Vorwurf: Taktisches Kalkül Ausland kritisiert Atomausstieg
31.05.2011, 13:28 Uhr
Das AKW in Neckarwestheim.
(Foto: dapd)
Das Ausland nimmt Deutschlands Atomausstieg größtenteils kritisch auf. Viele Beobachter vermuten keinen echten Sinneswandel der Bundesregierung, sondern politisches Kalkül. Schwarz-Gelb gehe es hauptsächlich um die Gunst der Wähler. Zuspruch für die Energiewende kommt aus Schweden.
Die konservative Tageszeitung "Die Presse" aus Wien schrieb von einer "Hiobsbotschaft für jeden Klimaschützer." Der britische Atomexperte David King befürchtet einen Anstieg der Treibhausgase. In der Zeitung "The Times" kritisierte er die Entscheidung als "Überreaktion" auf die Katastrophe von Fukushima.
Dass diese tatsächlich der Grund für die Kehrtwende in der Atompolitik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) war, hält die liberale Tageszeitung "Der Standard" aus Wien für ausgeschlossen: "Merkel hatte weniger Angst um die deutschen Kernkraftwerke als vielmehr um ihre eigene Restlaufzeit. Sie wollte den Grünen den Wind aus den aufgeblähten Segeln nehmen." Auch die "Basler Zeitung" meint, die Grünen könnten ihr letztes wichtiges Thema verlieren.
Die konservative schwedische Zeitung "Svenska Dagbladet" nennt die neue Linie "in mehreren Dimensionen falsch": "Der Strom wird teurer, Arbeitsplätze werden verschwinden, und die Wirtschaft wird geschwächt."
"Le Figaro": Merkel setzt auf Bündnis mit den Grünen"
Die konservative Pariser Zeitung "Le Figaro" vermutet hinter der "spektakulären" Kehrtwende taktisches Kalkül mit Blick auf die Bundestagswahl 2013: "Angesichts des Einbruchs ihres liberalen Koalitionspartners FDP setzt Merkel auf ein Bündnis mit den Grünen."
Frankreichs Premierminister François Fillon äußerte sich relativ neutral: "Wir respektieren die deutsche Entscheidung." Frankreich bleibe allerdings dabei, dass Atomenergie eine Zukunftslösung sei. Die tschechische Regierung befürchtet infolge des deutschen Atomausstiegs steigende Strompreise in der gesamten Region Mitteleuropa.
China nahm den Ausstieg verhalten auf. Die Pekinger Zeitung "Xinjingbao" zitierte den Deutschlandexperten Si Nan, die Entscheidung der Bundesregierung sei "ein Erfolg der Umweltschützer wie der Grünen". Schon die Katastrophe in Tschernobyl habe "tiefe psychologische Spuren" in Deutschland hinterlassen. "Der Atomunfall in Japan war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, und der Anti-Atombewegung den endgültigen Triumph bescherte."
Beispielloser Vorstoß für erneuerbare Energie
Vertreter der Atomenergiewirtschaft sagten laut "Xinjingbao", China wolle die Entwicklung einer sicheren Kernenergie vorantreiben. Neue Energien wie Windkraft oder Solar-Anlagen seien nicht weit genug entwickelt, lieferten den Strom nicht beständig und zu einem relativ hohen Preis. Dagegen sei Atomenergie vergleichsweise "sauber, effizient und billiger als fossile Energieträger".
Aus Schweden kam nicht nur Kritik, sondern auch Lob. Das sozialdemokratische Blatt "Aftonbladet" schrieb: "Die Entscheidung bedeutet einen beispiellosen Vorstoß für die erneuerbare Energie und Energieeffektivierung." Deutschland setze sich als viertgrößte Industrienation der Welt an die Spitze der globalen Entwicklung.
Quelle: ntv.de, dpa