Fußball

Sky-Stimme Küpper über Proteste "Ohne Ultras würde das System machen, was es will"

Hansi Küpper im Berliner Olympiastadion.

Hansi Küpper im Berliner Olympiastadion.

(Foto: IMAGO/Ed Gar)

Am vergangenen Wochenende wird das Top-Spiel der 2. Fußball-Bundesliga zwischen Hertha BSC und dem Hamburger SV für über eine halbe Stunde unterbrochen. Der Grund: Tennis-Bälle werden aus der Ostkurve, der Heimat der Berliner Fans, auf das Spielfeld geworfen und sogar geschleudert. Die Anhänger protestieren gegen den Investoren-Deal der DFL. Nicht die Art des Protests ist neu, sondern vielmehr die Dauer.

"Ihr habt den Protest einer freien und lebendigen Fankurve gesehen. Wir bestimmen selbst, wie lange ein Protest dauern darf und wir werden uns hierbei auch künftig nicht an die Vorstellungen von Redakteuren, Vereinsoffiziellen oder DFL-Vertretern gebunden fühlen", erklärt die Ultra-Gruppierung Harlekins Berlin ´98 am Tag nach den Protesten. Da werden die Ereignisse des Samstags in der aufgescheuchten Öffentlichkeit bereits ausgiebig diskutiert.

Die Positionen scheinen unversöhnlich. Auf der einen Seite, die zum großen Teil von den Boulevardredaktionen des Landes angeführt wird, herrscht blankes Unverständnis für die Protestierenden, die, so wird argumentiert, dem Fußball und ihrem Anliegen, dem Stopp des Investorendeals, durch diese Form des Protests schweren Schaden zufügen. Auf der anderen Seite wird mit einer Mischung aus Verachtung und Amüsement auf die alten weißen Männer in den Redaktionen geschaut. Das Anliegen der Fans ist jedoch nicht der Kampf mit der Medienöffentlichkeit. Durch die wollen sie ihren Protest nur transportieren.

"11 Freunde" kritisieren Küpper scharf

Zwischen den Konfliktlinien befindet sich Hansi Küpper. Der 62-Jährige aus dem Ruhrgebiet ist eine der Stimmen des deutschen Fußballs. Kaum jemand kennt sein Gesicht, jeder kennt seine Stimme. Seit Jahren erklärt der Essener die Bundesliga. Am vergangenen Samstag kommentierte er auf Sky das Spiel im Berliner Olympiastadion. Er hinterfragt den Protest und befindet sich plötzlich im Zentrum eines Shitstorms im Internet. Küpper wird zum Symbol für den Fußball, gegen den sich die Fans wehren. Der nach Geld giert und die Zuschauer im Stadion als Folklore und Staffage betrachtet.

"Worauf Sky-Kommentator Hansi Küpper begann, in einer halbstündigen Erregungsspirale das Ende der Zivilisation, wie wir sie kennen, herbeizureden, womit er eine Tonlage vorgab, die sich später auch in den Boulevardmedien und im Sport1-Doppelpass wiederfand", ist später in einem vom "11 Freunde"-Chefredakteur Philipp Köster verfassten Newsletter über den Berliner Abend und Küppers Kommentar zu lesen. "Am Ende", sagt Küpper im Gespräch mit ntv.de, "sind mir immer wieder drei, vier Sätze um die Ohren gehauen worden. Die waren sinngemäß: 'Ihr tut euch mit dem, was ihr hier macht, keinen Gefallen'. 'Ihr lauft jetzt Gefahr, das Verständnis auch bei vielen zu verlieren, die eigentlich auf eurer Seite sind.' 'Ihr macht die Gegenseite stark.' Wenn das die Sätze sind, mit denen ich eine Kriegsberichterstattungsrhetorik abgeliefert haben sollte, dann sage ich puh."

