Kieler Digital-"Tatort" Darknet für Dummies
18.03.2017, 12:43 Uhr
Versteht nur digitalen Bahnhof: Borowski (Axel Milberg, Mitte)
(Foto: NDR/Christine Schroeder)
Ein Mörder treibt in Kiel sein Unwesen. So weit, so bekannt - neu ist, dass sich Borowski und Brandt diesmal in die Untiefen des Darknet begeben müssen, um ihn zu fassen. Auf die Zuschauer wartet ein Hybrid aus Fiebertraum und Flachwitzen.
Der "Tatort" möchte seine Zuschauer ja immer auch ein bisschen miterziehen, ihnen die neuesten gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen näherbringen. Na gut, die digitale Revolution gehört jetzt nicht unbedingt zur taufrischesten Neuerung in der Welt da draußen, mangelnde Begeisterung bei der Aufarbeitung des Verpassten kann man den "Tatort"-Machern aber wahrlich nicht vorwerfen: Und so müssen sich die Zuschauer nach dem grandiosen Stuttgarter "HAL", dem schwachen Bremer "Echolot" und dem irgendwo dazwischen liegenden Frankfurter "Wendehammer" bereits zum vierten Mal in der laufenden "Tatort"-Saison mit einem Mord im digitalen Dunstkreis auseinandersetzen.

Zwischen Staatsanwalt Tom Austerlitz (Jochen Hägele, l.) und Brandt (Sibel Kekili) knistert es.
(Foto: NDR/Christine Schroeder)
Ob man daran Spaß hat, soviel gleich mal vorweg, hängt vor allem mit der Einstellung zusammen, mit der man sich am Sonntagabend vor den Fernseher setzt: Wer einen klassischen Krimi sehen möchte oder zumindest erwartet, dass die Protagonisten in Extremsituationen nachvollziehbar handeln, sollte bei "Borowski und das dunkle Netz" gar nicht erst einschalten. Wer hingegen Gefallen am Absurden findet, der könnte auch mit dem Darknet-Mord aus Kiel eine gute Zeit haben.
Das liegt vor allem an den fiebertraumartigen Situationen, die Regisseur David Wnendt kreiert: Da ist die fette Hotelrezeptionistin, die genau weiß, dass einer ihrer Gäste ein Mörder ist - das allerdings richtig scharf findet und den Mann mal so richtig rannimmt, als der sich zwei Finger mit einer Spiegelscherbe abtrennt und bewusstlos im Hotelzimmer zusammenklappt. Oder die Szene, in der Kommissarin Brandt (Sibel Kekili) ebenjenen Mörder (Maximilian Brauer) durch halb Kiel verfolgt, wo er schließlich in den Umkleidekabinen des Handballclubs THW von einer wütenden Frauenhandballmannschaft verprügelt wird. Oder die Anfangsszene, in der sich wiederum der Mörder in Egoshooterperspektive durch ein Fitnessstudio ballert und schließlich einen minutenlangen Zweikampf mit einem in den 90ern hängengebliebenen Anabolikamonster liefert. Oder, oder, oder…
Zwischen alle Stühle gesetzt
Das Problem: Sobald der Fokus der Geschichte sich auf die Kieler Ermittler richtet, wird aus dem wilden Fiebertraum eine Mordermittlung, wie sie biederer nicht sein könnte: Das fängt bei der absoluten Technik-Aversion von Kommissar Borowski (Axel Milberg) an - selbst wer kein Smartphone hat, sollte 2017 doch zumindest schon mal davon gehört haben - geht bei schablonenhaften Charakteren wie den Bilderbuchnerds im Polizeikeller weiter (Pizzabutton! Schuhe mit integrierten Rollen!! Riesige Kaffeetassen!!!) und endet mit teilweise unerträglichen Flachwitzen.
Es ist ein bisschen, als würde man zwei verschiedene Filme schauen - warum die Fallhöhe zwischen den beiden so hoch ist, darüber kann allerdings nur spekuliert werden: Musste sich Drehbuchautor und Regisseur David Wnendt den Bedürfnissen der NDR-Zensoren beugen oder wollte er von sich aus die weniger experimentieralfreudigen Zuschauer mit an Bord holen? Im Ergebnis jedenfalls setzt sich "Borowski und das dunkle Netz" damit zwischen alle Stühle und endet nach 90 Minuten mit der Erkenntnis, dass da noch deutlich mehr drin gewesen wäre.
Aber immerhin, seinen Bildungsauftrag hat dieser "Tatort" erfüllt: Nun dürfte wirklich jeder wissen, was es mit diesem Darknet auf sich hat. Oder, um in der Sprache des Films zu bleiben: Die Spitze des Eisbergs haben nun wirklich alle gesehen.
Quelle: ntv.de