Showdown in Bitterfeld-Süd Die Wildschwein-Invasion
20.01.2014, 15:05 Uhr
Sieht gefährlicher aus, als er ist: Max aus Spremberg gehört nicht zu den Bitterfelder Problemschweinen.
(Foto: picture alliance / dpa)
"Wenn Dich im Leben nichts mehr hält, ziehe doch nach Bitterfeld!" Zu DDR-Zeiten war damit die massive Umweltverschmutzung in der Industrieregion gemeint, heute bekommt der Spruch eine völlig neue Bedeutung: Wildschweine überrennen die Kleinstadt.
Wer in der Bitterfelder Parkstraße eine Wohnung oder ein Haus sein Eigen nennt, kann sich glücklich schätzen. Nicht nur der namensgebende Park ist direkt um die Ecke, auch der Goitzschesee und der nahe Wald laden zum verträumten Flanieren ein. Naherholung vom Feinsten, könnte man meinen. Doch die scheinbare Idylle trügt: Jeden Abend um acht übernimmt eine dunkle Bedrohung die Macht über die Parkstraße und entlässt sie erst morgens um sieben wieder aus ihrem quälenden Würgegriff. Es sind keine marodierenden Jugendbanden, die die braven Bürger der sachsen-anhaltischen Stadt in Angst und Schrecken versetzen, weit gefehlt: Bitterfeld wird von Wildschweinen überrannt.

Anders als diese Thüringer Jagdgesellschaft wollen die Bitterfelder kein saumäßiges Massaker veranstalten.
(Foto: picture alliance / dpa)
300 bis 400 Exemplare sollen sich im nahen Goitzschewald herumtreiben, schätzt Revierjäger Harald Eisenmann – viermal so viele wie der Forst vertragen kann. Auf der Suche nach neuen Futtergründen stößt das unerschrockene Schwarzwild mittlerweile auch in urbane Regionen vor und muss sich zwischen all den Mülltonnen und Komposthaufen wie im Schlaraffenland vorkommen. Schlimmer als die Schneise der Verwüstung, die die Tiere durch den Süden Bitterfelds ziehen, ist dabei die Gefahr für den Menschen: Mit einer 100 Kilogramm schweren Bache, die den Schutz ihrer Jungen etwas zu ernst nimmt, treibt man besser keine Späße. "Ausgangssperre in Bitterfeld" titelt die Leipziger Regionala usgabe der "Bild"-Zeitung dann auch in Großbuchstaben. Das klingt dramatisch.
"Ist es aber gar nicht", sagt der Bitterfelder Stadtsprecher Michael Mohr und möchte klarstellen: "Wir bitten die Bürger lediglich, alle Gebiete südlich des Annahofes, Bergmannshofes, Leopoldstraße, Wiesenstraße, Schleswiger Straße, Parkstraße, Niemegker Straße bis zum Goitzsche Camp in der Zeit von 20 bis 7 Uhr zu meiden" - also ein relativ großes Gebiet im Süden der Kleinstadt. Ist der Ausnahmezustand etwa so schnell wieder vom Tisch, wie er aufgekommen war?
High Noon in Sachsen-Anhalt
Nicht ganz, denn statt schwerbewaffneter Polizisten und Kampfpanzer beziehen jetzt Jäger ihre Stellungen in Bitterfeld-Süd. Es muss schließlich was getan werden gegen die brandschatzenden Säue. Was genau, ist noch nicht ganz klar, das soll erst auf einer finalen Sitzung am Dienstag beschlossen werden. Durchgesickert ist aber bereits, dass die Waidmänner in Windeseile Hochsitze in den betroffenen Straßen errichten wollen, um den Schwarzkitteln ein für alle Mal klarzumachen, dass in Bitterfeld kein Platz für beide ist.
Das klingt nach High Noon in Sachsen-Anhalt, nach einem saumäßigen Massaker. Ganz so blutig soll es dann aber doch nicht zugehen auf Bitterfelds Straßen, verspricht der Sprecher der Kreisjägerschaft, Stefan Krause: "Wir sind nicht dazu da, sie auszurotten." Stattdessen solle der Bestand durch "gezielte Abschüsse minimiert werden", um unter den lernfähigen Tieren ein Klima des Schreckens zu verbreiten und die Rotten wieder in den Stadtwald zurückzudrängen.
Solange müssen sich die Anwohner allerdings in einem Miniatur-Kriegsgebiet einrichten, in dem ihnen gleich von zwei Seiten Gefahr droht. Ein Großteil der Kugeln, mit denen die lauernden Heckenschützen auf das Freiwild ballern, werden nicht in den Schwarzkitteln stecken bleiben – sondern auf der anderen Seite wieder austreten und unter Umständen als Querschläger noch drei bis fünf Kilometer weiter fliegen. Und dann sind da natürlich auch noch die Säue selbst, über die nichtsahnende Passanten momentan quasi an jeder Kreuzung stolpern.
Für solche Fälle hat die Stadtverwaltung ein Rundschreiben herausgegeben: "Das schlechte Sehvermögen und eine ungünstige Windrichtung können vereinzelt dazu führen, dass die Wildschweine die Anwesenheit des Menschen zwar bemerken, aber nicht wissen, wo dieser sich befindet. So kann die Flucht der Wildschweine durchaus in Richtung des Menschen stattfinden. In diesem Fall hilft lautes Händeklatschen. Die Wildschweine wissen dann, wo die Gefahr sich befindet: Sie werden einen Haken schlagen und sich von der Person wegbewegen um sich zurückzuziehen."
Gut zu wissen, und dennoch: 15.376 Einwohner fiebern auf den Showdown in Bitterfeld-Süd hin. Am Ende kann es nur einen Sieger geben.
Quelle: ntv.de