Vor dem nächsten Bundesliga-Wochenende, an dem erneut mit Protesten in den Stadien zu rechnen ist, erklärt Küpper bei ntv.de, welchen Fußball er sich wünscht und was ihn zu seinen Aussagen bewogen hat.

ntv.de: Hansi Küpper, die Proteste des vergangenen Wochenendes werden am Ende der Woche immer noch diskutiert. Waren die Proteste damit nicht am Ende doch erfolgreich?

Hansi Küpper: Es ist ja überhaupt keine Frage, dass ich mit jeder Eskalation eines Protests mehr Aufmerksamkeit bekomme. Das sehen wir ja überall in der Gesellschaft. Wenn sich einer in einer Sackgasse in einem kleinen Dorf hinten links auf die Straße klebt, dann kann er das machen. Dann ist die Empörungsstufe natürlich bei null. Macht man das auf einer Hauptverkehrsader in der Hauptstadt Berlin, legt damit den Berufsverkehr lahm, dann hast du die Empörungsstufe 10/10. So funktioniert das.

Sie haben am vergangenen Samstag immer wieder davon gesprochen, dass die protestierenden Fans den Rest des Stadions verlieren.

Ich bin nach wie vor der Meinung und habe es ja auch erlebt im Stadion, dass es plötzlich die Pfiffe von der Gegengerade gab. Also von Menschen, die gesagt haben, dass es ihnen reicht. Die waren auch lange ruhig. Irgendwann waren sie es nicht mehr. Einige Menschen, es war keine Massenabwanderung, haben auch das Stadion verlassen. Da muss es mir erlaubt sein, diesen Konflikt festzustellen.

Sie sind gerade in Fan-Sachen immer gut informiert. Waren Sie auf diese Art des Protests vorbereitet?

Ich habe gedacht, dass ich eine Kurve kommentiere, die protestiert und die es dann irgendwann wieder lässt. Nichts anderes habe ich in den letzten Monaten erlebt. Ich wusste nicht, dass ich eine Kurve kommentiere, die sogar einen Abbruch in Kauf nimmt. Das hat der Vorsänger in der Ostkurve später ja sehr deutlich gesagt.

Was wäre dann anders gewesen?

Dann hätte ich das natürlich ganz anders kommentiert. Aber diese neue Form des Protests, das konnte keiner wissen, kein Journalist, auch nicht die, die mich später kritisiert haben. Trotzdem darf man dann die Frage stellen, ob das angemessen ist, über eine halbe Stunde zu protestieren. Es ist auch logisch, dass sie sagen, dass wenn es vielleicht irgendwann in Deutschland auf einen Spielabbruch hinausläuft, ist unsere Aufmerksamkeit höher. Dann sage ich 'okay'. Das ist unzweifelhaft so, aber die Frage, ob wir das dann noch gut finden, darf man sich trotzdem stellen.

Finden Sie es denn gut?

Dieser Investorendeal ist für mich unsäglich. Da habe ich nie einen Hehl daraus gemacht. Ich habe es gefeiert, als der erste Versuch mit diesen zwei Milliarden Euro gescheitert ist. Ich habe den Fanvertretern in Dortmund zu ihrem, zu dem Sieg der Fans gratuliert. Aber: In der Ablehnung dieser bedrohlichen Entwicklung habe ich von keinem in irgendeiner Form Bedarf an Nachhilfeunterricht.

Das bedeutet?

Ich stehe zu 100 Prozent hinter der Einschätzung der Berliner Ostkurve, was den Investorendeal angeht. Ich stehe zu 100 Prozent zu Ihren Befürchtungen, was das alles bedeuten kann. Die Jungs und die Mädels in der Kurve haben zu 100 Prozent recht. Was mir natürlich nicht gefallen hat, ist, dass anschließend gesagt wird, dass man ihnen in Sachen Verhältnismäßigkeit bedingungslos folgen muss.

Über allem steht die Frage: Wem gehört der Fußball?

Der Fußball ist zu vielschichtig. Die Frage ist nicht zu beantworten.

Probieren Sie es!

