Politik

Angst vor Sowjet-Verhältnissen Der Importstopp tut den Russen weh

Das Angebot in den russischen Supermärkten ist auch nach dem Importstopp noch groß, viele Menschen vermissen aber die europäischen Lebensmittel.

Das Angebot in den russischen Supermärkten ist auch nach dem Importstopp noch groß, viele Menschen vermissen aber die europäischen Lebensmittel.

(Foto: REUTERS)

Fleisch, Milch, Käse, Obst und Gemüse: Seit drei Wochen boykottiert Russland europäische Lebensmittel. Die Folgen des Embargos sind schmerzhaft. Deshalb greift der Kreml zu allen möglichen Tricks, um das eigene Embargo zu umgehen.

Wie man russische Sanktionen kontert? Ganz einfach. "Wenn jeder einen Apfel pro Woche mehr isst, dann können wir diesen Marktausfall im Obst- und Gemüsebereich schließen", erklärte Österreichs Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter. Die Idee ist nicht ganz neu. Tausende Polen luden zuletzt Fotos ins Netz, auf denen sie beherzt in Äpfel beißen - unter dem Slogan "Iss Äpfel gegen Putin".

In vielen europäischen Ländern nimmt man den russischen Importstopp mit Humor. Dabei sind die Folgen teilweise drastisch. In den Niederlanden kosten die Sanktionen die Exporteure von Agrarimporten einer Schätzung des nationalen Statistikamts zufolge mindestens 300 Millionen Euro. Auch in Deutschland dürften die Ausfuhren einknicken. 2013 exportierte die deutsche Agrar- und Ernährungswirtschaft Waren im Wert von 1,6 Milliarden Euro nach Russland. Der Rewe-Konzern muss das Sortiment in seinen russischen Filialen nach eigenen Angaben reduzieren.

Der Einfuhrstopp von Fleisch, Fisch, Milchprodukten, Obst und Gemüse, den Russland am 7. August verhängt hat, schmerzt - so wie es beabsichtigt war. Das Problem ist: Der eigene Schaden ist für die Russen mindestens genauso groß. Schon nach gut zwei Wochen spüren viele Menschen die Folgen im Alltag. Das gilt auch für Rusanna Awanesjan. "Ich kann den Lieblings-Joghurt meiner Kinder nicht mehr kaufen", sagt sie. Weil dieser aus Litauen stammt, ist er ebenso aus dem Sortiment verschwunden wie viele andere Produkte. Dabei kauft die 38-Jährige so gern europäische Lebensmittel. "Wir und alle unsere Freunde lieben Käse aus Frankreich." Ausländische Milchprodukte seien viel besser als die einheimischen. Von dem Importverbot hält sie daher wenig. "Es war ein Schock für uns und wir sind sehr traurig darüber", sagt Awanesjan, die in Moskau lebt.

"Wenn ich mich verwöhnen will, wird mir was fehlen"

Russlands Selbstversorgung liegt bei knapp 65 Prozent, der Rest stammt aus Lebensmittel-Importen. Im Jahr 2013 exportierte Russland allein Obst und Gemüse im Wert von 11,9 Milliarden Euro aus der EU. Das Importverbot zwingt zu einer Neuorientierung. Brasilien, Chile und die Türkei zeigen großes Interesse, auf dem russischen Markt zu expandieren. Der Kreml forderte die Nachbarländer Weißrussland und Kasachstan zu einer höheren Produktion von Lebensmitteln und deren Export auf. Eine größere Rolle soll künftig auch die heimische Industrie spielen. Das Embargo müsse in den Regalen Platz machen für die Waren russischer Hersteller, sagte Ministerpräsident Dmitri Medwedew.

Auch Parmesan wird knapp. Unter der Telefonnummer auf diesem Moskauer Gehweg soll es jedoch noch welchen geben.

Auch Parmesan wird knapp. Unter der Telefonnummer auf diesem Moskauer Gehweg soll es jedoch noch welchen geben.

(Foto: Emmerich)

Nastya Osmachko ist davon überzeugt, dass das funktionieren kann. "Alle Produkte, die vom Lieferstopp betroffen sind, kann man auch hier produzieren." Beim Einkaufen merke sie zwar bereits, dass die Auswahl geringer wird, aber die normale Ernährung sei absolut gewährleistet. "Der Käse aus Russland oder Weißrussland ist gar nicht so übel. Nur wenn ich mich wirklich verwöhnen will, wird mir was fehlen", sagt die 32-Jährige, die in Moskau für eine Großhandelskette arbeitet.

