Karsai will Stichwahl verhindern Krisengespräche in Afghanistan
17.10.2009, 15:09 Uhr
Hat Afghanistan bald wieder die Wahl zwischen Karsai und Abdullah? (Afghanische Frauen in Kabul)
(Foto: AP)
Kurz vor Verkündung eines Wahlergebnisses in Afghanistan bemüht sich die Staatengemeinschaft um Vermittlung zwischen Präsident Hamid Karsai und seinem Kontrahenten Abdullah Abdullah. Das Lager Karsais wirft der Beschwerdekommission vor, "politisch manipuliert" zu sein.

Die diplomatischen Drähte laufen heiß - Karsai will sich gegen Betrugsvorwürfe wehren.
(Foto: AP)
Karsais Büro teilte mit, der Amtsinhaber habe mit UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon, dem britischen Premierminister Gordon Brown, US-Außenministerin Hillary Clinton und dem pakistanischen Präsidenten Asif Ali Zardari telefoniert.
Auch Karsais Herausforderer Abdullah Abdullah sprach nach Angaben seines Wahlkampfteams mit Clinton. Ein Karsai-Sprecher deutete an, der Präsident könnte einen von der UN-unterstützten Beschwerdekommission verfügten Abzug gefälschter Stimmen vom Wahlergebnis nicht akzeptieren. In Kabul gab es zudem Gerüchte, Karsai und Abdullah arbeiteten an einer Übereinkunft, um eine neue Abstimmung zu umgehen. Clinton sagte dem US-Sender CNN, die Wahrscheinlichkeit, dass Karsai eine Stichwahl gewinnen würde, sei "ziemlich hoch".

Karsais schärfster Konkurrent: Abdullah.
(Foto: dpa)
Nach Kabul gereist waren auch Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner und der US-Senator John Kerry. Kouchner wolle den beiden Kontrahenten "eine Botschaft des Vertrauens überbringen" und sie an ihre Verantwortung erinnern, teilte das französische Außenministerium mit. Auch der frühere US-Botschafter in Afghanistan, Zalmay Khalilzad, ist in der Stadt - zu einem Privatbesuch, wie die Botschaft mitteilte.
Eine "politische Entscheidung"
Karsai-Sprecher Wahid Omar sagte der "Washington Post", die Beschwerdekommission (ECC) werde "politisch manipuliert". Knapp zwei Monate nach der Präsidentschaftswahl wollte die ECC in Kabul ihre Analyse des Wahlbetrugs an die Wahlkommission (IEC) übergeben. Das ist Voraussetzung dafür, dass die IEC ein amtliches Endergebnis verkünden kann. Das Endergebnis muss um die von der ECC ermittelten gefälschten Stimmen bereinigt sein. Die "New York Times" und die "Washington Post" hatten am Freitag übereinstimmend berichtet, Karsai habe die absolute Mehrheit nach Abzug der gefälschten Stimmen verfehlt. Damit wäre laut Verfassung eine Stichwahl zwischen ihm und Abdullah notwendig.

Clinton erwartet eine Stichwahl - geht aber auch davon aus, dass Karsai diese gewinnen würde.
(Foto: dpa)
Omar sagte, würde die ECC-Analyse des Wahlbetrugs eine zweite Wahlrunde notwendig machen, wäre das eine "politische Entscheidung". Auch Karsai werde in diesem Fall eine "politische Entscheidung" treffen. Die "Washington Post" berichtete unter Berufung auf eine nicht namentlich genannte westliche Quelle, zwischen der ECC und der IEC gebe es Streit über die Methode der Berechnung der gefälschten Stimmen. Die ECC hatte Stichproben verdächtiger Wahlurnen untersucht und das Ergebnis in einem komplizierten Verfahren hochgerechnet.
Stichwahl vor Wintereinbruch wird schwierig
Ein IEC-Sprecher sagte, nach der Übergabe des ECC-Berichts werde es mindestens einen Tag dauern, bis die Wahlkommission ein amtliches Endergebnis verkünden könne. Die ECC wollte den Bericht nach der Übergabe veröffentlichen. Nach dem Mitte September verkündeten vorläufigen Ergebnis hatte Karsai 54,6 Prozent der Stimmen und damit eine absolute Mehrheit bereits im ersten Wahlgang gewonnen. Abdullah folgte mit 27,8 Prozent. Bei der Wahl am 20. August war es nach UN-Angaben zu massivem Betrug gekommen. Die meisten verdächtigen Stimmen waren von EU-Wahlbeobachtern Karsai angelastet worden. Karsai hatte die Beobachter scharf kritisiert.
Sollte kein Kandidat eine absolute Mehrheit haben, sieht Artikel 61 der Verfassung eine Stichwahl binnen zwei Wochen vor. Das gilt angesichts der knappen Zeit als schwierig umzusetzen. Eine Verzögerung würde aber bedeuten, dass in Teilen des Landes der bevorstehende Wintereinbruch eine Abstimmung unmöglich machen könnte. Befürchtet wird zudem, dass sich an einer zweiten Wahlrunde wegen der schlechten Sicherheitslage und der Wahlmüdigkeit noch weniger Afghanen beteiligen als an der Abstimmung im August. Damals lag die Wahlbeteiligung nach Angaben der IEC bei 38,7 Prozent.
Galbraith fordert massives Eingreifen
Der entlassene UN-Vize-Sondergesandte für Afghanistan, Peter Galbraith, forderte unterdessen die Vereinten Nationen auf, bei einer möglichen Stichwahl massiv einzugreifen. Nur so könne erneuter massiver Wahlbetrug erschwert werden, schreibt Galbraith im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Selbst wenn Karsai einen zweiten Durchgang "halbwegs sauber" gewinnen sollte, würde er aber den "Ruch des Betrugs" kaum hinter sich lassen können.
"Unter diesen Umständen ist es eine Verschwendung von Ressourcen, mehr Soldaten zu schicken, weil es keinen glaubwürdigen afghanischen Partner gibt, mit dem sie zusammenarbeiten könnten." Galbraith war vom UN-Generalsekretär entlassen worden, weil er massiver gegen Wahlbetrug vorgehen wollte als sein Vorgesetzter, der norwegische Sonderbeauftragte Kai Eide.
Quelle: ntv.de, mli/dpa/rts