshilfe am St. Joseph Krankenhaus, und die Berliner Hebamme Bettina Kraus bei der Berliner Senatskulturverwaltung geworben.
"Schwangere haben aufgehört, guter Hoffnung zu sein, stattdessen bestimmen häufig Ängste die Geburtsplanung", erläuterte Abou-Dakn. Das Wissen um die natürlichen Prozesse und die menschlich zugewandte Betreuung während der Geburt gingen immer mehr verloren. Mittlerweile entbindet jede dritte Frau in Deutschland per Kaiserschnitt.
Im April wählt die Berliner Senatsverwaltung aus allen lokalen Einsendungen zwei Bewerbungen aus und leitet sie an die deutsche Unesco-Kommission weiter.
Probleme mit Traditionen
Dass Deutschland erst spät dem Übereinkommen zum immateriellen Kulturerbe beigetreten ist, hat auch historische Gründe. Der Nationalsozialismus instrumentalisierte Bräuche wie die Sonnenwendfeiern. Heute noch hätten manche Deutsche Probleme mit Traditionen, sagt der Wissenschaftler Wulf: "Die Brüche in der deutschen Kulturgeschichte müssen in die Diskussion einbezogen werden."
Quelle: ntv.de, abe/dpa