Wem der Fußball leider Gottes gehört im Sinne von er hat ihn im Besitz, das ist im Moment das Establishment. Fragen Sie doch, wem sollte er gehören?

Wem sollte der Fußball gehören, Herr Küpper?

Gute Frage. Das kann ich beantworten. Da bin ich dann schon der festen Überzeugung, dass er den Menschen an der Basis gehören sollte, dass er den Menschen gehören soll, die zum Fußball gehen, die den Fußball lieben, für die der Fußballverein ein Teil ihrer Identifikation ist.

Das ist doch eine Antwort.

Aber auch da kommst du natürlich irgendwann in Bereiche, wo du sagst: 'Hier ist jetzt der Übergang zwischen dem Haupttribünenbesucher, zwischen dem Besucher oben in den Ecken bis hin zu den Stehplatzdauerkarten und der Ultraszene. Das ist keine klare homogene Masse. Das ist schattiert. Der Verdienst der Ultras ist, dass das Establishment immer noch Rücksicht nehmen muss. Sie sind als Korrektiv ungeheuer wichtig. Ohne sie würde das System machen, was es will.

Insofern ist der Protest dann doch wichtig?

Wir sind im Moment an einer Wasserscheide. Ich habe da einen glasklaren Blick. Dieser Investorendeal ist peinlich. Ich halte ihn in mehrfacher Hinsicht für undemokratisch. Ich finde es absurd, dass nach einer klaren Abstimmung einfach eine neue Abstimmung unter geänderten Vorzeichen auf den Weg gebracht wird. Ich halte es für grotesk, dass ein Mann wie [Hannover-Mehrheitseigner, Anm. d. Red.] Martin Kind …

… der sich über das Votum der Mitglieder seines Vereins hinweggesetzt haben könnte …

... sich in einem Land, in dem die 50+1-Regel gilt, so verhalten kann, wie er es getan hat. Wie mit Sicherheit 30 bis 32 Vereine gegen diesen Deal hätten stimmen müssen, weil die Mitglieder an der Basis nicht wollen, dass das Establishment diesen Weg geht. Alles das halte ich für hochgefährlich und bin froh, dass es Fans gibt, die da noch kontrollieren.

Wünschen Sie sich also ein heißes Frühjahr in der Bundesliga, in dem serienweise Spiele abgebrochen werden müssen?

Je nach der Strategie der Ultras oder der Kurven, ist das natürlich möglich. Da fällt es mir natürlich auch schwer zu sagen: 'Ja, das ist schon okay, weil ihr in der Zielsetzung recht habt.' Mich stört einfach diese Ausschließlichkeit, mit der gesagt wird: 'Wir haben erstens das richtige Ziel, zweitens sehen wir die Dinge richtig und drittens egal für welche Maßnahmen wir uns entscheiden, wir geben den Takt vor und ihr habt zu folgen und dürft keine andere Meinung haben'. Das stört mich massiv.

Die Seiten stehen sich unversöhnlich gegenüber. Sehen Sie einen Ausweg?

Ich habe natürlich eine Traumlösung. Aber damit bewege ich mich wahrscheinlich weit außerhalb der Realität. Wenn Hans-Joachim Watzke eine Pressekonferenz gibt, in der er sagt, dass der deutsche Fußball so viele Gelder generiert mit einem FC Bayern, der für 100 Millionen Kane kaufen kann. Mit einem BVB, der selbst in einer schlechten Champions League Saison über 60 Millionen Euro bekommt und der 40 Millionen an Spielerberater bezahlen kann.

Watzke muss sagen, dass die Liga so gewaltige Ressourcen hat, dass wir für einen Zeitraum von 20 Jahren für die vergleichsweise lächerliche Summe von 700 Millionen Euro keine Investoren ins Boot holen müssen. Wir möchten uns entschuldigen, dass wir diesen falschen Weg gegangen sind und nehmen alles zurück. Das wäre meine Wunschlösung. Ich glaube, wir müssen nicht darüber diskutieren, dass das illusorisch ist. Es ist in der Tat so: Da stehen sich zwei Positionen gegenüber, die unvereinbar sind. Ich weiß nicht, wozu das führen wird.