Experten erwarten allerdings, dass es Jahre dauern wird, bis Russland die europäischen Lebensmittel ersetzen kann. Die langen Winter und das rauhe Klima erschweren die Bedingungen. Laut dem russischen Landwirtschaftsministerium sind bis Jahresende "Dutzende Milliarden Rubel" als Hilfen für die heimische Landwirtschaft nötig. Die Rede ist von 50 Milliarden Rubel jährlich, umgerechnet also rund eine Milliarden Euro. "Das Importverbot ist eine Katastrophe. Wir wollen doch nicht zurück zu sowjetischen Zeiten", sagt Natalia Logwinenko. Schlechtere Lebensmittel, Preiserhöhungen: Die 33-Jährige aus Moskau befürchtet drastische Einbußen der russischen Lebensqualität. Und wofür das alles? "Manchen Russen ist es egal, wie schlecht das Leben ist, Hauptsache: Russland ist stark."

Gespaltene Gesellschaft

Dem unabhängigen russischen Meinungsforschungsinstitut Lewada zufolge sind 72 Prozent der Russen für die Sanktionen gegen den Westen. Aber rund drei Wochen nach deren Start zeigt sich: Russland ist nicht stark genug, deren Auswirkungen zu kontrollieren. Anfang August kündigte die Regierung an, Preiserhöhungen durch Deckelungen verhindern zu wollen. Das russische Statistikamt räumte jedoch inzwischen ein, dass die Preise vor allem für Fleisch und Fisch gestiegen seien. Der unabhängige Sender Doschd sprach von einem Anstieg zwischen 10 und 22, bei einigen Produkten wie Speck sogar von 40 Prozent.

Der Moskauer Eugen Heinrich glaubt, dass es noch teurer wird. Er berichtet von panikartigen Hamsterkäufen nach der Verkündung des Embargos. Viele Russen hätten fast das komplette restliche Angebot europäischer Produkte aufgekauft. Der russische Jurist sagt: "Die russische Gesellschaft ist gespalten. 50 Prozent finden die Sanktionen falsch, für richtig halten sie vor allem Leute, die weniger ausgebildet und eher patriotisch geprägt sind." Heinrich hat Angst - vor sowjetischen Verhältnissen, in denen es viele Produkte gar nicht mehr zu kaufen gibt. "Russland ist nicht imstande, sich selbst zu ernähren", sagt er.

Heikle Güter, Köttbullar und Burger

Dies scheint man sich auch im Kreml zunehmend einzugestehen. Um den Mangel zu kompensieren, importiert Russland aus Weißrussland und Kasachstan Lebensmittel, die aus europäischen Rohstoffen gefertigt wurden. Weißrussland lockerte seinerseits ein Importverbot für lebende Rinder, Schafe und Ziegen aus dem Jahre 2012. Und nicht nur das: In der vergangenen Woche ruderte auch die russische Regierung zurück und nahm eine ganze Reihe von Waren von der Sanktionsliste. Darunter laktosefreie Milch, Kartoffelsetzlinge, Saatgut für Zwiebeln, Mais und Erbsen, junge Lachse, Forellen, Spezialnahrung für Diabetiker: Dies seien "für gewisse Bevölkerungsteile heikle Güter", wie es offiziell hieß.

Die große Konsequenz lässt Moskau vermissen. Lieber bleibt man flexibel. So verschwanden in den Restaurants der russischen Ikea-Filialen zuletzt zwar skandinavischer Käse und Lachs von den Tellern. Die beliebten Köttbullar gibt es aber weiterhin. Sie werden schließlich in Russland produziert. Weniger gnädig sind die russischen Behörden gegenüber US-amerikanischen Konzernen. In Moskau ließ man einige McDonald's-Filialen schließen. Nun sollen alle 430 Restaurants im ganzen Land kontrolliert werden - angeblich wegen Verstößen gegen Hygienevorschriften. Der wahre Grund dürfte ein anderer sein. Die Zutaten stammen nach Angaben von McDonald's nämlich fast ausschließlich aus Russland.

Quelle: ntv.de

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