Die DFL argumentiert auch immer mit der Wettbewerbsfähigkeit, die, überspitzt, allein durch den Deal überhaupt garantiert werden könne. Und das ist natürlich auch wieder eine Frage. Was will die Bundesliga eigentlich sein?

An 700 Millionen Euro, die man am Ende einsetzt, kann es nicht liegen, wenn die Bundesliga international schlechter aufgestellt ist. Also auch dieser Automatismus, der geht mir so auf den Keks. Wir müssen was tun in der Auslandsvermarktung. Also ist der Deal auch gerechtfertigt? Diese Logik passt einfach nicht. Vor der ersten Abstimmung drohte [Eintracht Frankfurts CEO] Axel Hellmann damit, dass die Bundesliga sonst auf das Niveau von Bulgarien runterfalle. Das muss man sich wirklich mal auf der Zunge zergehen lassen.

Klingt mindestens seltsam.

Von Bulgarien redet inzwischen keiner mehr. Ob die Bundesliga diesen Deal macht oder nicht, wird am Ende nichts ändern. Da wird ein Horrorszenario aufgebaut, das mit der Realität nichts zu tun hat.

Was ist die Realität?

Der deutsche Fußball ist zumindest in einer Hinsicht der kräftigste und auch der nachhaltigste in Europa. Weil er nämlich diese Fanszenen hat, die immer wieder sagen: 'Das ist unser Sport und das ist unser Verein, unabhängig von irgendwelchen Erfolgen.' Wir haben Schalke 04 und den Hamburger SV mit 55.000 Zuschauern in der Zweiten Liga. Wir haben Borussia Mönchengladbach und Werder Bremen in der ersten Liga. Fast abgehängt, aber trotzdem mit einer unfassbar emotionalen und treuen Fangemeinschaft. Wir haben in dieser Hinsicht die beste Liga der Welt.

Und trotzdem braucht sie Geld.

Wir müssen doch nicht pausenlos von internationaler Wettbewerbsfähigkeit reden, nur weil in einem anderen Land Vereine von Scheichs so gestopft werden, dass sie finanziell enteilen könnten. Das ist eine so groteske Argumentation, die vorangetrieben wird von Leuten, die natürlich selbst davon profitieren, wenn Geld in den Fußball fließt.

Was ist Ihre Schlussfolgerung?

Karl-Heinz Rummenigge hat es in der Pandemie einmal formuliert. Er hat sinngemäß gesagt: 'Wir haben in den letzten Jahren alles falsch gemacht. Wir haben das gesamte Geld, was reingekommen ist, eins zu eins an die Spieler und Spielerberater weitergeleitet.' Das trifft meine Stimmungslage. Ich weiß nicht, ob Rummenigge es heute noch so sagen würde. Diesen Fußball also würde ich mir wünschen. Wir können großes Selbstvertrauen haben. Die Bundesliga ist stimmungsvoll und atmosphärisch wie keine andere Liga in Europa. Wir müssen endlich aufhören, dem Geld hinterherzurennen. Das Hamsterrad wird nie stillstehen. Der Scheich in Manchester darf nicht mehr den Takt vorgeben.

Wenn also die Proteste den Fußball in diese Richtung bringen, dann wäre der Protest im Olympiastadion doch gut gewesen?

Wenn ich wüsste, dass dieser Protest zwei Wochen andauert und die DFL dann einknickt, dann ja. Ich würde sofort sagen: Wir kriegen das gewuppt. Aber wenn die Alternative sonst ist, dass die Saison nicht beendet werden kann, dann fällt es mir schwer, mich auf der Seite der Kurven wiederzufinden. Wissen Sie was?

Nein.

Es ist ein Spannungsfeld ohne absolute Wahrheiten.

Mit Hansi Küpper sprach Stephan Uersfeld

Quelle: ntv.de

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